Life & Style Diese digitale Box ist der Kassenschlager in den Kinderzimmern

Diese digitale Box ist der Kassenschlager in den Kinderzimmern

Wie viele digitale Geräte im Kinderzimmer sind okay? Und müssen dort ständig zerkratzte CDs herumfliegen? Diese Fragen brachten zwei Väter auf eine Idee. Ihre Toniebox schlägt so ein, dass sie dem Erfolg immer noch hinterherlaufen. Von Katja Michel

Es ist ein simples „Da-da-da-da-da“, das ihn auf den Einfall bringt, der sein Leben verändern wird. Schon Hunderte Male hat er das Stakkato aus dem Kinderzimmer seiner Töchter gehört, wenn wieder mal eine verkratzte Hörspiel-CD hängen geblieben ist. Hunderte Male ist er genervt aufgestanden, um auf die Vorspultaste zu drücken. Als an diesem Tag im Februar 2013 wieder einmal der CD-Player stottert, schießt ihm ein Gedanke durch den Kopf: Es müsste ein ­digitales Abspielgerät für Kinder geben.

Toniebox ist ein Kassenschlager

Eines, das sie schon im Vorschulalter selbst bedienen können. Das ist es! Es ist eine gute Idee, da ist er sich sicher. Nach einer guten Idee hat Patric Faßbender schließlich schon lange gesucht. Heute, gut fünfeinhalb Jahre später, ist die Toniebox ein Kassenschlager. Ein Erfolg, der seine Gründer überwältigt hat, in Atem hält und dem sie immer noch ein wenig hinterherlaufen. Seit Oktober 2016 ist der digitale Hörspielwürfel auf dem Markt. Die Kunden reißen sich darum, von Anfang an. Für 2017 planten Faßbender und sein Geschäftspartner Marcus Stahl 80.000 Boxen zu verkaufen und 7 Mio. Euro Umsatz zu machen. Sie landeten bei 150.000 Boxen und 17 Mio. Euro.

Es hätten noch viel mehr sein können: Zwischenzeitlich war der Ansturm so groß, dass sie mit der Produktion nicht hinterherkamen. Von Oktober 2017 bis Mai 2018 waren die Würfel ausverkauft – was den Hype noch weiter verstärkt hat. Die Tonieboxen, die eigentlich 79,99 Euro kosten, wurden für 200 bis 300 Euro auf Ebay gehandelt. Gleichzeitig wächst Boxine, so heißt das Düsseldorfer Unternehmen, rasant. Von den heute ­ 80 Mitarbeitern ist die Hälfte erst dieses Jahr dazugekommen.

Faßbender, 48, und Stahl, 51, ist gelungen, wovon viele träumen: Sie haben aus einer Idee, die aus ihrem Alltag entsprang, ein Produkt gemacht und danach ein Unternehmen aufgebaut. Sie haben einen Nerv getroffen. Und sich getraut, gegen Regeln zu verstoßen. Die Toniebox ist ein zwölf Zentimeter großer, mit rauem Stoff bezogener Würfel. Dazu gibt es Hörfiguren – die sogenannten Tonies: Benjamin Blümchen, Petterson, Bibi & Tina, das kleine Gespenst. Stellt das Kind also den Räuber Hotzenplotz auf die Box, beginnt die Geschichte. Nimmt es ihn herunter, stoppt sie wieder. An jeder Box sitzen zudem zwei Ohren. Wer das große drückt, stellt die Lautstärke höher, beim kleinen wird das Hörspiel entsprechend leiser.

Struppi half

Technisch funktioniert das System so: Tonie und Box kommunizieren über NFC-Technologie. Wenn ein Tonie auf die Box gestellt wird, erkennt sie, ob diese Figur schon einmal mit ihr verbunden war. Handelt es sich um eine neue Figur, wird der Inhalt aus der Cloud heruntergeladen und auf der Box gespeichert. Die Geschichte lässt sich von nun an also auch dann abspielen, wenn das Gerät nicht mit dem Internet verbunden ist. Die Toniebox eignet sich deswegen auch für unterwegs. „Es war uns sehr wichtig, dass Kinder das Gerät autark bedienen können“, erklärt Faßbender.

