Leadership & Karriere Gründungsmythos: Weshalb er wichtig ist und wie Gründer ihn richtig kommunizieren

Gründungsmythos: Weshalb er wichtig ist und wie Gründer ihn richtig kommunizieren

Viele Gründungsmythen folgen dem alten Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Prinzip: Benetton strickte die Pullover anfangs im Wohnzimmer, bei Zalando wurden die ersten Pakete selbst verschickt, die Hellofresh-Gründer kauften die Zutaten für ihre Kochboxen zunächst selbst im Supermarkt. Warum funktionieren diese Geschichten so gut?

Weil sie echt sind und Herz und persönlichen Einsatz zeigen. Die Leute wollen harte Arbeit sehen. Daraus entstehen später legendäre Gründergeschichten. Ich kenne da ein Beispiel eines jüngeren Unternehmens, Odernichtoderdoch, das ursprünglich mit der Herstellung von besonderen Kalendern gestartet war. Begonnen hat alles mit der Begeisterung der Gründerin Joana Heinen, gerne Sachen zu gestalten. Das Business lief gut, ist ihr dann aber förmlich in der Hand explodiert. Sie hat mir erzählt, dass sie in einem Jahr einen Kalender angekündigt hatte, bei dem sie nach der Lieferung feststellen musste, dass ein Druckfehler drin ist. Es gab aber schon über 1 000 Vorbestellungen. Das Team hat dann mit der Hand jedem Kunden ein Entschuldigungsschreiben geschrieben. Das ist eine sehr gute Gründerstory, die funktioniert, weil klar ist, dass hier jemand sein Herzblut ins Projekt steckt.

Schaut man sich Gründerstorys an, fällt auf, dass die meisten Firmen aus einem persönlichen Bedarf heraus entstanden sind.

Natürlich. Wir Menschen ändern etwas nur, wenn wir ein Problem haben. Wir bemerken ja auch erst, dass wir den Heizungskörper anschalten müssen, wenn es kalt geworden ist, vorher gibt es keinen Grund, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Wenn wir uns mit einem Problem konfrontiert sehen, werden wir ganz schnell wahnsinnig erfindungsreich. Deshalb sind die meisten Gründergeschichten auf ein Problem oder einen Bedarf, der gedeckt werden musste, zurückzuführen. Nehmen wir zum Beispiel den Gründungsmythos der Raiffeisenbank. Die wurde im 19. Jahrhundert gegründet, weil nach einem Vulkanausbruch so viel Asche und Wolken am Himmel waren, dass echte Hungersnöte entstanden sind. Friedrich Wilhelm Raiffeisen hat daraufhin begonnen, sogenannte Brotbackvereine zu gründen, um die Hungersnot zu lindern. Das Ding ist dann zu einer riesigen Bank geworden.

Welche Gründerstory finden Sie persönlich besonders gut?

In Österreich gibt es eine Geschichte, die fasziniert mich total, die ist erst fünf bis sechs Jahre alt. Ein Biobauernhof, geleitet von relativ jungen Bauern, hat Milch in den Pausen an die Schulen in der Umgebung geliefert. Nur im Sommer gab es wegen der Schulferien keinen Bedarf dafür, und das Unternehmen musste jedes Jahr Umsatzeinbußen verkraften. Sie haben sich dann aus der Not heraus dazu entschieden, Bio-Eis herzustellen. Heute hat das Unternehmen 150 Mitarbeiter. Ein Problem, für das man eine persönliche Lösung finden muss: Daraus entstehen Riesenbusinesses.

Haben Sie auch ein persönliches Negativbeispiel?

In der Welt, in der ich unterwegs bin, gab es schon ein paar Kandidaten. Das perfekte Negativbeispiel ist für mich aber die Werbekampagne von Pepsi mit Kendall Jenner vor eineinhalb Jahren. Dort wurde versucht, den Wert zu instrumentalisieren. Es sollte ein politisch und gesellschaftlich relevantes Thema aufgegriffen werden, und Kendall Jenner wurde als colabringender Friedensengel inszeniert. Bei Pepsi haben sie sich sozusagen den Aktivismus als Wert dazuerfunden. Hier kann man gut sehen, wie schlecht das ausgeht. Das Thema in den USA zu instrumentalisieren war so schon eine wahnsinnig schlechte Idee, aber sie haben dazu mit Kendall Jenner auch noch eine vollkommen unglaubwürdige Trägerfigur gewählt. Pepsi hat Unmengen an Geld für den Spot ausgegeben und einen berechtigten Shitstorm abbekommen, bis sie die Kampagne wieder einstellen mussten. Ein riesiges Desaster.

