Leadership & Karriere Die Kunst des Scheiterns: Drei Gründer erzählen, warum sie aufgeben mussten

Die Kunst des Scheiterns: Drei Gründer erzählen, warum sie aufgeben mussten

Längst nicht alle Startups werden groß und erfolgreich, im Gegenteil. Drei Gründer erzählen, warum sie aufgeben mussten – und wie sie damit umgehen. Von Niklas Wirminghaus.

Der Moment, in dem Finn Plotz das Schicksal seiner Firma besiegelte, dauerte nur wenige Minuten. Es war der 18. Dezember 2017, ziemlich genau vier Jahre, nachdem er als 18-jähriger Schüler ein Start-up gegründet hatte, das mit einer neuartigen Universalfernbedienung Deutschlands Wohnzimmer und einen Millionenmarkt erobern wollte. Plotz warb 3 Mio. Euro von Investoren ein, produzierte Tausende Geräte und stieg zu Deutschlands Tech-Hoffnung auf.

An jenem Dezember-Montag betrat er das Amtsgericht am Hamburger Sievekingplatz, in der Hand einen DIN-A4-Umschlag, darin ein 18-seitiges Formular nebst Anlagen: der Insolvenz­antrag. Ein Beamter stempelte den Vordruck, Plotz unterschrieb, fertig, aus, vorbei. Nach nicht einmal fünf Minuten war Vion offiziell am Ende. Wie war das, Herr Plotz? Erlösend? „Nein“, sagt er. „In dem Moment war’s echt scheiße.“

Herbst 2018, ein Coworking-­Space am Hamburger Rödingsmarkt, draußen regnet es Bindfäden, drinnen nimmt der hochgeschossene junge Mann mit den rotblonden Haaren auf einer Sofakante Platz und erzählt, wie das ist: als Gründer zu scheitern. „Was mir wirklich wehgetan hat, war, die Leute zu enttäuschen, die am meisten an mich geglaubt haben“, sagt Plotz. „Es ist nichts, auf das ich stolz bin. Es ist kein schöner Teil des Start-up-Lebens. Aber es ist Teil davon.“ Es gehört zu den unbequemen Wahrheiten der Gründerszene, dass längst nicht alle Geschäftsideen zu Erfolg und Reichtum führen. Im Gegenteil: Eine Gründung ist eine Wette – und die geht in der Mehrzahl der Fälle nicht auf. Geldgeber rechnen üblicherweise damit, dass sie sechs von zehn ihrer Investments abschreiben müssen. Dabei enden längst nicht alle gescheiterten Start-ups in der Zahlungsunfähigkeit, viele werden davor stillgelegt und liquidiert, andere siechen noch Jahre vor sich hin, manchen gelingt noch ein Notverkauf.

Das härteste Jahr seines Unternehmerlebens

Jahrelang sprach in Deutschland kaum ein Gründer über eigene Fehlschläge. Dabei gehören sie zu vielen prominenten Unternehmerbiografien: Richard Branson, Bill Gates, Steve Jobs, auch „Löwe“ Frank Thelen – sie alle sind schon gescheitert. „Wenn du ein Gründer bist und dein erstes Unterfangen war kein Erfolg, dann herzlich willkommen im Club“, ermutigt Branson. Inzwischen aber scheint sich etwas zu ändern. „Die Gesellschaft wird toleranter gegenüber Veränderungen, das heißt auch, dass Scheitern mehr akzeptiert wird“, sagt Attila von Unruh, der eine Selbsthilfegruppe für „Insolvenzler“ ins Leben gerufen hat. Wer scheitert, muss sich nicht mehr verstecken. Was aber noch lange nicht heißt, dass das eine leichte Erfahrung ist.

Mit gerade mal 23 Jahren managt Plotz schon seine zweite Firma. Neues Thema: Sicherheit. Foto: Nikita Teryoshin

Das härteste Jahr seines Unternehmerlebens begann für Finn Plotz eigentlich voller Hoffnung. Vion hatte es in die Regale von Media Markt geschafft, Design­preise gewonnen, der Gründer dachte über TV-Spots und eine Expansion in die USA nach. Doch dann blieben die Verkaufszahlen hinter den Erwartungen zurück. 2013 hatte Plotz eine Marktlücke für ein System gesehen, mit dem man Fernseher, Stereoanlage und Streamingportale steuern konnte. Doch als Vion nach drei Jahren Entwicklung endlich auf den Markt kam, hatten sich Smart-TVs durchgesetzt, die Idee schien veraltet. „2014 wäre das Produkt super gewesen, aber eben nicht mehr 2017.“

Zu früh, zu spät?

