Leadership & Karriere Antelope: Dieses Kribbeln am Bauch

Antelope: Dieses Kribbeln am Bauch

Fitnessstudiobetreiber und Gründer Kay Rathschlag hat EMS to go erfunden. Dass die Antelope-Anzüge sein eigenes Business killen - egal.

Einen der Löwen hat Antelope bis aufs Blut gereizt. Jochen Schweizer beißt sich an den Gründern des Sportartikel-Startups fest. Dabei schien der Ex-Stuntman, Extremsportler und Juror bei der Startup-Pitch-Show „Die Höhle der Löwen“ zunächst voll auf der Seite von Antelope. Beste Erfahrungen habe er selbst über 20 Jahre mit elektrischer Muskelstimulation (EMS) gemacht. Super Sache. Aber: für die Reha. Oder für Profis. Freizeitsportler jedoch? „Warum sollen normale Menschen, die gesunden, regulären Sport treiben können, sich das antun?!“, wettert Schweizer und keilt gleich noch gegen Co-Juror Frank Thelen. Auf dem Holzweg sei der, wenn er für diese Anzüge einen großen Markt sehe. Am Ende investieren weder Thelen noch Schweizer oder sonst ein Löwe.

Was Vox aus der Sendung herausgeschnitten hat: Der 58-jährige Unternehmer und Sportler trainiert fünf mal die Woche mit einem Personal Trainer und verzichtet komplett auf Zucker. Er findet, genau so sollten alle anderen es auch machen. Da ist ein Sportanzug, der den trägen Massen verspricht, in 20 Minuten den gleichen Effekt zu erzielen wie in drei Stunden konventionellem Training, nun ja, eine gewisse Provokation. Das vermutet jedenfalls Antelope-Gründer Kay Rathschlag. Die Schlappe bei der Fernsehshow hat er längst verkraftet: Als die ausgestrahlt wird, kann er bereits Vorbestellungen in Höhe von mehr als 400 000 Dollar verbuchen. Zuvor wurde Antelope bei der Sportmesse Ispo als Newcomer des Jahres gekürt und räumte unter anderem beim Startups@Reeperbahn Pitch von Hamburg Startups ab, dank vollem Körpereinsatz: Während Co-Gründer Philipp Schwarz das Geschäftsmodell erklärte, absolvierte Rathschlag im Overall ernst und stumm Kraftübungen. Dafür erntete er zunächst Lacher – und dann Begeisterung: „I want an @antelope_club suit NOW. Loving it“, twitterte Lars Hinrichs, Xing-Gründer und an diesem Abend Mitglied der Jury, noch während des Pitches. Die wiederum brauchte anschließend keine fünf Minuten, um sich für Antelope zu entscheiden.

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Kay Rathschlag tritt immer und überall im Antelope-Suit auf – wenn’s denn der Vermarktung seiner Erfindung dient.
Disruption am eigenen Leib

Was auch immer man von der Idee hält, Muskeln mit EMS zu dopen – Antelope hat schon vor dem Produktlaunch eine für Deutschland ungewöhnliche Gründergeschichte vorgelegt. Ein Startup, das anspruchsvolle Hardware anpackt, statt nur die nächste schnell skalierbare App rauszuhauen; das im crowdfundingträgen Deutschland und bei Business-Angels richtig Erfolg hat; Gründer, die von Disruption nicht nur faseln, sondern ihr laufendes Business im vollen Bewusstsein zerstören. Und das alles fern vom Berliner Ökosystem: in der Anzugträgerhochburg Frankfurt am Main.

