Leadership & Karriere Claude Grunitzky – der Kontaktmann

Claude Grunitzky – der Kontaktmann

20 NEUE FREUNDE

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Stephanie Füssenich

Die Unruhe treibt ihn voran. Immer schon. Angefangen hatte alles mit der Flucht aus Frankreich. Nach dem Studium an der französischen Eliteuniversität Sciences Po war Grunitzky nach London gegangen. Er hatte für Kulturmagazine geschrieben und mit 24 Jahren das Mode- und Hip-Hop-Magazin „Trace“ gegründet. Grunitzky war ehrgeizig. Seine Mission: das beste Urban Magazine der Welt zu machen.

Der blutjunge Grunitzky begriff schnell, welche Ware für einen Herausgeber die wichtigste ist: Kontakte. Er traf Künstler, Fotografen, Produzenten und freundete sich mit der damals als Designerin noch fast unbekannten Stella McCartney an. Jede Begegnung war eine Chance. Keine Visitenkarte, die er erhielt, verlor er wieder. Die meisten Leute seien oberflächlich gewesen und hätten auf den Partys nur gequatscht, erzählt Grunitzky. „Ich war der Typ, der sich später auf jeden Fall meldete.“ Auf Fotos aus dieser Zeit sieht Grunitzky aus wie ein großes Kind, das sein Glück kaum fassen kann.

Es gibt Menschen, die müssen sich anstrengen, gemocht zu werden. Und andere, denen Sympathien einfach entgegenregnen. Grunitzky hat ein offenes Gesicht. Er ist lässig und freundlich und schnell. Er weiß, was man bei einem Treffen mit einem Rapstar sagen muss und was bei einem Interview mit der „New York Times“. Wenn er sich mit jemandem unterhält, erkundigt er sich gewissenhaft nach dem Namen und vergisst ihn danach nie mehr. Nach dem Dinner im Rathaus sagte eine der Politikerinnen: „Du könntest Claude in einen Raum mit 20 Fremden sperren. Wenn du die Tür wieder aufmachst, hat er 20 neue
Freunde.“

In London klappte das so gut, dass Grunitzky sich ein System ausdachte, das sein Leben für immer veränderte. In einer Datenbank sammelte er alle Namen un Informationen, die er zu einer Person hatte. Geburtsdatum, Beruf, Hobbys. Die wichtigsten Namen aber schrieb er in ein kleines Notizbuch, das er noch aus Studienzeiten besaß. Grunitzky wusste, dass es nicht auf die Masse ankam, aber auf die Pflege der wichtigen Kontakte. Er stellte eine Regel auf: Menschen aus dem Notizbuch versuchte er einmal im Monat zu treffen. Leute aus der Datenbank bekamen Geburtstagskarten und gelegentlich Einladungen zu Partys. Es war nicht kompliziert, aber es half, Ordnung zu halten. Heute befindet sich in Grunitzkys Datenbank eine Kleinstadt: 7 000 Namen. Neben 3 000 Freunden auf Facebook und 2 000 Kontakten auf LinkedIn.

Wer Grunitzky begleitet, der lernt einen Mann kennen, der ständig twittert, Nachrichten und E-Mails schreibt. 18 Stunden am Tag. Grunitzky ist eine Ein-Mann-Nachrichtenzentrale. Auszeiten nimmt er sich nur in Brasilien, wo er ein Haus mitten im Urwald besitzt. Ohne WLAN und Handynetz. „Ohne das würde ich wahrscheinlich den Verstand verlieren“, sagt er. Wenn ihm alles zu viel wird, setzt er sich in ein Flugzeug und verschwindet. Alle paar Monate kommt das vor. An einem normalen Tag aber steht er um 6 Uhr auf und verwendet knapp drei Stunden da­rauf, das Netzwerk zu pflegen. Ist er in New York, sitzt er dabei am Schreibtisch seiner 200-Quadratmeter-Wohnung in Manhattan und kann durch die Fenster die Sonne über der Wall Street aufgehen sehen.

DAS SYSTEM SAUBER HALTEN

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Stephanie Füssenich

Das System, das Grunitzky entworfen hat, um seine Welt aus Namen zusammenzuhalten, ist radikal. Grunitzky unterteilt seine Kontakte nicht in privat oder geschäftlich. Er denkt in konzentrischen Kreisen. Das Herzstück bildet eine Gruppe von 50 Menschen. Seine engsten Vertrauten, Freunde und wichtigsten Businesspartner finden sich da­rin. Mit ihnen steht er ständig in Kontakt, schreibt, telefoniert und trifft sie so häufig wie möglich. Je größer der Kreis, desto weniger intensiv die Pflege. Er sagt: „Das Wichtigste ist es, das System sauber zu halten.“

Menschen wie Grunitzky bekommen pro Woche Hunderte Nachrichten von Leuten, die sie nicht kennen. Dagegen muss er sich schützen. Aber auch bestehende Kontakte landen auf der Abschussliste. Er überprüft und erneuert. Permanent. Wer nichts nützt, fliegt raus. Man kann darin professionelle Konsequenz sehen – oder kalte Berechnung.

