Leadership & Karriere Digitalisierung: Ghanas Gründer lassen sich nicht aufhalten

Digitalisierung: Ghanas Gründer lassen sich nicht aufhalten

Trotz der Erfolgsgeschichte von Complete Farmer: Gründen in der Hauptstadt Ghanas ist hart, und man braucht eine gewisse Widerstandsfähigkeit. Für junge Gründer mit Ideen ist es schwer, überhaupt ernst genommen zu werden. „Die meisten Geldgeber in Ghana investieren nicht in Ideen. Sie wollen, dass du ihnen ein fertiges Produkt vorstellst“, sagt Desmond Koney. Aus der Garage heraus, wie bei den berühmten Gründermythen aus dem Silicon Valley, starte hier keiner. Trotzdem sei Accra für ihn durchaus aufregend:„Die Stadt ist voller Möglichkeiten, die nur darauf warten, ausgeschöpft zu werden.“

Und manchmal erwächst aus den Problemen des einen die Chance für den anderen – wie im Fall von Qualitrace. Das Startup hat sich auf die Qualitätssicherung chemischer Wirkstoffe spezialisiert. Zu seinen Kunden gehört Complete Farmer, für das Qualitrace ermittelt, ob sich in einem Kanister tatsächlich das versprochene Pestizid befindet – oder ob es sich um eine Fälschung handelt. „Wir versorgen Complete Farmer mit zertifizierten Agrochemikalien, die sie für ihre Bauernhöfe benötigen“, sagt Padiki Bukari, Mitgründerin und derzeitige Chief Marketing Officer.

Ein Unternehmen wie Qualitrace, erklärt sie, sei deshalb so wichtig, „weil in Ghana 40 bis 50 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebsmittel auf dem Markt Fälschungen sind“. Es gebe viele Leute, die gefälschte Produkte verkauften, die Marken imitierten und dadurch den Landwirt beim Kauf in die Irre führten.

Anitrack-Mitgründer Tony Marfo lässt Rinder kleine, mit Sensoren ausgestattete Tracker schlucken und hilft so, Krankheiten früher zu erkennen (Credits: Francis Kokoroko).

Qualitraces Mittel dagegen funktioniert so: Ein Landwirt erwirbt ein Pflanzenschutzmittel. Auf der Packung findet er einen Sticker mit einem Code, der freigerubbelt und anschließend online in Echtzeit verifiziert werden kann. Qualitrace gibt diese Code-Sticker nur an kontrollierte Hersteller von landwirtschaftlichen Düngemitteln, Saatgut und Pflanzenschutzmitteln aus.

Dass die ghanaische Landwirtschaft so ein Startup braucht, hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt: Gefälschte Produkte haben nämlich nicht nur Konsequenzen für den direkt betroffenen Landwirt. Zwischen 2015 und 2017 verhängte die EU eine pauschale Importsperre für einige Gemüsesorten aus Ghana, weil gegen das Pflanzenschutzgesetz verstoßen worden war. „Das Land hat dadurch einen immensen vermeidbaren Millionenverlust erlitten“, sagt Bukari. Im ersten Jahr von Qualitrace haben sich mehr als 4 000 verifizierte User angemeldet. Aber das Potenzial sei noch viel größer, so Bukari. „In fünf Jahren möchten wir 50 Millionen User haben.“

Auch Tony Marfo setzt mit seinem Startup auf das große Potenzial, das in der Entwicklung der ghanaischen Landwirtschaft steckt. Ihm und seinen zwei Mitgründern von Anitrack ist bei einer Marktrecherche in den ländlichen Regionen Ghanas aufgefallen, dass dort regelmäßig Tiere starben, ohne dass die betroffenen Bauern den Grund nachvollziehen konnten. Diese hatten somit auch keine Idee, was sie dagegen tun können.

