Leadership & Karriere Explain baut so brillante Präsentationen, dass Dax-Konzerne dafür viel Geld bezahlen

Explain baut so brillante Präsentationen, dass Dax-Konzerne dafür viel Geld bezahlen

Präse der vierten Dimension

Die Zukunft von Powerpoint versteckt sich hinter dem Rolltor einer unscheinbaren Garage in Hagenbach. In dem Dorf 15 Kilometer von Karlsruhe steht der Prototyp eines 360-Grad Präsentationsraums. Shuttle X haben sie die mit sechs HD-Laserbeamern ausgestattete Rotunde von sechs Metern Durchmesser getauft. Darin lassen sich Videos zeigen, vor allem aber entsprechend angepasste Powerpoint-Präsentationen, die das Publikum komplett umschließen. Drinnen surren über den Köpfen leise die Lüfter der Beamer. Es riecht neu, ein bisschen nach Messestand. Doch sobald die Präsentation startet, absorbiert sie sämtliche Aufmerksamkeit, was eindrucksvoll ist, aber nicht nur angenehm. Denn zum Zeitpunkt der Vorführung wird noch viel experimentiert, das Team hat mit kleineren Bugs zu kämpfen. So springen aus noch ungeklärtem Grund bestimmte Folien bei den Übergängen. Alles noch sehr beta. Aber man habe schon viel über die No-Gos der 360-Grad-Präsentation gelernt, erklärt Mara Gerstner, Head of Concept bei Explain. Und um jeden Zweifel zu beseitigen, führt sie die No-Gos direkt einmal vor: Folien sollten nicht zu hell sein, denn sonst hat man das Gefühl, direkt in die Sonne zu starren. Außerdem verböten sich – „Film ab“ – schnelle Schwenks in Videos. Immerhin, bislang habe hier drinnen noch keiner kotzen müssen.

Wäre es nicht viel einfacher, den Leuten für 360-Grad-Präsentationen einfach VR-Brillen aufzusetzen? Klar, auch mit so was habe man experimentiert, sagt Gerstner, aber „damit hätten wir gegen unser grundlegendes Präsentatorikmodell verstoßen“. Denn mit Shuttle X wollen sie bei Explain nicht alles neu machen, sondern den nächsten Schritt wagen. Nach der Aufbereitung von Inhalten, den besser gestalteten Folien und dem Training der Sprecher geht es darum, den Raum zu optimieren. „Diese vierte Dimension wollen wir jetzt erschließen“, sagt Keller, denn er verspricht sich viel von der an virtuelle Realität erinnernden Immersion des Publikums im Shuttle X: „Man geht mit denen da rein, schwört die auf irgendein Thema ein und kommt total aufgeputscht raus. Das ist die Grundidee dahinter“, sagt Keller. Und dass man bereits Vertreter mehrerer Großkonzerne durch die Hagenbacher Garage geführt habe und hofft, in der ersten Jahreshälfte in deren Foyers eine Präsentations-Rotunde aufstellen zu können. Natürlich war auch geplant, sich ein Shuttle X in die künftige Zentrale in Baden-Baden zu stellen.

Nach Inhalten, Folien und dem Sprecher gilt bei Explain der Raum als vierte Dimension der Präsentation. Wie dieser genutzt werden kann, versuchen die Karlsruher in ihren Design Clubs herauszufinden. (Foto: Michael Bieniek).

Dass Keller das Neubauprojekt gestoppt hat, nachdem eigentlich alles fix war und die Bagger losrollen sollten, hat mit einem Ritual zu tun und der besonderen Konstellation von Explain-Gründer Hager und CEO Keller. 2014, zum zehnjährigen Jubiläum, hatte Hager seinen ersten Mitarbeiter zum Gesellschafter gemacht, während er sich selbst ein Sabbatical zum Surfen gönnte – aus dem er nie so richtig zurückgekehrt ist. Wenn Keller, dem der konzentrierte, wohlstrukturierte Vortrag ins Blut übergegangen scheint, von seinem einstigen Ausbilder erzählt, wird er emotional. Er vermisst den Freund, der auch in seiner physischen Abwesenheit für die Firma wichtig ist. Keller kümmert sich um Tagesgeschäft, Hager schmeißt aus dem Off neue Ideen ein. Und er ist ein Mythos. Bei Explain erzählen sie sich die Geschichten von einem, der voller Energie ist, kein Risiko und keinen Quatsch scheut, der aus allem einen Wettkampf macht, immer das Extreme sucht, wie damals, als er seine Azubis bei einer Wanderung so lange über die Berge gescheucht hat, bis die ihre Füße mit Gaffertape flicken mussten.

