Leadership & Karriere Wie zwei junge Brüder mit einer Nachhilfe-App zu Millionären wurden

Wie zwei junge Brüder mit einer Nachhilfe-App zu Millionären wurden

Der große Durchbruch kommt erst zwei Jahre nach der „Die Höhle der Löwen“-Sendung. Immerhin hat der TV-Auftritt enorme Aufmerksamkeit gebracht. Das Math-42-Programm wird innerhalb einer Woche 250 000-mal heruntergeladen, ist damit auf einen Schlag die erfolgreichste App in Deutschland und insgesamt bei mehr als einer Million Nutzern weltweit auf dem Handy aktiviert.

Zudem melden sich zahlreiche Investoren, die ihr Interesse bekunden. Mit einem namhaften Kapitalgeber trifft sich das Team in einem Restaurant in Berlin-Charlottenburg. „Am nächsten Tag saßen wir hier in unserem Wohnzimmer, um in einer Telefonkonferenz den Deal zu besiegeln“, erinnert sich Thomas Nitsche. Da habe der Investor zahlreiche Bedingungen diktiert, die den Gründern das Mitspracherecht entzogen hätten. „Das war brutal, ich habe meine Söhne angeschaut, und wir haben die Verhandlungen umgehend abgebrochen.“

Stattdessen kommt bald ein anderes Vater-Sohn-Gespann zum Zuge: Schulbuchverleger Michael Klett und sein Sohn David steigen Ende 2015 mit einem sechsstelligen Betrag bei den Math-42­-Gründern ein und bekommen dafür knapp sieben Prozent der Firmenanteile. Ein Jahr später schießen die Kletts noch mal eine halbe Million Euro nach.

„Wir lösen nicht irgendwelche Probleme, nur die ganz großen.“

Durch die Erfahrung mit den Kletts kommen die Mathe-Experten auf die Idee, ihre Methode an Verlage und IT-Firmen zu lizenzieren. Im Januar 2017 fliegt das Dreiergespann nach New York, um einem Vertreter des US-Bildungskonzerns Chegg ihr Produkt anzupreisen.

Zu dem Termin taucht unerwartet einer der Top-Manager auf, der sehr interessiert an der App ist. „Wir haben das gar nicht ernst genommen“, erinnert sich Maxim. Der Chegg-Manager habe gefragt, an welchen Problemen sie arbeiten. Darauf habe sein Bruder Raphael erwidert: „Wir lösen nicht irgendwelche Probleme, nur die ganz großen.“

Sprüche, wie man sie im Silicon Valley erwartet, aber nicht von zwei Jungs aus Deutschland. Der Chegg-Manager ist begeistert. „Ich habe ihn später gefragt, was ihn in dem Moment eigentlich überrascht hat“, sagt Maxim. „Er meinte, wir seien so ungewöhnlich entspannt gewesen, hätten nicht einmal über Gehalt verhandelt und dann auch noch eine Präsentation gezeigt, die original aus ihren Ordnern hätte stammen können.“

Die drei Nitsches schmunzeln: „Zu dem Zeitpunkt hatten wir zwei Übernahmeangebote und wollten uns nur ein bisschen warmlaufen“, sagt Maxim.

Die Chemie mit Chegg stimmt. Die Amerikaner durchleuchten die Technologie der Deutschen intensiv, und im Oktober 2017 besiegeln die Nitsches den Verkauf ihrer Familienfirma an das kalifornische Unternehmen für 20 Mio. Euro. Die Kletts werden ausbezahlt, die Nitsches bekommen rund 10 Mio. Euro sofort, den Rest in Raten, weitere Aktienoptionen stehen in Aussicht.

Dafür müssen beide Brüder und der Vater sich noch weiter ins Unternehmen einbringen. Details zu den Verträgen dürfen sie nicht nennen. „Wir wollten bloß nicht ins Silicon Valley“, sagt Thomas Nitsche. Dort haben sie vor gut zehn Jahren schon mal gelebt, als er sein letztes Startup entwickelt und verkauft hat. Das Leben dort sei nicht mit dem Standard in Berlin vergleichbar.

Und das Geld? Wie verändert es in dem jungen Alter? Diese Fragen haben die Brüder immer zurückhaltend beantwortet. „Solche Summen fühlen sich sehr merkwürdig an“, sagten sie. Sie hätten harte Zeiten durchgemacht. Und seien bescheiden aufgewachsen. Nein, kein schickes Auto. Aber: mit Freunden häufiger essen gehen. Und: Raphael kaufte sich Filmplakate, mit denen er seine neue Wohnung tapezierte.