Monatelang hatte Plotz gegen diese Erkenntnis angekämpft, dann entschied er gemeinsam mit den Investoren, Vion zu verkaufen. Dafür wurde noch einmal Geld vorgestreckt. Bis in den Winter verhandelte der Gründer mit einem südkoreanischen Konzern, der in einem Joint Venture mit einer deutschen Medienfirma die Technologie übernehmen wollte. Doch dann wurde der Ansprechpartner aufseiten der Deutschen geschasst, die Koreaner verloren das Interesse, das Geld wurde knapp. Anfang Dezember lud Plotz seine Gesellschafter zum ­Krisengespräch. Die Runde entschied: Es bringt nichts mehr. Man ging ausei­nander. Am Hauptbahnhof lud einer der Investoren Plotz noch auf ein Bier ein. Den Rest des Abends telefonierte er mit Freunden. Am nächsten Morgen suchte er einen Anwalt auf, um den Insolvenzantrag vorzubereiten.

Gründer sind von Natur aus optimistisch. Was sie ausmacht, ist der Mut, Probleme lösen zu wollen, die andere für unlösbar halten. Nur mit dieser Haltung kann man in den David-gegen-Goliath-Kampf ziehen, den Start-ups tagtäglich führen. Die Gefahr ist allerdings, dass irgendwann der klare Blick auf existenzbedrohende Probleme verloren geht. „Ich bin ein Überzeugungstäter“, sagt Plotz. „Das ist eine Stärke, weil ich andere Menschen begeistern kann. Aber es ist auch eine Schwäche, weil ich Probleme an den Rand schiebe.“

Es ist ein Gefühl, das Christopher Kampshoff gut kennt. Er gründete ebenfalls 2013 sein Start-up: Lendstar, eine App, mit der man Geld an Freunde versenden kann und aus der einmal ein „soziales Finanznetzwerk“ werden sollte. 150 000 Downloads verzeichnete das Start-up in der Spitze, 3 Mio. Euro Funding kamen zusammen. In der „Höhle der Löwen“, wo Lendstar 2015 auftrat, gab es 250 000 Euro – der bis dato größte Deal der Show. Trotzdem reichte es nicht. Ende August musste das Start-up Insolvenz anmelden. „Ich habe Lendstar fünfeinhalb Jahre mit Herzblut und aller Kraft und finanziellem Engagement aufgebaut“, sagt Kampshoff. „Man ist sich oft des Risikos bewusst. Aber dann sagt man sich: ,Wird schon alles klappen.‘“ Eigentlich war die Hoffnung berechtigt. Das Start-up war Teil einer Welle von innovativen Zahlungsdiensten, neben Lendstar gingen Anbieter wie Cringle, Payfriendz, Avuba und Cookies ins Rennen. Inzwischen mussten sie allesamt aufgeben. „Wir waren zu früh“, analysiert Kampshoff. „Mobile Payment kommt erst jetzt langsam an. Wir haben den Markt zu optimistisch eingeschätzt.“ Timing ist eine delikate Sache, man kann als Gründer zu spät (siehe Vion) und auch zu früh dran sein. Kampshoff glaubt, dass er den Markt auch hätte erziehen können, wenn er massiv in Marketing investiert hätte. Doch dafür hätte es mehr Kapital gebraucht, und das war nicht mehr aufzutreiben. „Du brauchst irgendwann die finanzielle Power, damit du den Markt, den du siehst, auch bereiten kannst.“

„Der Glaube war riesig“

Der Gründer versuchte als letzten Ausweg, Lendstar an eine Bank zu veräußern – keine Chance. Immerhin: Dem Insolvenzverwalter gelang Ende Oktober noch ein Notverkauf an eine Tochter der Geldautomatenfirma Euronet. Nur drei Wochen vor Lendstar stand Freya Oehle mit ihrem Start-up auf der „Löwen“-Bühne: Spottster, eine Internetplattform, die einen Nutzer ­benachrichtigt, sobald der Preis für ein von ihm gewünschtes Produkt in einem der mehreren Tausend angeschlossenen Onlineshops sinkt. „Der Glaube, dass das riesig wird, der war immer da“, erzählt Oehle. „Sonst macht man den ganzen Scheiß nicht. Du steckst so viel rein, deine eigenen Ersparnisse, dein Gehalt. Also lässt man gar nicht zu, dass das in die Binsen geht, lieber strengt man sich noch mal an.“

Lange Zeit ­hatte Oehle wenig Grund zur Sorge. Als sie 2015 in der „Höhle“ auftrat, hatte Spottster schon mehr als 100 000 Nutzer und beschäftigte 15 Mitarbeiter. Einen Deal bekam das Startup in der Sendung nicht, erst später investierte Jochen Schweizer. Dafür profitierte Spottster von der Aufmerksamkeit, die mit der Sendung kommt: Fast über Nacht verdoppelte sich die Nutzerzahl. Immer wieder wurde Oehle in der Folge für TV-Formate angefragt, eine charmante junge Frau, die ein massentaugliches Produkt gut erklären kann.