Das knapp drei Jahre alte Startup hat eine Produkt entwickelt, die dieses Problem angeht, indem es Bauern mit Informationen über den Aufenthaltsort und den gesundheitlichen Zustand ihrer Tiere versorgt. Zurzeit kon­zen­triert sich Anitrack auf Rinder, weil diese vergleichsweise teuer sind: „Eine Kuh kann zwischen 500 und 1 500 Dollar kosten“, sagt Marfo. „Man kann sich also vorstellen, dass ein Verlust dem Bauern ganz schöne Kopfschmerzen bereitet.“

Tracker im Pansen

Es brauchte einige Anläufe, bis das Anitrack-Team eine praxistaugliche Lösung gefunden hatte. Die Gründer experimentierten mit unterschiedlicher Hardware, doch nachdem sich erste Versuche mit RFID-Ohrmarken und GPS-Halsbändern als zu ineffizient herausstellten, stießen die drei auf den sogenannte Pansenbolus. Das ist ein pillenförmiges, mit einer Funkverbindung ausgestattetes Gerät, das in einem der Mägen der Kuh platziert wird.

„Der Pansen kann Objekte bestimmter Dichte aufnehmen, ohne dass sie weiterverdaut werden. So bleibt das Gerät in der Magenkammer des Tieres liegen“, erklärt Marfo. Dort misst der Pansenbolus die Temperatur und übermittelt den Wert direkt an das Handy des Landwirts.

Lange Holztische, lässige Strohlampenschirme, dazu der ortsübliche Ventilator: der Coworking-Space des Impact Hub Accra (Credits: Francis Kokoroko).

Dem hilft das Gerät außerdem bei der Identifikation einzelner Tiere. So können Farmer kranke Tiere in Gruppen lokalisieren und behandeln, bevor sich eine Krankheit ausbreitet. „Durch den Pansenbolus können wir leicht nachprüfen, ob etwas mit den Tieren nicht stimmt, und die Farmer gegebenenfalls an Veterinäre vermitteln“, sagt Marfo. Außerdem könnten die Bauern nun den Standort gestohlener oder ausgebüchster Tieren verfolgen.

Im August 2018 ist Anitrack mit einer Testphase gestartet. Schon jetzt wissen die Gründer, dass sie noch einige Überzeugungsarbeit vor sich haben. Ihre Lösung sei sehr effizient, aber auch kostspielig, sagt Marfo. Außerdem koste es viel Zeit und Energie, die Bauern von der neuen Technik zu überzeugen. „Die meisten Leute verstehen zwar, was wir machen, aber sie glauben nicht, dass es funktionieren wird“, sagt Marfo.

Bislang kann Anitrack aufgrund der zögerlichen Haltung seiner potenziellen Kunden noch kein Geld verdienen. Deshalb stellt das Startup seine Technologie den Landwirten zunächst einmal kostenlos zur Verfügung. Während Marfo und sein Team die Zeit nutzen, um weiter an der Hardware ihrer Pansenboli, die sie aktuell aus Großbritannien und Indien beziehen, zu tüfteln, erschließen sie nebenbei ein weiteres Geschäftsfeld. Sie haben die E-Commerce-Plattform Animat gelauncht. Auf der können Viehzüchter ihre Tiere kostenlos auflisten und sich direkt mit Käufern in Verbindung setzen – ohne Mittelsmänner. Seit dem Start im Januar 2018 wurden bereits mehr als 700 Tiere auf der Plattform gelistet – ein beachtlicher Erfolg in einer sonst kaum digitalen Branche.

So schwierig die Arbeit für viele Gründer in Accra noch ist, so groß sind die Hoffnungen in Ghana. Denn Startups sollen nicht nur praktische Probleme wie in der Landwirtschaft lösen und attraktive Arbeitsplätze für junge Menschen bereitstellen. Sie sollen auch eine neue Art zu arbeiten etablieren, sagt Padiki Bukari von Qualitrace. „Alle in Ghana schauen auf die Startup-Welt, weil die Leute glauben, dass wir tatsächlich eine Änderung in der gegenwärtigen Situation herbeiführen können.“ Auch Impact-Hub-Gründer William Senyo denkt das: „Es sind diese jungen Gründer, die das Land wirklich voranbringen werden.“


Der Artikel stammt aus unserer aktuellen Ausgabe. Titel-Story: Der japanische E-Commerce-Unternehmer und Milliardär Yusaku Maezawa und warum er mit Elon Musk zum Mond fliegen wird. Außerdem gibt es ein Dossier zum Thema „Future City“. Darin besuchen wir eine Gruppe aus Architekten, Tüftlern und Gründern, die in Rotterdam gerade ein halbverottetes Spaßbad saniert und ausprobiert haben und zeigen, wie man alte Häuser neu nutzen kann. Für mehr Infos hier entlang.

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