Leadership & Karriere Startup “Ring“: Von der Beinahepleite zum Unicorn

Startup “Ring“: Von der Beinahepleite zum Unicorn

Die Geschichte von James Siminoff und seinem Startup Ring. Ein Lehrstück über das Dranbleiben, Durchhalten und Glückhaben.

Manchmal kommt es vor, dass das Unternehmerdasein einem Märchen der Gegenwart ähnelt. Einer Geschichte, die man mühelos mit Ryan Gosling und Emma Watson in den Hauptrollen verfilmen könnte. Zum Beispiel die von James Siminoff. Der war auf dem Flug von Kongo nach Tunesien, Umsteigen in Brüssel, verpasste dort den Anschlussflug um eine einzige Minute und strandete im Flughafenhotel – für einen 23-jährigen Gründer viel zu teuer, aber keine Wahl. Also das Beste draus machen. Noch ein letztes Mal an den PC im Businesscenter – das Ganze hier ist bald 20 Jahre her – und E-Mails checken. Dann an die Hotelbar und den Frust über den verlorenen Tag mit zwei ebenfalls viel zu teuren Bieren runterspülen.

Es mag halb zwölf gewesen sein, als der leicht beschwipste und völlig übermüdete Siminoff sich auf den Weg in Richtung seines Zimmers macht. Im Fahrstuhl fragt ein Mann, auf welche Etage er müsse. Siminoff nennt sein Stockwerk. „Sie hören sich an wie ein Amerikaner“, sagt der Mann. „Und Sie sehen aus wie Richard Branson“, antwortet Siminoff. Wobei es natürlich unwahrscheinlich ist, dem Gründer der Virgin Group, dem Besitzer einer eigenen Airline, Milliardär, Siminoffs Vorbild als Unternehmer, im Fahrstuhl eines schmucklosen Brüsseler Flughafenhotels zu begegnen. „Well“, sagt der Mann, „ich bin Richard Branson.“

Verschollener Investor

Siminoff baute damals gerade in Kongo ein VoIP-Netzwerk auf. Branson hatte 1999 den Telefonanbieter Virgin Mobile gestartet. Afrika, Telekom, Satelliten, die beiden plaudern eine halbe Stunde miteinander. Doch am Ende hatte keiner von ihnen eine Karte dabei. Er solle ihm eine Notiz schreiben und an der Rezeption abgeben, sagt Branson. Dann trennen sie sich.

„Ich habe eine schlechte Handschrift“, sagt Siminoff. Die hatte er damals schon, also gab er sich besonders viel Mühe. Langsam malte er Buchstaben für Buchstaben auf den Zettel. „Es sah aus wie das Gekrakel eines Verrückten.“ Als er seine Nachricht am folgenden Morgen an der Rezeption abgeben will, heißt es: „Verzeihung, aber hier gibt es keinen Richard Branson.“ – „Verstehe“, pariert Siminoff. „Aber wenn jemand kommt, der wie Richard Branson aussieht, können Sie ihm dann …?“ – leider nein. Er hat den Zettel dann an Bransons Londoner Büro geschickt. Entweder ist er nie angekommen, oder das Gekrakel wurde einfach entsorgt. Zumindest hat Siminoff die nächsten 15 Jahre nichts mehr von Branson gehört. Dabei hätte er die Millionen, die Branson später in Siminoffs Startup Ring investiert hat, in der Zwischenzeit mehrmals echt gut brauchen können.

Rettungsring „Shark Tank“

Siminoff baut heute keine VoIP-Netzwerke mehr auf, er entwickelt stattdessen Hightech-Türklingeln. Nachdem jemand auf deren Knopf gedrückt hat, wird ein Videobild des Klingelnden aufs Handy des Hausbesitzers geschickt. Geld verdient Ring mit dem Verkauf der Hardware und zusätzlichen Cloud-Services wie dem Speichern der Clips von Paketboten, Besuchern oder potenziellen Einbrechern. Ein Produkt, dessen Zielgruppe man irgendwo zwischen technikverliebten Geeks und ausgewachsenen Paranoikern vermuten würde. Doch spätestens seit Amazon neulich die Video-Haustür-Schließanlage Key angekündigt hat, dürfte klar sein, dass in der Kombination von Türklingel und Internet of Things Potenzial schlummert.

Ring selbst hat in den vergangenen vier Jahren über eine Million Klingeln verkauft und arbeitet aktuell an einem kompletten Alarmsystem für Privathäuser. Siminoff taxiert den Wert seiner Firma auf über eine halbe Milliarde Dollar (Anm. der Red., Update: Mittlerweile hat Amazon Ring für mehr als eine Milliarde Dollar gekauft). Passabel für ein Garagen-Startup, das vor vier Jahren pleite war, dann auch noch ein essenzielles Investment verpasste, irgendwie doch überlebte – um schließlich ein Produkt an seine Kunden auszuliefern, das nicht funktionierte. Aber der Reihe nach.

Fangen wir bei der Beinahepleite im Jahr 2013 an. Ein Gründer in seiner Garage, sagt Siminoff, das klinge immer so romantisch. „Aber in der Rückschau war es schrecklich.“ Klar arbeitete er an einem Produkt, von dem er überzeugt war, und natürlich hoffe er auf den großen Erfolg. Doch die Realität damals sah so aus, dass ihm das Geld ausging und seine Klingel immer noch mehr Prototyp als Produkt war. Der Unternehmer brauchte einen Investor, um sein kleines Team bezahlen und die Klingel im großen Maßstab produzieren lassen zu können. Also bewarb er sich bei der Startup-Castingshow „Shark Tank“ und wurde tatsächlich genommen.

Erfolgreicher Pitch?

Ein paar Monate später steht dann im Studio eine Haustürattrappe, an der Siminoff den VCs um den Star-Wagniskapitalgeber Mark Cuban seine Klingel vorführen will. „Please work, please work, please work …“, spult Siminoff im Kopf sein Mantra ab. Dann geht es los. Knock, knock, klopft Siminoff an die Studiotür. „Who’s there?“, fragt Cuban. Siminoff: „It’s Jamie?“, fragt er mehr, als dass er es sagt. „Who?“ – „It’s Jamie“, jetzt schon selbstsicherer. Also raus. Siminoff erklärt, sichtlich angespannt, was seine Klingel tut – „Stellt es euch als eine Art Caller-ID für die Haustür vor“ – und bietet den Sharks zehn Prozent seiner Firma für ein 700 000-Dollar-Investment an. Cuban meint anschließend, er glaube zwar, es sei ein gutes Produkt, investiert aber nicht. Auch keiner der anderen Sharks. Siminoffs Resthoffnung: dass sein Pitch es trotzdem in die TV-Ausstrahlung schafft und die Klingel so potenzielle Kunden erreicht.

Wann und ob überhaupt sein Auftritt bei „Shark Tank“ gesendet wird, erfährt Siminoff allerdings erst vor dem Fernseher. Also warten und hoffen, zwei Monate lang. Dann bringen sie tatsächlich seinen Pitch, gleich in einer der ersten Folgen der Staffel. Wäre er später dran gewesen, „ich glaube nicht, dass es die Firma heute noch geben würde“, sagt Siminoff.

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