Female Entrepreneurship Johanna Rief über die Sex-Tech-Branche: „Ich masturbiere für die Wissenschaft“

Johanna Rief über die Sex-Tech-Branche: „Ich masturbiere für die Wissenschaft“

Es tut sich einiges in der Fem-Tech-Branche. Immer mehr Startups wollen die Periode revolutionieren. Die Produkte sollen Frauen und ihre Menstruation empowern. Sei es durch Tampons, die einen Bluetooth-Sensor haben und per App mitteilen, wann es mal wieder Zeit für einen Wechsel ist, Unterwäsche, die zum Freibluten einlädt oder Zyklusapps. Während die Periode nach und nach enttabuisiert wird, bleibt ein Thema eher noch im Verborgenen der Nachttischschublade: Die Rede ist von Sextoys. Dabei liegt die Vagina voll im Trend. Vor allem auf Instagram setzen sich einige Accounts mit dem weiblichen Geschlecht in all seinen Facetten auseinander.

Dieses Jahr fand in Berlin zum ersten Mal die Sex-Tech-Konferenz statt. Dort drehte sich alles um Orgasmen, Toys, VR-Pornos und Sexroboter – eben alles, was mit Sex und Technik zu tun hat und dazu beiträgt, die menschliche Sexualität zu verbessern. Die Konferenz ist die erste ihrer Art in Deutschland. Sexspielzeuge sind immer noch ein Nischenthema, auch wenn diverse Online-Shops den Kauf erleichtert haben – und damit mehrere Millionen Umsatz machen.

Mehr als nur ein pinker Dildo

Die Konferenz richtete sich vor allem an Frauen. Denn noch immer wird die Branche von Männern dominiert, die Produkte für den weiblichen Orgasmus entwerfen. In den USA ist deswegen bereits im Jahr 2015 die Frauencommunity „Woman of Sex Tech“ entstanden. Mitglieder sind Gründerinnen, die selbst Toys designen und entwickeln oder Plattformen ins Leben gerufen haben, die sich rund um das Thema Sexualität drehen – von Aufklärung bis Entertainment. In Deutschland ist man da noch am Anfang.

Der Markt ist da. „Es ist ziemlich lange nichts in der Branche passiert“, sagt Johanna Rief, Head of Communication der Wow Tech Group. Das Unternehmen hat Marken wie den Womanizer oder We Vibe auf den Markt gebracht, und ist zugleich Hauptsponsor der Konferenz. „Viele denken bei Sexspielzeug immer noch an einen pinken Dildo für fünf Euro, den man im schlüpfrigen Sexshop um die Ecke gekauft hat.“

Dabei gibt es eine Vielfalt an technologischen Innovationen. Vibratoren lassen sich heutzutage per App steuern. Man kann sie hacken und den eigenen Bedürfnissen entsprechend durch Coding neu programmieren. Es gibt Virtual-Reality-Pornos, bei denen man selbst aktiv werden kann – und womöglich datet man sich in Zukunft nur noch „Black Mirror„-mäßig als Avatare in virtuellen Räumen. Sogar Sex mit Robotern könnte uns in Zukunft erwarten. Und dennoch: „Die Sextoy-Branche wird oft nicht als Tech-Branche angesehen“, sagt Rief.

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Vom Labor ins Schlafzimmer

Dabei arbeiten an der Entwicklung von Sextoys Ingenieure, Programmierer und Produktdesigner. „Wie auch andere Unternehmen, investieren wir viel Zeit und Geld in Forschung“, sagt Rief. Die Produktentwicklung ist an einige Limitationen gebunden. In den Geräten steckt viel Technik. Wie viel, ist sicherlich keine Frage, mit der man sich als Außenstehender beschäftigt. Hauptsache, der Orgasmus stimmt. Damit der aber überhaupt ausgelöst werden kann, benötigt es Membranen, Microchips und Motoren – nur, um einen Bruchteil zu nennen.

Eine der größten Herausforderungen ist die Lautstärke. Die führt auch die Liste der Top-Five-Beschwerden an. Niemand möchte, dass der Nachbar weiß, dass das Brummen definitiv nicht von einer elektrischen Zahnbürste kommen kann. Von der Idee bis zum Prototypen ist es ein weiter Weg, auf dem viel firmenintern getestet und ausprobiert wird. Optisch haben die Prototypen nicht viel mit dem Endprodukt zu tun. „Da hängen unter Umständen auch manchmal Kabel raus. Sexy ist das am Anfang echt nicht. Aber ich sage immer: Ich masturbiere für die Wissenschaft“, erzählt Rief.

Am Ende müssen die Geräte leistungsstark, die Materialien hochwertig und medizinisch unbedenklich sein, um auf dem Markt eine Chance zu haben. Auch das Design spielt eine entscheidende Rolle. Das muss Lust machen, die Spielzeuge zu benutzen. Und dafür braucht es Geld.

