Leadership & Karriere Christian Lindner: Das Comeback

Christian Lindner: Das Comeback

Eine Partei als Opfer

Trotzdem ist all das nur die halbe Wahrheit. Die FDP war nämlich nur das erste Opfer eines viel größeren Wandels der Politik, an dessen Ende keine Partei mehr sein wird, wie sie war. In Europa und im Grunde der ganzen westlichen Welt findet seit einigen Jahren ein fundamentaler Niedergang der traditionellen Parteien statt. Er beginnt damit, dass diese in Deutschland alle Vereine älterer Menschen sind und starre Organisationen, von denen sich junge Menschen zunehmend weniger repräsentiert fühlen.

Es geht damit weiter, dass die Wähler von der derzeitigen Politkultur genervt sind. Der öffentlich aufgeführte Streit der Parteien, die gespielte Empörung in Talkshows unter langjährigen Koalitionspartnern, die ängstlich zusammengestrichenen Interviews mit Spitzenpolitikern, die ganze bemühte Art, Politik zu inszenieren, funktioniert nicht mehr. Es ist nicht bloß, dass es ein falsches Spiel ist – es ist, viel schlimmer, auch noch furchtbar langweilig.

Und es endet damit, dass kaum ein Mensch unter 50 noch Lust hat, seine Abende bei einem mehr oder weniger politischen Stammtisch zu verbringen. Ganz davon zu schweigen, dass Parteitage immer ein bisschen wie auf Ketamin aufgeführte Theaterstücke aus einer längst vergangenen Zeit wirken, liebe Genossinnen und Genossen, liebe Parteifreunde, meine sehr verehrten Damen und Herren. ZZZZzzzzzzz.

Je nachdem, wie man es heute sehen will, war es bloß eine Verkettung misslicher Umstände oder Glück, dass es in Deutschland zuerst die FDP getroffen hat. Die Grünen kämpfen auf ähnliche Weise seit einigen Jahren um ihre Relevanz. Die SPD bräuchte schon lange einen grundsätzlichen Neuaufbau. Und wie es bei der Union nach Angela Merkel weitergehen soll, wofür CDU und CSU inhaltlich eigentlich stehen, das kann derzeit auch niemand so genau sagen.

Es genügt ein Blick nach Frankreich, um zu verstehen, dass Tradition und Organisation nichts mehr gelten und für exakt nichts mehr garantieren: Frankreichs Sozialistische Partei ist vor Kurzem von 280 auf 30 Mandate in der Nationalversammlung zusammengeschrumpft. Die regierende Kraft hat faktisch innerhalb weniger Jahre einfach komplett aufgehört zu existieren. Todesurteil: zu starr, zu stur, nicht reformfähig. Doch wenn man weiter so durch Europa schaut, zeichnet sich gleichzeitig bereits ab, wie die neue Welt aussehen wird: jung, smart und immer gut drauf. Und auch, wie sie organisiert sein wird: schlank, schnell und schlagfertig.

Da wäre Leo Varadkar, der eben gewählte, indischstämmige und offen schwul lebende Premierminister Irlands. Oder Sebastian Kurz, Außenminister Österreichs und Vorsitzender der konservativen ÖVP, der gerade die auf den ersten Blick irrsinnig klingende „Bewegung Sebastian Kurz – die neue Volkspartei“ gegründet hat, um der verknöcherten ÖVP eine bunte Mischung an Wahlkreiskandidaten nach seinen Vorlieben diktieren zu können. Und da ist natürlich vor allen Dingen Emmanuel Macron, der junge, gut aussehende Präsident Frankreichs, dessen Bewegung „En Marche!“ ihre Kandidaten durch ein zentralisiertes Auswahlverfahren ausgesucht hat – und so die unter Gender-, Religions- und Klassengesichtspunkten vielfältigste Parlamentsfraktion, die Frankreich je gesehen hat, zusammenstellen konnte. Sie alle organisieren Politik wie auch Justin Trudeau in Kanada oder einst Barack Obama in den USA nicht bloß anders, sie kommunizieren nicht nur einfach neu – sie sind sämtlich vergleichsweise jung. Macron ist 39, Kurz 30, Varadkar 38 – genau wie Christian Lindner. Eine neue Generation sucht sich neue Wege zur Macht.