Was raten Sie denen, die keine spannende Geschichte erzählen können. Sollte man seine Gründerstory etwas aufhübschen, um für Investoren und die Medien interessanter zu werden?

Natürlich stellt man sich so gut dar, wie man sich darstellen kann. Das macht man im täglichen Leben auch. Wenn man zu einem Date geht, dann zieht man sich ja auch nicht die schmutzigsten Klamotten an und putzt sich vielleicht vorher die Zähne. Aber wenn man sich die eigene Story einfach ausdenkt, dann trägt das den Keim des Scheiterns in sich. DOA: Dead on Arrival. Die Gründerstorys, die alle Menschen faszinieren, funktionieren deswegen, weil sie echt sind. Das ist der zentrale Punkt. Dinge, die nicht authentisch sind, werden nicht oder nicht lange funktionieren. Das ist nur der Lärm vor der Niederlage. Deshalb gilt: Wer lügt, kommt in die Hölle.

Was, wenn man trotzdem etwas geflunkert hat? Wie kommt man aus der Situation wieder raus?

Cut machen und einen Relaunch wagen! Das fordert viel Selbstbewusstsein und tut weh. Aber es führt kein Weg dran vorbei, weil der eingeschlagene Kurs einen nicht weiterbringt. Um sich neu zu erfinden, muss man sich aber nichts herbeispinnen oder sich eine Camouflage-Geschichte ausdenken. Auch hier zählt: Solange man seine Gründerstory um einen persönlichen Wert aufbaut, braucht man keine Lügengeschichte.

Fünf Klassiker aus der schillernden Welt der Gründermythen

Coca-Cola
Der Apotheker John Pemberton braute das Getränk aus Kokapflanzen und Kolanuss als Alternative zu Morphium, von dem er abhängig war. Hat nicht geklappt. Bald verkaufte er zwei Drittel der Rechte an der Coca-Cola-Formel, um seine Sucht zu finanzieren.

Whatsapp
Gründer Jan Koum erzählte gern, wegen seiner Kindheit in der Sowjetunion seien
ihm Datenschutz und Privat­sphäre wichtig. Nach der Übernahme durch Facebook war absehbar, dass sein Schwur, nie Nutzerdaten zu teilen, nicht ewig halten wird. Immerhin: Im Mai warf er als CEO hin – angeblich im Streit um den Umgang mit Userdaten.

John M. Hollister
Der Gründer der Surf- und Lifestylemarke Hollister soll 1919 das erste Geschäft in Laguna Beach eröffnet haben. Grundstein für ein weltweites Unternehmen. Gut geflunkert, denn John M. Hollister gab es gar nicht. Die Geschichte ist für Marketingzwecke erfunden worden.

HP Inc.
Die Stanford-Absolventen William Hewlett und David Packard gründeten 1939 in ihrer Garage in Palo Alto die Hewlett-Packard Company, kurz HP. Der Beginn eines Mythos für sich: Unternehmen aus dem Silicon Valley verweisen heute gerne auf ihre Garage, wo alles begann.

29? 31? 45!
Noch ein Valley-Mythos: Die erfolgreichsten Gründer sind jung. Eine aktuelle Analyse zeigt jedoch, die Gründer der aktuell am schnellsten wachsenden Unternehmen der USA sind im Schnitt Mitte 40.


 

Der Text stammt aus der Ausgabe 06/18. Darin stellen wir 100 Gründer, Macher und Kreative vor, von denen wir 2019 Großes erwarten. Auf dem Cover: Aya Jaff. Die 23-Jährige ist Deutschlands bekannteste Programmiererin. Weitere Themen im Heft: NSFW, ein Sexklub für die Generation Instagram. Außerdem: Dan Palami. Der philippinische Unternehmer will die Fußball-Nationalmannschaft des Landes an die Spitze der Fifa-Tabelle führen – und viele weitere Geschichten. Mehr Infos gibt es hier.

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