Mit Adidas-Kappe und Vans-Skaterturnschuhen sitzt er an diesem Herbsttag in den Boxine-Firmenräumen mit Blick auf einen Backsteininnenhof. Faßbender hat Grafikdesign studiert. Als er im Winter 2013 auf die Idee mit der Hörspielbox kommt, hat er gerade seinen Job als Kreativdirektor einer Werbeagentur aufgegeben, um den Kopf frei für Geistesblitze dieser Art zu haben. 15 Jahre lang hat er zuvor Kampagnen für Spielkonsolen, Handys, Mobilfunktarife entwickelt. Nun will er raus aus der Mühle und ist es leid, die Produkte anderer zu bewerben. Toniebox ist nicht seine erste Firma: Mit zwei Freunden gründete er 2008 Bolzklub.de, eine Online-Plattform für ehemalige Fußballer.

Sie stecken viel Zeit und Energie in das Startup, arbeiten an den Wochenenden, im Urlaub, gewinnen Tausende User. Doch um wirklich ernst zu machen, müssten sie ihre gut bezahlten Jobs hinschmeißen und sich Bolzklub.de zu hundert Prozent widmen. Faßbender ist gerade Vater geworden. „Wir waren damals nicht reif genug, diesen Schritt zu gehen und uns auf das Abenteuer Gründen einzulassen“, erzählt er. Also schalten sie die Plattform ab und liquidieren die Firma.

Fünf Jahre später fackelt Faßbender nicht lange: Er durchforstet das Internet nach Studien zu Kinderdesign, zeichnet Entwürfe, klappert auf der Suche nach Materialien Handwerksbetriebe im ganzen Ruhrgebiet ab. Als sein Blick zufällig auf seine Sammlung von Struppi-Figuren fällt, ist auch die Idee mit den Hörspielfiguren geboren. „Das war ein Heureka-Moment. Ich wusste sofort, dass Kindern das gefallen wird“, erzählt er. Der Grafikdesigner Faßbender weiß außerdem, dass er sich einen Geschäftspartner an Bord holen muss, der sich mit Technik und Finanzen auskennt. Marcus Stahl scheint der perfekte Partner. Er ist Ingenieur, die beiden haben sich im Vorstand des Elterninitiativkindergartens ihrer Kinder kennengelernt.Stahl, ein Mann mit schwarzem Polo­shirt und Hornbrille, Sohn eines Konditormeisters und einer Erzieherin, war schon als Kind technikaffin.

Riesengehalt – aber nichts zu melden

Auf dem Speicher seiner Eltern schraubte er Elektrogeräte auseinander, baute Lautsprecher und ein Lichtpult für seine Band. Nach dem Realschulabschluss machte er zwei technische Ausbildungen, bevor er sein Abitur nachholte und Elektrotechnik studierte. 15 Jahre arbeitete er für Nokia und verantwortete dort zuletzt den Automotive-Bereich. Als das Unternehmen 2008 seinen Standort in Bochum schließt und Tausende Mitarbeiter entlässt, kaufen Stahl und vier Kollegen diese Sparte in einem Management-Buy-out aus dem Konzern heraus und führen sie in Eigenregie weiter. Das läuft so lange gut, bis es unter den Gesellschaftern zum Machtkampf kommt, so erzählt es Stahl. Er landet in diesem Zug auf einem einflusslosen Posten, hat weiter einen tollen Dienstwagen, ein Riesengehalt – aber nichts mehr zu melden. „Ich war total durch den Wind. Das war eine sehr harte Zeit, schließlich hatte ich in das Unternehmen viel Herzblut und auch Geld gesteckt“, erinnert er sich.

