Life & Style Alex Gross verhöhnt in seinen Bildern unsere Gegenwart

Alex Gross verhöhnt in seinen Bildern unsere Gegenwart

In seinen Ölgemälden verspottet Alex Gross unsere von Konsum und Social Media verdorbene Gegenwart. Mit heißer Wut und verstörendem Witz.

Würde man einen Schauspieler aus dem Improtheaterkurs der Volkshochschule bitten, den Begriff „Schlafdefizit“ zu mimen, dann würde er sich wahrscheinlich so anstellen wie gerade Alex Gross: Langsames Rühren in der Tasse. Fragen, an denen er vorbeihört und auf die er nicht direkt reagiert. Gähnen, immer wieder Gähnen und Gesprächspausen. Die naheliegende Antwort auf diese Show ist natürlich, dass es bei Gross an der US-Westküste gerade erst kurz nach sechs Uhr am Morgen ist, er aber schon wie jeden Morgen in seinem Atelier steht. Wer es eleganter mag und Gross’ Beruf einfließen lassen will, kann auf die Idee kommen, dass der Künstler ob der Gegenwart schrecklich ausgelaugt ist.

Und damit hätte man nicht unrecht, denn Gross kommt ohne Umwege auf sein Thema: „Unsere Welt ist mehr und mehr von Menschen besiedelt, die leer aussehen. Wahrscheinlich wegen der Technologie.“ Ein Pep-Talk am Morgen klingt anders. Aber Gross fasst ja nur das zusammen, was jeder Betrachter in seinen Gemälden gleich auf den allerersten Blick an der Oberfläche sehen kann: zu satte Menschen. Wunschlosigkeit. Markenlogos. Dazu eine verwirrende Perspektive, der es an Flucht und Fokus mangelt, in der alle Bildteile gleich laut und wuchtig erscheinen – sprich, das perfekte Sinnbild für eine Gegenwart, in der alles auf einmal laut und lauter tönt und nach Aufmerksamkeit schreit, in der niemand so richtig weiß, was überhaupt wichtig ist und was nicht. Und damit ist Gross, mittlerweile fast 50 Jahre alt, in den letzten Jahren ganz analog in die Reihe interessanter Stimmen aufgestiegen, die mehr und mehr wahrgenommen werden. Seine Werke, das kann man immer und immer wieder in den Kommentaren in seinem Instagram-Feed lesen, gelten vielen als prophetisch. Davon will er selber aber nichts wissen: „Ich bin wohl einfach ein alter, übellauniger Typ“, sagt er. Aber wie ist er dahin gekommen?

Gleich nach der Werbung

Antwort, wie so oft: über die Werbung. In den 90er-Jahren arbeitet er als Illustrator für Agenturen. „Damals dachte ich, dass man da schnell Geld verdienen kann. Dem war auch so.“ Aber schon nach ein paar Jahren fällt ihm etwas Interessantes auf. Gross sagt: „In den späten 90ern haben in den USA viele Illustratoren angefangen, sich ernsthafter Kunst zu widmen. Ihre Werke wurden oft in Galerien ausgestellt.“ Winkten Kuratoren davor noch ab, wenn der Illustrator mit der Mappe aufkreuzte, fand damals eine Spaltung statt: Junge Galerien begannen, sich für die ebenfalls jungen Typen zu begeistern, die es gewohnt waren, lange zu arbeiten und schnell zu liefern. Diese Illustratoren mit dem Background in der Werbung waren schlichtweg die Chance für neue Galeristen, sich gegen die etablierten Aussteller durchzusetzen. Und Gross war froh: „Kein Artdirector, der dir sagt, was du machen sollst. Nur malen.“ Und nur freundliche Aussteller, die dankbar waren, dass immer wieder fix und problemlos gut aussehende Bilder an den Wänden hingen und die Egos der Künstler noch im Zaum zu halten waren.

Gross erinnert sich: „Das war mein Ausweg. In der Werbung musst du dich als Künstler immer und immer wieder wiederholen, das macht irgendwann die Birne weich.“ Ab Ende der 90er hat er sich dann ausschließlich der Kunst gewidmet.

Es folgte ein langer Aufenthalt in Japan, wo er intensiv die traditionelle Zeichenkunst vor Ort studierte. Damals beschäftigte er sich auch noch stark mit viktorianischer Kunst. „Ich habe nicht das gemalt, was um mich herum geschah, sondern das, was vor 100 Jahren passierte.“ Auch das Folge seiner Japan-Erfahrungen, wo Leben und Wirken etwas leiser stattfinden. Aber nach und nach wollte Gross die reine Oberfläche verlassen und ein Statement liefern. Seine Kunst sollte vor allem eines leisten: „Ich wollte, dass meine Bilder zeitgenössischer aussehen.“

Nach etlichen Werkschauen in den ganzen USA und vier Büchern, die sich allein seinen Bildern widmen, kann man problemlos sagen, dass Gross einen Nerv getroffen hat. Er nutzt Elemente aus dem Surrealismus, trotzdem muss man keine Angst haben, dass einem hier bescheuerte, über tote Äste hängende, wachsweiche Uhren begegnen. Wobei: Auf den ersten Blick ist das schon in der Ikea-Einrichtungswelt vorstellbar. Gross sagt müde: „Ich bediene mich des Surrealismus, weil er einen Einblick in das geben kann, was uns als Spezies bevorsteht.“ Und, klar, so ein Kommentar zur Gegenwart ist ja immer reizvoll: die leeren Augen, die zusammenhangslosen Logos, die Echsenköpfe, ein bisschen Grusel für Leute, die auch Bret Easton Ellis lesen.

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