Female Entrepreneurship Kolumne: Tijen Onaran über die Bahn als Ort zum Arbeiten

Kolumne: Tijen Onaran über die Bahn als Ort zum Arbeiten

Bahn fahren, ich liebe es. Wirklich! Vor allem Verspätungen sind für mich ein Traum. Denn jede Minute länger an Bord eines ICE mit seinem verlässlich lückenhaften Handyempfang und tröpfelnden W-Lan ist eine Minute mehr, in der ich endlich einmal in Ruhe abarbeiten kann, was sonst liegen bleibt. Vorbereitungen für Moderationen, E-Mails beantworten, Artikel schreiben – all das erledige ich auf Bahnfahrten, wenn ich ungestört bin, oder sagen wir: fast ungestört.

Denn leider bin ich nie allein im Zug, sondern umgeben von Vieltelefonierern, aufstrebenden Möchtegern-DJs, ADHS-Kindern und Rentnern, die in ihr Handy schreien, wie viele Minuten der Zug jetzt Verspätung hat. Glaubt mir, ich habe sie alle so satt.

Distanz-Taktiken

Menschen, die mich kennen, würden mich darum kaum wiedererkennen, wenn sie mir in der Bahn begegneten. Dort lässt sich meine Ausstrahlung am besten mit „Sprich mich nicht an!“ beschreiben. Und ich habe mittlerweile eine ganze Klaviatur an Taktiken erarbeitet, um Mitreisende auf Distanz zu halten: Resting-Bitch-Face, exzessives Tragen von Kopfhörern, einsilbige Antworten, und wenn alle Stricke reißen, wechsele ich kommentarlos meinen Platz.

Tijen Onaran ist auch Host unseres „How to Hack“-Podcasts. Dort verraten Gründer, Macher und Kreative Tipps fürs Arbeitsleben (Link via Foto).

Aber leider habe nicht nur ich meine Taktiken, sondern auch die anderen. Mittlerweile konnte ich drei Typen von Nervensägen identifizieren, denen ich auf Bahnfahrten immer wieder begegne: die Quasselstrippe, die personifizierte Kommentarfunktion und den Elon Musk des Großraumabteils.

Die Quasselstrippe: Sieht harmlos aus, hat aber eine einfache, äußerst wirkungsvolle Strategie. Resting-Bitch-Face und Kopfhörer ignorieren und draufloslabern, als ginge es darum, den Beweis zu erbringen, dass Zuhören nicht zwangsläufig zu einer Unterhaltung gehört: „Fahren Sie auch nach München? Ich besuche dort meine Nichte. So ein liebes Mädchen. Kennen Sie auch wen in München?“ Okay, Rechner zuklappen, aufstehen und mir einen neuen Platz suchen.

Der Elon Musk des Großraumabteils

Die personifizierte Kommentarfunktion: Sie lässt sich dadurch zur Kontaktaufnahme provozieren, dass ich einen Artikel auf meinem Laptop schreibe. Erst wird sich nur kurz, aber tief, weit nach hinten in den Sessel gestreckt, um ganz unauffällig doch auf den Bildschirm zu schielen. Noch beruhige ich mich – der will doch einfach nur aus dem Fenster schauen. Dann der Frontalangriff: „Interessant“, fängt es harmlos an. Das kann ich noch ignorieren. Kurz darauf folgt ein: „Finde ich ja super.“ Sehe ich aus, als wäre mir die ungefragte Meinung eines Sitznachbarn wichtig? Und ich weiß auch schon, wie es weitergeht: Wenige Augenblicke und Eskalationsstufen später befinde ich mich mittendrin in einem Townhall-Meeting – wie neulich, als mein Sitznachbar meinte, meinen Artikel bei den Mitreisenden pitchen zu müssen, um weitere Ideen für mich zu sammeln. I mean: Die Intelligenz der Crowd und kollaboratives Arbeiten in allen Ehren, aber Vernetzung würde ich schon gerne selbst proaktiv gestalten.

Der Elon Musk des Großraumabteils: Zu guter Letzt gibt es noch diesen dritten Typus. Sein Mittel zur Kontaktaufnahme: ein flapsiger Tweet. „@TijenOnaran sieht aus, als könnte sie gut einen Schnaps gebrauchen!“ Wenn ich die Benachrichtigung bekomme, ist mir klar: Meine sämtlichen Taktiken haben versagt. Was nun? So tun, als hätte ich den Tweet nicht gesehen. Kommentarlos den Sitzplatz wechseln? Etwas Flapsiges zurücktwittern?

PS: @DB_Bahn Ich wünsche mir Schnaps auf der Bordbistro-Karte!


Der Artikel stammt aus unserer aktuellen Ausgabe. Titel-Story: Der japanische E-Commerce-Unternehmer und Milliardär Yusaku Maezawa und warum er mit Elon Musk zum Mond fliegen wird. Außerdem gibt es ein Dossier zum Thema „Future City“. Darin besuchen wir eine Gruppe aus Architekten, Tüftlern und Gründern, die in Rotterdam gerade ein halbverottetes Spaßbad saniert und ausprobiert haben und zeigen, wie man alte Häuser neu nutzen kann. Für mehr Infos hier entlang.

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