Pendeln nach Israel

Die Jungs sind aus dem Familiendomizil ausgezogen und haben jetzt ein Büro mit 20 Mitarbeitern in Kreuzberg. Da fährt Raphael, der Mathe-Crack, jeden Morgen hin und arbeitet an der Software. Maxim, der Sprecher und Außenminister der Math-42­-De­le­ga­tion, leitet das Matheteam bei Chegg und liebt es, zwischen den Standorten in Kalifornien, Israel und Indien hin und her zu fliegen. „Wir wollen das Produkt jetzt so groß machen, wie wir es immer haben wollten“, sagt Raphael. „Wir decken mit unserer Technologie rund 50 Prozent der wichtigsten Matheaufgaben ab, das sind aber nur rund zehn Prozent aller rechenbaren Aufgaben, die wir darstellen wollen.“ An der Stelle diskutieren alle drei Nitsches wieder laut und gleichzeitig, ob die Aussage so stehen bleiben kann. (Thomas: „Bist du dir bei der Relation wirklich sicher?“ Maxim: „Pssst, Papa, nein, ich versuche, das jetzt noch mal zu erklären.“)

War es eine Genugtuung, nach der Niederlage bei den „Löwen“ trotzdem den großen Deal abzuschließen?

Nein, die Sendung hat ihnen einen Schub an Aufmerksamkeit gegeben, der sie in eine andere Richtung katapultiert hat. „Die größte Genugtuung ist, dass wir den Durchbruch geschafft haben und es denen zeigen können, die sich immer über uns lustig gemacht haben“, sagt Maxim. Auch Lehrer und Freunde, bei denen die Matheexperten als Spinner galten und die sich über Thomas „mit seinen Blödmannprojekten“ und „die Vorstandssitzungen mit seinen Kindern“ lustig machten.

Das deutsche Google?

Solche Sitzungen und Diskussionen halten die drei regelmäßig ab. „Wir haben immer noch 15 neue Ideen, die wir aus Fokusgründen noch nicht gemacht haben“, sagt Maxim. „Aber jetzt bauen wir gerade ein cooles, begabtes, neues Team auf, das eines unserer Projekte vorantreibt.“ Es ist dieses Google hoch drei.

Eine Suchmaschine, die jede Art von Dokumenten versteht, analysiert und auffindbar macht. Und das in jeder Sprache von Deutsch, Englisch und Russisch bis hin zu Chinesisch, Arabisch, Hebräisch oder Koreanisch. „Texte richtig zu verstehen ist etwas, was sich der künstlichen Intelligenz, so wie wir sie kennen, weitestgehend entzieht“, sagt Thomas Nitsche. „Das ist unendlich kompliziert und nicht im Ansatz gelöst.“

Doch es gibt eine Technologie, mit der die Nitsches arbeiten können: Sie heißt Natural Language Processing (NLP) und ist eine Methode zur direkten Kommunikation zwischen Mensch und Computer. Und Lösungen werden gebraucht, etwa bei Juristen, die Tonnen an Aktenordnern und Megabytes an elektronischen Daten verarbeiten müssen.

„Wir denken immer noch, wir hätten Suchen und Analysen im Griff. Doch das stimmt schon lange nicht mehr“, sagt Thomas Nitsche. „Bei unserer Suchmaschine kommen fünf bis zehn Innovationen zusammen, die kein anderer beherrscht. Auch Google nicht.“

Kann daraus ein deutsches Google entstehen? „Wir beschäftigen uns noch nicht damit, wofür wir es verwenden werden oder wie ein Geschäftsmodell aussehen wird. Das kostet viel Zeit, und da haben wir noch keine Lust zu“, sagt Vater Nitsche. Das ist genau der Moment, an dem manche Investoren zweifeln und andere ihre Chance sehen.

„Höhle der Löwen“-Investor Frank Thelen sagte nach dem Verkauf von Math 42 an Chegg: „Ich freue mich, dass wir zwei sehr intelligente junge Gründer haben, die nun etwas Kapital bekommen, um unser Startup-Ökosystem zu befeuern. Vielleicht finden wir ja bei ihrer nächsten Idee zusammen. Ich würde mich freuen!“

Neue Ausgabe: Die Höhle der Löwen #2

Die zweite Ausgabe zur neuen Staffel von „Die Höhle der Löwen“ ist da. Ein Heft über Gründer, ihre Ideen und Produkte – das die Geschichten hinter der erfolgreichsten deutschen Gründershow erzählt und erfolgreiche Unternehmer porträtiert. Für alle Fans der TV-Show und alle die davon träumen, etwas Eigenes zu wagen. Ab 13. November am Kiosk erhältlich – oder hier direkt online.

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