Konstruktionsfehler

Die Fernsehauftritte brachten neue Nutzer und mehr Umsatz, aber sie verschleierten auch den Blick auf den Kern des Geschäftsmodells, wo längst nicht alles rosig war. Zwar schrieb das Startup Anfang 2017 sogar schwarze Zahlen, doch das eigentliche Wachstum hatte sich verlangsamt. Die Grundkalkulation schien zu optimistisch. Ein neues Produkt, das den Durchbruch liefern sollte, kam nicht voran: Oehle wollte Nutzern individuelle Deals anbieten, um sie zum Kauf von Produkten zu bewegen. Dafür war Spott­ster aber auf die Mitarbeit der Onlinehändler angewiesen. Und bei denen konnte es schon mal 18 Monate dauern, bis sich überhaupt einmal jemand mit Entscheidungsbefugnis mit der Idee befasste.

Bei Seon vermittelt Plotz Sicherheitsfirmen – der Notruf geschieht per Knopfdruck. Foto: Nikita Teryoshin

Sie fragte sich: Wie realistisch ist es, dass sich die Händler schneller bewegen werden? Wollen wir die nächsten drei Jahre vor uns hindümpeln? Vielleicht war jetzt der richtige Zeitpunkt, rechtzeitig aufzuhören. „Es war eine unorthodoxe Entscheidung“, gibt Oehle zu. „Das machen nicht viele Gründer.“ In einer langen Mail an ihre Investoren begründete sie ihr Vorhaben, es folgte eine mehrstündige Telefonkonferenz, an deren Ende die Geldgeber einlenkten, sie hätten „souverän reagiert“, erinnert sich Oehle. „Als Gründer denkt man ja, man muss da zu Kreuze kriechen, es ist die Horrorvorstellung des Jahrhunderts. Aber Investoren sind das gewöhnt. Für sie ist das einfach Teil des Spiels.“ Für die Gründer blieb es bitterer Ernst. Am nächsten Tag musste Oehle ihren 25 Mitarbeitern eröffnen, dass sie ihre Jobs verlieren würden. „Das war der mit Abstand härteste Moment“, sagt sie. „Auf so etwas wirst du in keiner Form vorbereitet.“ Wie die Stimmung war? „Relativ kacke“, sagt Oehle trocken. Und schränkt dann ein: „Man malt sich das aber noch schwärzer aus. Die erste Frage aus dem Team war: ,Was macht ihr als Nächstes? Und können wir wieder dabei sein?‘ Da habe ich gemerkt, das nimmt mir keiner persönlich übel.“

Auch die Reaktionen von außen waren anders, als sie erwartet hatte. Fremde Menschen schrieben ihr, andere Gründer baten um Rat. „Es wurde fast eine Art Telefonseelsorge“, sagt sie. Sie hatte einen wunden Punkt getroffen: „Nach außen hin läuft ja bei allen Gründern immer alles super. Wir waren die Einzigen, die gesagt haben: ,Es läuft nicht so gut.‘ So geht es vielen. Aber keiner traut sich, das auszusprechen.“ Es klingt so, als ob sich tatsächlich etwas geändert habe in der Art und Weise, wie Scheitern betrachtet wird. Er habe sich das Ende „deutlich schlimmer“ vorgestellt, bestätigt Finn Plotz. „Ich dachte, ich bin dann der Gebrandmarkte. Das komplette Gegenteil war der Fall.“ Ja?

In den letzten Vion-Monaten hat Plotz bereits an einer neuen Start-up-Idee gearbeitet, es geht wieder um eine Fernbedienung, aber für einen gänzlich anderen Zweck: ein daumennagelgroßer Chip, den man sich an die Kleidung heften kann und der bei Knopfdruck Hilfe ruft. Einsatzgebiet sollen von Kriminalität geplagte Großstädte sein, weswegen Plotz’ neue Firma Seon erst einmal in Kapstadt ansässig geworden ist. Zu Hilfe kommen dann private Sicherheitsdienste, vermittelt über die Seon-Plattform. Und jetzt kommt’s: Sämtliche Geldgeber aus der Vion-Zeit sind wieder dabei, zudem neue Investoren. Einer hat Plotz erklärt: „Ich investiere nicht, obwohl du gescheitert bist. Sondern weil du gescheitert bist. Und den Fehler nicht noch einmal machen wirst.“

Neue Ausgabe: Die Höhle der Löwen #2

Die zweite Ausgabe zur neuen Staffel von „Die Höhle der Löwen“ ist da. Ein Heft über Gründer, ihre Ideen und Produkte – das die Geschichten hinter der erfolgreichsten deutschen Gründershow erzählt und erfolgreiche Unternehmer porträtiert. Für alle Fans der TV-Show und alle die davon träumen, etwas Eigenes zu wagen. Ab 13. November am Kiosk erhältlich – oder hier direkt online.

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