Ist er oberflächlich?

„Nein. Aber wenn mir jemand eine Beziehung vorgaukelt, um an Rihanna ranzukommen, dann schneide ich ihn ab. Ich kann meine Zeit nicht mit Menschen verschwenden, die mich nur benutzen wollen.“

Aber tut er nicht das Gleiche?

„Ich bitte nur Leute um Hilfe, denen ich im Gegenzug auch etwas bieten kann. Es geht um Balance. Wie bei einem Geschäft.“ Aber wer etwas erreichen wolle, sagt Grunitzky, müsse vor allem eines: „Ins Zen­trum der Gravitation vorstoßen.“

Gelernt hat er das in New York. Grunitzky, damals 28 Jahre alt, zog 1998 mit seinem Magazin von London nach New York. Ein ­Abenteuer. Grunitzky war von New York besessen, der einzige Ort auf der Welt, an dem es wichtiger war, was man tat, als wo man herkam. Gelandet war er zunächst in einem kleinen Apartment in der Bronx. Wenn er aus dem Fenster schaute, konnte er die Crackdealer auf der anderen Straßenseite sehen. Mit seinen Magazinen unter dem Arm lief er zu Fuß die Werbekunden der Stadt ab. Die Bündel waren schwer. Nach ein paar Monaten hatte er sich die Schulter ruiniert.

New York war schwieriger als gedacht. Ein Jahr nach seiner Ankunft konnte Grunitzky seine Angestellten nicht mehr bezahlen. Er schlief immer schlechter, alles drohte zu scheitern. Zur gleichen Zeit starb auch sein Vater. Grunitzky flog nach Togo. Er stand am offenen Sarg des Vaters in einem festlich geschmückten Saal und fragte sich, wie es weitergehen sollte. Heute sagt er: „Ich wollte alles zu sehr, war zu verbissen.“ Das noch größere Problem jedoch war: Ihm fehlten die richtigen Kontakte. Es musste etwas passieren.

Grunitzky sagt: „Ohne Bethann hätte ich es nicht geschafft.“ Bethann Hardison war in den 70er-Jahren eines der ersten schwarzen Supermodels, gründete 1984 eine eigene Modelagentur und war eine einflussreiche Frau in New Yorks Upperclass. Grunitzky hatte ihr geschrieben, als er nach New York gekommen war, er wollte sie kennenlernen. Jetzt, ein Jahr später, stand er in ihrem Büro. Hardison mochte Grunitzky. Die Energie. Den Ehrgeiz. Sie wurde seine Mentorin. Noch heute treffen sie sich regelmäßig in New York. Immer das gleiche Restaurant, immer der gleiche Tisch.

Hardison stellte ihm die richtigen Leute vor und nahm ihn mit zu den wichtigsten Partys. Er lernte David Bowie und seine Frau Iman kennen und freundete sich mit der Musikmanagerin Sylvia Rhone an, die ihm Lunchtermine mit den wichtigsten Wirtschaftsköpfen organisierte. Grunitzky hatte sich auf ein Katapult gesetzt, das ihn nach oben schleuderte. Grunitzky sagt: „Sobald ich Zugang zu einem bestehenden Netzwerk habe, kann ich es erweitern. Man braucht nur eine offene Tür.“

Zum Durchbruch verhalfen ihm die Partys, die er mit ­seinem Magazin „Trace“ veranstaltete. Die Abende bei Grunitzky waren nicht der übliche Champagner-Small-Talk. Sondern so bunt wie sein Adressbuch. Grunitzky mietete Galerien und Clubs und verbrachte Tage damit, den richtigen Mix aus Menschen zusammenzustellen. Grunitzky wusste, dass nichts so eintönig ist wie die immer gleichen Gesichter auf den immer gleichen Partys. Immerhin hatte er sein halbes Leben auf solchen Veranstaltungen verbracht.

Es kamen Künstler wie Beyoncé, Sportler und Wirtschaftsbosse. Schnell zählten die „Trace“-Partys zum Angesagtesten, das New York zu bieten hatte. Jeden Monat tänzelte Grunitzky durch ein Meer aus Menschen. Außerdem machte Grunitzky private Netzwerkdinners, zu denen er jedes Mal zwölf Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen einlud.

Es dauerte nicht lang, und er war das, was er immer sein wollte: sein eigenes Epizentrum. Obendrein baute er eine eigene PR-Agentur auf. Zog mit seinen Kontakten Kunden wie Puma und Levi’s heran. Seine Anteile verkaufte er nach einigen Jahren für geschätzte 40 Mio. Dollar.

Grunitzky gähnt. Zum Hotel ist er zu Fuß gegangen, und das erste Mal an diesem Abend sieht er wirklich müde aus. Er schaut sich um. Eine leere Straße, dunkle Schaufenster. „In diesem Land kann man sich wirklich einsam vorkommen“, sagt er. Man kann nicht sehen, ob er lächelt. Dann verschwindet er im Bauch des Hotels.

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