Umso besser gelaunt ist Faßbender, als er in das triste, funktionale Büro seines zukünftigen Partners marschiert und ihm einen grünen Stoffwürfel mit der Janosch-Spielfigur Günter Kastenfrosch auf den Tisch stellt, um seinen Einfall zu demonstrieren. „Das war wie die Rettung, ein Hoffnungsschimmer“, erzählt Stahl. „Tausend Dinge gingen mir durch den Kopf: Das passt, ich habe Zeit, lass es uns tun.“ Im Oktober 2013 schreibt er seine Kündigung und verzichtet auf seine Einlagen, damit verliert er Hunderttausende Euro.

„Wir wussten, wir hatten nur diese eine Chance“

Im Januar 2014 gründen sie Boxine und holen Investoren an Bord. Sie setzen vor allem auf Strategen: Eine Patent- und Markenrechtskanzlei etwa, die das Unternehmen vor Nachahmern schützt, steigt ein. Ebenso die Familie Kraut. Paul Kraut war Geschäftsführer der Firma Schleich. Seine Familie stellt in Tunesien Spielfiguren her, in dieser Fabrik werden heute die Tonies produziert. Auch den Oetinger Verlag können sie als Gesellschafter gewinnen, von ihm bekommen sie Lizenzen für Hörspiele. Die Türen öffnen sich schnell, weil die Verlagswelt händeringend nach Konzepten sucht, wie sie Inhalte digital in Kinderzimmer einspielen kann. „Die waren alle auf der Suche und verunsichert“, sagt Faßbender.

Die Erfinder der Toniebox

Im Juli 2016 sollen die ersten Boxen ausgeliefert werden. Doch das System läuft nicht so stabil, wie es sollte. Wenige Wochen vor dem geplanten Start wechseln die Gründer das komplette­ externe Entwicklerteam. Ein Wahnsinn. Denn Faßbender und Stahl müssen nicht nur neues Geld organisieren, weil die Einnahmen später kommen, sondern auch ihre ersten Kunden vertrösten. Sie verschieben den Launch auf den Herbst. „Wir wussten, wir hatten nur diese eine Chance“, sagt Stahl. Wenn sich jemand auf ein neues Produkt einlasse, das immerhin 80 Euro koste, dann müsse es technisch einwandfrei funktionieren.

Überhaupt, der Preis: In Elektronikmärkten mag der gezahlt werden, vielleicht auch in Spielzeuggeschäften – aber in Buchläden? Wer kauft da ein technisches Produkt? Für 80 Euro? Branchenkenner raten Stahl und Faßbender ab, auch die Händler sind skeptisch.Doch die beiden lassen sich nicht beirren und bleiben bei ihrem Vertriebskonzept. Um die Buchhandelskette Thalia zu überzeugen, schlagen sie vor, für das erste Weihnachtsgeschäft gut 20 Läden mit Ware auszustatten und die Boxen im Zweifelsfall zurückzunehmen, sollten sie sich nicht verkaufen. Thalia steigt ein.

Ein Raketenstart

Im Herbst werden die ersten Geräte, in China produziert, ausgeliefert – damit krachen die Gründer mitten ins Weihnachtsgeschäft. „Wenn du mit einem Produkt fürs Kinderzimmer im Oktober auf den Markt gehst, und das kommt an, dann ist das ein Raketenstart“, sagt Faßbender. Die Toniebox kommt an. 25 000 Stück will das Unternehmen im ersten Weihnachtsgeschäft verkaufen. Tatsächlich werden es 35 000 – und die Gründer vom eigenen Erfolg überrannt. Wieder setzen sie eine Regel außer Kraft: Weihnachtsware muss bis spätestens Anfang Oktober bei den Händlern sein, heißt es.