Löwe und Leuchtturm

Als Keller und Hager einmal am Hafen von Lindau am Bodensee standen, sahen sie auf der einen Seite die Statue eines Löwen, auf der anderen einen Leuchtturm. Irgendwie, dachten sie sich, sind das doch wir. Hier Hager, der Antreiber mit der Kraft eines Löwen, dort Keller, der sich mit Übersicht seit bald vier Jahren weitgehend allein um das Tagesgeschäft kümmert. Alle zwei Wochen telefonieren die beiden. Einmal im Jahr treffen sie sich für ein paar Tage, um untereinander und im Sparring mit einem Coach zu besprechen, wie es mit Explain weitergehen soll. Bei diesen Treffen fällen sie die wirklich wichtigen Entscheidungen. Etwa 2015 in New York, als sie beschlossen, den pa­ral­lel zum Thema Präsentationen entstandenen Education-Arm ihrer Firma dichtzumachen und sich künftig komplett auf ein Thema zu konzentrieren.

Eigentlich sollte der New-York-Trip der Inspiration dienen. Hager und Keller hatten sich ein Airbnb gemietet. „39. Stock, scheiße teuer, scheiße klein, aber wir haben da mal einen schönen Ausblick und können Kreativzeit haben“, erinnert sich Keller. Doch am Ende redeten sie vor allem über die Gegenwart. Über ihre Sorge, der Laden könnte in zwei Silos zerfallen. Am Ende stand der Beschluss, das nicht geschehen zu lassen und lieber einen Teil des Business zu opfern, als die ganze Firma zu gefährden. Gar nicht mal in ökonomischer Hinsicht, sondern vielmehr mit Blick auf die Kultur und das Team. Und dann wurden sie doch kreativ und entwickelten unter dem Begriff „One Crew“ den Plan, die Explain-Truppe wieder zu einer verschworenen Einheit zu machen.

Das Bild der Crew wurde Teil einer Schiffsmetaphorik, die bei Explain allgegenwärtig ist: Wenn Keller von seinen Abteilungschefs spricht, nennt er sie „Offiziere“, redet er über die Firma, sagt er „auf der Explain“. Zu Meetings wird mit einer Schiffsglocke gerufen. Im Flur und in der Kaffeeküche hängen Illustrationen, die die Firmengeschichte vom wackeligen Floß der Gründertage bis zur angriffslustigen Flotte der Gegenwart erzählen. Das scheint zu funktionieren. In einem Video erklären Keller und Leute aus dem Team, was für sie „One Crew“ bedeutet. Klar ist das Setting inszeniert, aber wenn die Angestellten erzählen, wie schnell sie als Newbies aufgenommen wurden, wie eng man miteinander ist, wie gut man sich bei Explain aufs Feiern versteht, wirkt das schon wie eine Mannschaft, die nichts auseinanderbringen kann.

Vermutlich hätten sie darum auch den Umzug überstanden. „Wir hätten das geschafft, aber zu welchem Preis?“, sagt Keller. Zum einen ist das ganz wörtlich zu verstehen. Denn der Grund der Baden-Badener Wiese war weniger stabil als angenommen, man hätte für 150 000 Euro Pfähle in den Untergrund rammen müssen. Entscheidender war aber weniger das Geld als das Gefühl, als Keller und Hager im vergangenen Oktober bei ihrer Strategieklausur zusammensaßen. Diesmal in Bühlertal im Hotel mit Blick aufs Oberrheinische Tiefland.

„Nachts um zwei haben wir die Entscheidung getroffen, das Ding zu kippen“, erinnert sich Keller. „Ich habe plötzlich gemerkt, was für ein Riesenunterschied das ist, wachsen zu können oder wachsen zu müssen.“ Der Neubau hätte unter den veränderten Umständen bedeutet, dass Explain hätte schneller expandieren müssen. Und das, da waren sich beide Inhaber sicher, wäre nur auf Kosten der Unternehmenskultur gegangen – und der eigenen Work-Life-Balance. „Ich will auch nicht 24/7 arbeiten, sondern auch mal kicken gehen und mit meinen Kids abhängen“, sagt Keller. Seine Crew habe die Entscheidung gut aufgenommen. Und natürlich bedeutet die Absage des Neubaus nicht Stillstand. Explain wächst. Gerade ist man mit einem kleinen Ableger in Frankfurt gestartet. Anfang 2019 soll ein Berliner Büro eröffnen. Auch ein Wiedersehen haben Hager und Keller bereits vereinbart. Diesmal nicht erst im Herbst zur Klausur, sondern schon im Frühjahr auf dem Techfestival SXSW im texanischen Austin. Wichtige Entscheidungen stehen wohl nicht an. „Aber“, sagt Keller, „das ist für mich Unternehmertum: frei agieren zu können. Sonst hätte ich auch Angestellter werden können.“

 

Der Text stammt aus unserer aktuellen Ausgabe. Darin stellen wir 100 Gründer, Macher und Kreative vor, von denen wir 2019 Großes erwarten. Auf dem Cover: Aya Jaff. Die 23-Jährige ist Deutschlands bekannteste Programmiererin. Weitere Themen im Heft: NSFW, ein Sexklub für die Generation Instagram. Außerdem: Dan Palami. Der philippinische Unternehmer will die Fußball-Nationalmannschaft des Landes an die Spitze der Fifa-Tabelle führen – und viele weitere Geschichten. Mehr Infos gibt es hier.

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