Christian Lindnder
Bestätigung: “Der Erfolg in NRW war sozusagen mein Proof of Concept.“ (Foto: Henning Ross)

Wenn man wissen will, wie groß der Unterschied zwischen der alten und der neuen Welt ist, muss man sich nur die Youtube-Videos des ersten FDP-Parteitags nach der verlorenen Bundestagswahl 2013 anschauen: ein Meer von älteren Herren, dunklen Anzügen, herrlich unmodische Krawatten, dunkelblaue Rückwand, senfgelbes Parteilogo. Ein Bild wie aus den späten 70ern. Falls sich Historiker irgendwann mit den letzten Atemzügen der alten FDP befassen wollen: Hier können sie fündig werden.

Abgerocktheit als Chance

Knapp dreieinhalb Jahre später sitzt Christian Lindner in seinem Büro im Landtag in Düsseldorf und ist leicht aufgekratzt. Der Anzug passt besser, die Frisur ebenfalls, und Lindner genießt es sichtlich, dass sich neuerdings alles um ihn dreht. Es ist der Tag der Vereidigung Armin Laschets zum neuen Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens. Lindner hat gleich im Anschluss einen Termin mit der ARD, die FDP wird wieder im größten deutschen Bundesland mitregieren. Und nicht nur das: In NRW wie in Schleswig-Holstein hat Lindners Partei zweistellige Wahlergebnisse geholt. Kein schlechter Augenblick, um mit dem Parteichef darüber zu sprechen, wie er aus der abgehalfterten, innerlich zerstrittenen, weitgehend inhaltslosen FDP eine Partei gemacht hat, die bald wieder in den Bundestag einziehen könnte.

„Ich habe in dieser Sekunde, in der alles runtergerockt war, gesagt: Jetzt musst du’s machen“, sagt Lindner über den Moment damals in der Dusche am dramatischen Wahlabend 2013. Denn so schlimm es um die FDP stand, für Lindner persönlich lief es. ­Einerseits hatte er bei der NRW-Landtagswahl 2012 zeigen können, dass man mit seiner Idee von liberaler Politik Stimmen hinzugewinnen kann. „Der Erfolg in NRW war sozusagen mein Proof of Concept“, sagt Lindner. Andererseits hatte er damals eine Partei vor sich, die keine Energie mehr für interne Diskussionen aufbringen mochte. Und, hart formuliert, eigentlich keine andere Wahl, als sich Lindner an den Hals zu werfen. Man wählte ihn zum neuen Vorsitzenden, nun konnte Lindners Plan greifen.

Erster Schritt: die Partei hinter sich zu versammeln, über die Ausrichtung und Inhalte zwar zu reden, aber mit klarem Profil. Das hieß auch, Richtungen klar auszuschließen. „Es wurde ja viel diskutiert und empfohlen, die FDP möge wieder anknüpfen an die Zeit von 1969 und linksliberal und gefällig werden“, sagt Lindner. „Das haben wir nicht gemacht. Aber wir haben auch gesagt: Wir werden nicht den Euro-Hassern hinterherlaufen, weil das am Ende immer in autoritärer und damit antiliberaler Politik mündet.“ Schon in den zwei Wochen nach der verlorenen Wahl verfassen die FDP-Fraktionen, die in den Landtagen geblieben sind, die „Stuttgarter Erklärung“. Darin zeigen sich die ersten Umrisse einer anderen Partei. Einer, die eine „faire Wirtschaftsordnung“ fordert, „die die Fleißigen und nicht die Rücksichtslosen belohnt“, dazu „die demokratische Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an politischen Entscheidungen“, „die marktwirtschaftliche Gestaltung der Energiewende“ und „die aktive Toleranz gegenüber vielfältigen Lebensentwürfen“. Es ist Lindners ganz persönliches Verständnis von Liberalismus, das da aufgeschrieben wurde.

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