Wie gewinnt man prüde Investor*innen?

Investor*innen zu finden, die mit ordentlichen Beiträgen Ideen unterstützen, ist es eines der Hauptprobleme von Gründer*innen, die einen Fuß in der Sex-Tech-Branche fassen möchten. Denn auch wenn der Markt viel Potential hat und Geld abwirft, wie Global Sextoy Reports zeigen, würden sich viele Investoren nicht an die Branche herantrauen, meint Rief. „Sexspielzeuge werden gleichgestellt mit Glücksspiel und Alkohol“, sagt sie. Außerdem hätten viele Investoren keine Expertise in dem Bereich, die sie an Startups weitergeben könnten. Hinzu kommen die erschwerten Bedingungen in Sachen Marketing.

Vor allem Frauen haben es schwer und bekommen weniger Funding. Die meisten Investoren seien männlich, sagt Rief. Wie man ein Sextoy vor einem prüden Investor pitcht? Mit einem hohen Selbstbewusstsein und viel Souveränität. Je normaler man mit dem Thema umgeht, desto besser. Wie bei jedem anderen Produkt kann man mit seiner eigenen Persönlichkeit, Background, Zahlen und Fakten versuchen, einen Investor für sich zu gewinnen. „Man könnte einen Pitch damit beginnen eine Grafik von einer Klitoris zu zeigen und über den Aufklärungsansatz die Investoren neugierig zu machen“, sagt Rief. „Im Bereich Aufklärung herrscht noch viel Nachholbedarf.“

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Werbung auf Facebook? Nicht für Sextoys

Auch in Sachen Marketing stehen Startups in der Sex-Tech-Branche vor Herausforderungen. Sie dürfen auf Facebook, Instagram oder Pinterest keine Werbung schalten. Die Produkte verstoßen gegen die Richtlinien der Plattformen. Deswegen protestieren die amerikanischen Unternehmen Unbound und Dame Products mit dem Projekt „Approved, Not Approved“ dagegen. Auf der Website kann man raten, welche Werbungen auf Instagram durchgingen und welche gesperrt wurden. Spoiler: Halbnackte Männer sind kein Problem, Frauen hingegen schon. Und auch in Deutschland gibt es erste Proteste gegen die Richtlinien. So hat der Hersteller We Vibe den Hashtag #UnmutePleasure ins Leben gerufen, nachdem sein Account auf Instagram gelöscht wurde.

Durch die Zensur der weiblichen Lust sind Gründer*innen im Sextoy-Sektor klar benachteiligt. Denn wie kann man potentielle Kund*innen heutzutage erreichen, wenn nicht über Social Media? „Viele Startups machen über Facebook und Instagram Sales ohne Ende. Das funktioniert bei uns nicht“, sagt Rief. Schwierig ist es für Startups somit auch, die Erfolge messbar zu machen.

https://www.instagram.com/p/B0od_uzhDXt/

Somit ist für Gründer*innen im Bereich Sex-Tech vor allem eines wichtig: „In unserer Branche gewinnt man nur durch Patente“, sagt Nadia Beit Saeid, Innovation Manager der Wow Tech Group. So etwas wie Brand Awareness gibt es bei Sextoys kaum. Nur wenige Marken sind sehr bekannt. „Ein Vibrator ist nichts, was man wie eine Handtasche in der Öffentlichkeit spazieren trägt. Durch Patente auf unsere Technologien können wir Kunden gewinnen und viele Verkäufe erzielen“, so Rief.

All das sind Aspekte, die für Investor*innen wiederum eine Rolle spielen und der Kreis sich mit den Herausforderungen für junge Startups in der Sex-Tech-Branche schließt.

Künstliche Intelligenz trifft auf Sex

Möglichkeiten mit einem Investment die Branche voranzutreiben gäbe es auf jeden Fall genug. Ständig wird an Innovationen und neuen Technologien gearbeitet. Wohin die Trends gehen? Künstliche Intelligenz, ganz klar. Produkte sollen unsere Vorlieben lernen, sich Intensitätsstufen merken und verschiedene Vibrationsmodi zusammenstellen können. Sie sollen noch besser an den weiblichen Körper angepasst sein.

Ein weiterer Trend ist vor allem für Menschen, die eine Fernbeziehung führen. Die Technik soll es Paaren ermöglichen, über Distanzen hinweg Sex zu haben. Teledildonics nennt sich der Trend, bei dem Virtual Reality Pornos mit Sextoys verbunden sind. Ein Markt, der ebenfalls viel Potential hat, sind Spielzeuge für Männer. Und auch Sex mit Robotern ist bereits möglich. Man darf also gespannt sein, was sich hier in Zukunft tun wird.

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