Aber von vorne. Als Rathschlag vor fünf Jahren zum ersten Mal von EMS hört, muss er furchtbar lachen. Er denkt an alberne Bauchgurte aus dem Teleshopping, an unseriöse Spots, in denen Leute auf der Couch herumlungern und schlank werden. „Da wurde dir suggeriert, schau fern, iss Chips, und bekomm dabei ein Sixpack“, sagt Rathschlag, der zu der Zeit selbst bis zu sechsmal die Woche ambitioniert im Fitnessstudio trainiert. Aber es ist nun mal sein eigener Bruder, der drängelt, EMS einmal auszuprobieren. Und der ist Dozent an der Kölner Sporthochschule. „Da bin ich schon davon ausgegangen, dass er nicht mit totalem Mist kommt“, sagt Rathschlag. Der Bruder legt ihm Bauch- und Beingurte an, Rathschlag tönt, er solle sein Frauenfitnessgerät ruhig voll aufdrehen. Nach einer Viertelstunde wird ihm schwarz vor Augen vor Anstrengung. Er muss abbrechen, und dann folgt auch noch der Muskelkater seines Lebens. Und der Gedanke: Da muss was dran sein. Also eröffnet er Frankfurts erstes EMS-Studio, inzwischen führt er sieben davon.

Hier könnte die Geschichte eines Unternehmers, der gut von seinen sechsstelligen Umsätzen leben kann, enden. Könnte. Wäre Rathschlag nicht nach eigener Aussage ein leidenschaftlicher Entrepreneur, der findet, dass EMS doch noch so viel besser funktionieren könnte: ohne das umständliche Anlegen all dieser Westen und Gurte mit ihren Elektroden, unabhängig von stationären Studios. Die Hersteller sehen keinen Grund, etwas am Status quo zu ändern. „Die kommen aus der Industrie und haben nicht diese Silicon-Valley-Denkweise: Wir machen ’ne App, wir machen die total endkundenfreundlich, wir nehmen dafür 50 Millionen Wagniskapital in die Hand und skalieren das richtig“, sagt Rathschlag. Er und sein Mitgründer Schwarz schon. Als Studiobetreiber schießt er sich mit den mobilen, app-gesteuerten Wearables zwar ins Knie. Aber voller Überzeugung: „Die Kannibalisierung kommt so oder so.“ Also treibt er sie lieber selbst voran und greift den Zukunftsmarkt ab.

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Couch-Potatoes machen auch Antelope-Outfits nicht fit. Wer sie aber mit Bewegung kombiniert, verstärkt den Trainingseffekt.

Natürlich braucht es mehr als Vision, Mut und Erfahrung im Fitnessmarkt, um ein komplexes Produkt an der Schnittstelle von Hardware, Software und Textilien zu entwickeln. Technisches Know-how zum Beispiel. Und Geld.

Hier hat Rathschlag einen enormen Vorteil. Potenzielle Geld- und Ratgeber, die ihn persönlich kennen und das Produkt und die Vision verstehen, sind direkt vor seiner Nase: die eigenen Kunden in den EMS-Studios der Finanzmetropole Frankfurt. Menschen, die bereit sind, 100 Euro im Monat für ihre Mitgliedschaft zu zahlen – immerhin kosten die EMS-Geräte zwischen 10 000 und 15 000 Euro. „Das sind Leute, die wenig Zeit haben – Banker, Ärzte, Berater, Anwälte. Da haben wir fast alle unsere Angels rekrutiert“, so Rathschlag. Sein Kundenkreis reicht bis zum Vorstand eines Dax-30-Konzerns: Olaf Schermeier, Chief Officer Research and Development bei Fresenius Medical Care, trainiert in Rathschlags Studio. Er gibt ihm zwar kein Geld, aber reichlich Tipps zu geeigneten Materialien – und die passenden Connections obendrauf: „Wenn du als Startup zu einem Hersteller gehst, hat der erst mal kein Interesse, einen Prototyp für dich zu entwickeln, mit dem er kein Geld verdient. Wenn aber ein Dax-Vorstand sein Kunde ist und sagt, macht das doch mal mit denen, ist das was anderes“, sagt Rathschlag.

