Leadership & Karriere Wittkamp: In Berlin muss jeder, der sich noch nicht aufgegeben hat, an einem Projekt arbeiten

Wittkamp: In Berlin muss jeder, der sich noch nicht aufgegeben hat, an einem Projekt arbeiten

Unser Kolumnist Peter Wittkamp hat ein Problem: Alle in Berlin reden andauernd über ihre Projekte – nur er hat keines.

Unangenehme Situation. Eine Party in Berlin. Ein Startup feiert den 5.000. Instagram-Follower, den 1.000. Tweet oder den ersten verdienten Euro. Irgendwas in diese Richtung.

Gut, das ist prinzipiell noch keine unangenehme Situation. Die kommt später.

Erst mal steht man so da, in einer „nicen Location“ mit Flying Buffet und zwitschert das Getränk, das 2017 den Moscow Mule als neuen Gin Tonic abgelöst hat. Was auch immer es sein mag. Ich rate jetzt mal: Rum Cola. Das stimmt vermutlich nicht, aber man wird ja wohl noch hoffen dürfen. Schließlich sehnen sich die Menschen, wohin man schaut, gerade nach eher einfachen Lösungen. Rum Cola bietet einfache Lösungen. Ein Trump im Glas.

Jetzt aber die unangenehme Situation: Man steht also immer noch da in einer kleinen Runde, unterhält sich darüber, dass Töpfern das neue Yoga ist, und aus heiterem Himmel fragt einer, an welchen Projekten man derzeit arbeitet. Oh, oh!

Die ehrliche Antwort wäre: „Mein Projekt ist gerade, mir auszudenken, welches Projekt ich jetzt nenne. Denn ich habe gar keines!“

So naiv bitte nicht antworten! Denn in Berlin muss jeder, der sich noch nicht aufgegeben hat, an einem Projekt arbeiten.

Auf den ersten Blick dienen diese Projekte dazu, sich kreativ zu verwirklichen, neue Geschäftsmodelle zu entdecken und die pulsierende Metropole voranzutreiben.

So entstehen Dinge wie: smarte Startups, süße Shops, nett zusammengezimmerte Clubs, karitative Initiativen, spannende Blogs, halblustige Business-Punk-Kolumnen, witzig bedruckte Jutebeutel oder Läden ohne Verpackungsmüll. Einerseits.

Andererseits natürlich auch viel Quatsch. In meiner Straße in Neukölln gibt es zum Beispiel ein Geschäft für japanische Schreibwaren und französisches Gebäck (seit Chinatsu und Jacques-Clément von nebenan zusammen sind, hat der Laden sogar eine Zielgruppe).

Es ist jedoch eigentlich vollkommen egal, ob Projekte erfolgreich oder eher abseitig sind. Denn ihr Zweck ist es vor allem, die ganzen jungen Irren in dieser Stadt zumindest von 14 bis 18 Uhr mit irgendwas zu beschäftigen. Nicht auszudenken, wenn die schon am Nachmittag unkontrolliert durch die Stadt ziehen. So früh haben die meisten Craft-Beer-Bars ja auch noch gar nicht auf.

Wer also gar nicht erst negativ auffallen will im kreativen Berlin, braucht ein Projekt – und damit zurück zur Party-Bredouille.

Mit einem von mir entwickelten gedanklichen Bausatz lässt sich in Windeseile eine spannende Antwort auf die Projektfrage zusammenbasteln. Und das geht so:

  1. An das denken, was man zuletzt in der Hand hatte.
  2. Dann geschickt mit einem der folgenden Begriffe verbinden: Crowdfunding, Digitalisierung, 3D-Drucker, Geflüchtete oder „100 Prozent bio, vegan und nachhaltig“.
  3. Dem Projekt den Namen des ersten Haustiers geben!

Frei ergänzt werden können auf Wunsch kleine Zusätze wie „mit ein paar Freunden“, „ein kleines Startup“ oder „bis jetzt nur auf einem Bierdeckel“.

Die Möglichkeiten der Projekte aus meinem Baukasten sind zahlreich: „Ich sitze gerade an einer spannenden Sache, bei der wir Zigaretten über 3D-Drucker distribuieren wollen. Arbeitstitel: Morle!“

„Mit ein paar Freunden bin ich dabei, den Döner zu revolutionieren. Aber 100 Prozent bio, vegan und nachhaltig. Das Ganze nennt sich Karlo!“

„Fernbedienungen und Geflüchtete. Bis jetzt nur eine Idee auf einem Bierdeckel. Aber da steckt was drin. Mit Amadeus haben wir immerhin schon mal einen guten Namen.“

„Ich kann noch nicht so viel verraten, aber in meinem kleinen Startup Lumpi sind wir dabei, das Thema Klopapier ganz neu zu denken und da vor allem auch die digitalen Möglichkeiten im Blick zu haben.“

Mach es zu deinem Projekt!

Peter Wittkamp: Der Kreative und freie Autor denkt sich Gags für die „Heute-Show online“ aus. Außerdem betextet er die Social-Media-Kanäle der BVG. Auch lustig: Wittkamps Tweets unter @diktator.

Der Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe 02/2017 der Business Punk. Titelgeschichte: “Berlin. Deutschlands überschätzteste aufregendste selbstverliebteste ehrgeizigste Startup-Szene.“ Mehr Infos gibt es hier.

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