Leadership & Karriere Karriere-Reset: So gelingt der radikale Neustart im Job

Karriere-Reset: So gelingt der radikale Neustart im Job

Ein Schneeballeffekt

Das Springen ist das Schwerste und das Beste zugleich, sagt Gesa Neitzel. „Die definitive Entscheidung ist der erste Schritt. Der Ball muss ins Rollen gebracht werden.“ Bei ihr war es der Entschluss, nach Südafrika zu gehen. Und danach sei eine Art Schneeballeffekt eingetreten. „Das Bauchgefühl als Redakteurin in Berlin hat einfach nie gestimmt. Ich wusste immer, dass Berlin nur ein großes Wartezimmer ist. Insgeheim hatte ich von Weite, von viel Platz und Raum geträumt“, sagt Neitzel. Sie beginnt 2015 eine Ausbildung zum Safari-Guide im Kruger-Nationalpark. „Ich würde sagen, alles, was nach meinem Abschied aus Berlin geschah, war eher intuitiv“, so Neitzel. Bei ihrer Ranger-Ausbildung lernt sie Frank Steenhuisen kennen, steigt in sein Startup Safari Frank ein, arbeitet seitdem als Private Guide auf Safarireisen ins südliche Afrika und als Autorin. Alles wurde gut.

Glück gehabt, denn Spontaneität und Vertrauen auf das Bauchgefühl gehen oftmals schief. Coach Diesbrock warnt darum davor, den Absprung und die Zeit danach überhastet und ungeplant anzugehen: „Bevor man eine Entscheidung trifft, sollte man eine Umsetzungsstrategie entwickeln“, sagt er. „Ich empfehle Klienten, ihren Neustart als Projekt zu verstehen, mit einem Zeitplan und definierten Schritten. Oft ist es klug, mehrgleisig zu fahren und verschiedene Alternativen zu entwickeln, bevor man eine Entscheidung trifft. Und einen Plan B sollte auch jeder haben.“

Zumindest den hatte Gesa Neitzel. Hätte es nicht geklappt, wäre sie in ihren Was-mit-Medien-Job zurück. Wäre schon gegangen, irgendwie, sagt sie. Coach Diesbrock hält dagegen: „Wenn jemand sich für einen Neustart entscheidet, ist der Weg zurück wohl die unattraktivste Variante.“ Und seiner Erfahrung nach komme eine Rückkehr zum Ausgangspunkt auch nie vor. „Ich erlebe oft, dass jemand, der einmal aus eigener Kraft die Weichen neu gestellt hat und weiß, wie es geht, seine Karriere auch weiterhin aktiv steuert. Wenn es also nicht klappt mit dem Neustart, ist die Frage nicht ‚Wie komme ich zurück?‘, sondern ‚Was könnte eine weitere Alternative sein?‘ “

Wendelin Quadt nahm sein Schicksal etwas fester in die Hand und fuhr ein gutes Jahr zweigleisig. Noch im oberen Management des Konzerns angestellt, besuchte er im Urlaub bereits Kurse an der Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei in Berlin, rekrutierte einen Braumeister, tüftelte an Rezepten, Design und Markenaufbau. Als er schließlich im Juni 2014 die IT-Firma verlässt, stehen in einer Lagerhalle bereits Tausende verkaufsbereite Flaschen Bier. „Wenn ich ausgestiegen wäre und dann erst hätte anfangen müssen, das Biergeschäft zu planen und aufzubauen, hätte es nicht funktioniert“, sagt Quadt. „Schon startklar zu sein hat mir die Motivation gegeben, meinen Ausstieg durchzuverhandeln und auch wirklich zu gehen.“

Ärmer, aber glücklich

Dann konnte es losgehen mit dem neuen Leben. „Wenn du so ein Startup machst, musst du echt Skin in the Game haben“, sagt Quadt. Man müsse alles riskieren und nach vorne rennen. „Egal, ob du 25 oder 54 bist.“ Wobei das mit dem „egal“ nicht ganz so egal ist. Denn Quadt, der in seinem IT-Job ziemlich gut verdient hatte, musste jetzt erst einmal mit einem typischen Gründereinkommen zwischen null und ziemlich wenigen Euro im Monat auskommen. Er verkaufte sein Auto, sattelte auf einen Elektroroller um, fuhr seinen Lebensstandard runter. Klar, sagt er, ist das nicht für jeden in jeder Lebensphase machbar. Sein Glück war, dass seine Kinder alle schon quasi erwachsen und aus dem Haus waren.

Trotz aller Kompromisse hat Quadt nie an seiner Entscheidung gezweifelt. Auch Coach Tom Diesbrock beobachtet bei den meisten Klienten, dass der Karriereneustart sie glücklicher macht: Weil der neue Job besser zu ihren Interessen passe und sie an Selbstvertrauen gewonnen hätten. „Wer einmal aktiv sein eigenes Veränderungsprojekt gemanagt hat, denkt selbstwirksamer, und das steigert die Lebenszufriedenheit. Jemand, der gelernt hat, das Steuer selbst in die Hand zu nehmen, wirkt außerdem auch nach außen kompetenter und attraktiver.“

Auch Quadt empfindet sich heute als glücklicher. Selbst wenn er offen zugibt, dass er als Geschäftsführer von Kuehn Kunz Rosen weniger Zeit in Gummistiefeln am Braukessel verbringt als am Computer und der neue Job zu großen Teilen genau jene Skills verlangt, die er in seinem alten Beruf gebraucht hatte. Aber mal Hand aufs Herz: War der Wandel radikal genug? Doch, ja. „Ich arbeite viel mehr als vorher für weniger Geld – aber ich kann frei atmen. Und das macht den Unterschied.“


Der Artikel stammt aus unserer Ausgabe 01/19. Darin erklärt in der Titel-Story der japanische E-Commerce-Unternehmer und Milliardär Yusaku Maezawa, warum er mit Elon Musk zum Mond fliegen wird – und gleich sämtliche Tickets für die Reise ins All gekauft hat. Außerdem gibt es ein Dossier zum Thema „Future City“. Darin besuchen wir eine Gruppe aus Architekten, Tüftlern und Gründern, die in Rotterdam gerade ein halbverottetes Spaßbad saniert und ausprobiert haben und zeigen, wie man alte Häuser neu nutzen kann. Entsteht dort gerade ein Modell für den Stadtumbau der Zukunft? Für mehr Infos hier entlang.

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