Die Studiokunden sind auch perfekte Versuchskaninchen für die ersten Prototypen. Aleksandr Kuboskin zum Beispiel, ein ausgebrannter Investmentbanker, der eigentlich ein Sabbatical plant, aber vor lauter Begeisterung über die Idee gleich investiert und als operativ aktiver Gesellschafter einsteigt – als vierter neben Rathschlag, Schwarz und Sportwissenschaftler Patrick Thumm. Die Gründer tingeln nun in ganz Europa über Messen, führen unzählige Gespräche über Leiterbahnen, Elektroden und Materialien, trommeln externe Lieferanten und ihre Mannschaft zusammen: unter anderem einen Elektroingenieur für die Hardware, zwei Textilingenieurinnen und Modedesigner Paul Syrnicki, der im Hauptberuf Brautmode maßschneidert.

Eineinhalb Entwicklungsjahre später sitzen alle zusammengepfercht in dem viel zu engen Frankfurter Übergangsbüro einer befreundeten Firma. Die Mitarbeiter klemmen sich an Schreibtische zwischen Kleiderstangen mit Antelope-Leibchen, und alle starren sie gebannt auf die App, die Zahlungseingänge anzeigt. Es ist der erste Tag der Crowdfundingkampagne. Jedes Mal wenn sich jemand einen Anzug zum Early-Bird-Preis von 800 Euro sichert, macht die App von Indiegogo „bing“. Bing, bing, bing, so geht das alle paar Sekunden. Es dauert keine drei Stunden, da hat Antelope schon die 100 000-Dollar-Hürde gerissen.

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Die Elektroden sind in Kompressionsgewebe integriert, damit sie nicht verrutschen. Der Stoff muss nicht nass gemacht werden.

Crowdfunding? Marketing!

So märchenhaft der Crowdfunding-Erfolg in diesem Moment erscheint: Die Kampagne ist stringent geplant. Über Monate haben Ratschlag und sein Team sie vorbereitet, haben sich in Deutschland mit sämtlichen erfolgreichen Crowdfundern ausgetauscht, noch jede Visitenkarte früherer Kontakte hervorgekramt und sie angeschrieben, sind im Silicon Valley auf Roadshow gegangen. Dass in den USA nicht schon längst jemand schneller und kapitalstärker die gleiche Idee vorantreibt – fast jede Fitnessinnovation kommt aus Amerika –, hat wiederum einen einfachen Grund: Trifft Strom auf Haut, fordert die strenge amerikanische Gesundheitsaufsicht FDA eine medizinische Zulassung. Eine Markteintrittshürde, die US-Wettbewerber abschreckt und Antelope einen großen Zeitvorsprung verschafft. Zumal EMS eine deutsche Erfindung ist.

Auch wenn Crowdfunding hierzulande deutlich seltener funktioniert als in den USA, auch wenn Wagniskapital spärlicher fließt, so ist Rathschlag doch überzeugt: „Wenn man eine wirklich gute Idee und ein wirklich gutes Team hat, bekommt man selbst in Deutschland Geld.“ Nicht nur über Crowdfunding, das Antelope eher zu Marketingzwecken startet. Von den sieben weitgehend im Fitnessstudio rekrutierten Business-Angels hat jeder im Schnitt 100 000 Euro in das junge Unternehmen gesteckt. Und sie alle sind handverlesen, vom Deutschlandchef der Beratungsgesellschaft Bain bis zum Vertriebschef des Textilienherstellers Peppermint. „Wir wollten wirklich Smart Money haben. Leute, die uns weiterhelfen mit ihrem Netzwerk und Know-how“, sagt Rathschlag.

In der „Höhle der Löwen“ haben sie solche Leute jedenfalls nicht gesucht. „Wir haben die Unternehmensbewertung ziemlich hoch angesetzt, weil wir gar keinen Investor von da wollten“, gesteht Rathschlag. „Wir haben ja schon welche.“ Antilopen wissen Löwen eben ganz gut auszutricksen.

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