Die letzten Tonieboxen kommen am 19. Dezember dort an. „In vielerlei Hinsicht ist es ein Riesenvorteil, wenn du branchenfremd bist, weil du Sachverhalte hinterfragst, die andere als naturgegeben hinnehmen“, sagt Faßbender. Bei Thalia geht der Plan auf: Tonieboxen gibt es heute in mehr als 100 Filialen. Stahl und Faßbender retten sich bis zum Ende des Jahres, im Lauf des Jahres 2017 werden sowohl einige Tonies als auch die Boxen knapper und knapper, bis sie ab Oktober nicht mehr lieferbar sind. Anfangs hilft der Engpass: Verknappung wirkt verkaufssteigernd. Doch je länger keine Ware da ist, desto mehr kippt die Stimmung. „Die Leute wurden zu Recht unzufrieden“, erinnert sich Stahl. „Aber bei so einem Produkt, mit diesem Qualitätsanspruch, mit genähten Hüllen und bemalten Figuren, dauert es einfach fünf, sechs Monate, das Ruder rumzureißen.“

Heute sind 120 Hörspielfiguren auf dem Markt, sie kosten je 14,99 Euro. Dazu kommen noch einmal 25 sogenannte Kreativ-Tonies für 11,99 Euro. Das sind Figuren, die sich mit eigenem Inhalt bespielen lassen, und das per Handy-App auch aus der Ferne. So können Eltern, die verreist sind, Gutenachtgrüße schicken oder Großeltern den Enkeln Geschichten vorlesen. Es gibt deutsche Soldaten, die in Afghanistan stationiert sind und ihren Kindern Tonies in Tarnuniform geben, um über sie Nachrichten zu schicken. Für die Zukunft sind auch andere Anwendungsfälle denkbar: etwa für Senioren, die Probleme haben, Smartphones zu bedienen. Auf einer Frühchen-Station sind schon Tonieboxen im Einsatz, die mit der Stimme der Eltern laufen, wenn diese gerade nicht bei dem Baby sein können.

„Das ist immer auch ein bisschen Glaskugel“

Die Branche schaut anerkennend auf die beiden Väter: „Die Toniebox ist ein Einstieg für Kinder in die digitale Welt, den die Eltern mit den Figuren sehr gut kontrollieren können“, sagt Ulrike Schelling, Sprecherin von Idee+Spiel. Der Verband vertritt 800 Spielwarenfachgeschäfte. Die Händler könnten die Tonies gut präsentieren, das Ganze sei ein geschlossenes System, die Lizenzen der Figuren seien sehr gut gewählt.

In der nächsten Zeit wollen Faßbender und Stahl vor allem die Warenverfügbarkeit im Griff haben. Damit es nicht wieder zu Engpässen kommt, haben sie das Volumen vervierfacht. Knapp fünf Millionen Figuren und 600.000 Tonieboxen sollen verkauft werden. Zum Vergleich: 2014, aus diesem Jahr stammt die aktuellste Zahl, wurden in Deutschland 70.000 stationäre CD-Player verkauft. Mittlerweile sind die Stückzahlen so gering, dass sie nicht mehr gesondert erfasst werden. Der CD-Player ist ein Auslaufmodell, Boxine auf Wachstumskurs: Dieses Jahr soll der Umsatz bei 50 Mio. Euro liegen und das Unternehmen aller Voraussicht nach profitabel sein. Die Geschäftsführer haben mit Großkunden gesprochen, sich für das Weihnachtsgeschäft Festbestellungen geben lassen. Aber so richtig wissen, was passiert, könne keiner. „Das ist immer auch ein bisschen Glaskugel“, sagt Faßbender. „Wir können die Boxen nicht unbegrenzt auf Lager legen.“

Marcus Stahl tippt derweil auf seinem Handy herum. Er muss eine Luftfracht freigeben. Eigentlich werden die Würfel per Zug und Schiff aus China nach Deutschland gebracht, doch schon seit sechs Tagen hängen 9 000 Toniebox-Startersets wegen einer kaputten Lokomotive in Weißrussland fest. Deswegen werden sie ausnahmsweise ins Flugzeug verladen. Damit sie pünktlich zu Weihnachten in den Regalen stehen.

 

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