Leadership & Karriere Myndset: Wie dank eines Kartenspiels jeder die Millionen-Dollar-Idee haben soll

Myndset: Wie dank eines Kartenspiels jeder die Millionen-Dollar-Idee haben soll

Kann jeder Millionen-Dollar-Ideen haben? Klar, sagen die Gründer*innen von Myndset. Es braucht lediglich ihr Kartenspiel. Wir ziehen durch die Bars Berlins, um aus Partymenschen künftige CEOs zu machen.

Alles kannst du mittlerweile nachstellen und simulieren, aber mit dem KG, dem künstlichen Geistesblitz, tut sich die Forschung noch schwer. Ach was, sagen Jasmin Karatas und Alex Holzreiter. „Künstlich“ braucht es gar nicht, das menschliche Hirn ist originell genug, es braucht lediglich einen kleinen, nun, Arschtritt. Den haben die beiden in Form ihres Kartenspiels Myndset im Gepäck und legen die Karten zur Next-Big-Idea-Generierung bei uns in der Redaktion aus. Das Ganze wirkt erst einmal wie ein Business-Tarot: Die Karten sind recht dick und im Smartphone-Format designt, „wenn sie zu klein sind, nimmt sie keiner ernst“, sagt Holzreiter. „Die müssen wie ein Mahnmal aussehen.“ Das Konzept: Man zieht nacheinander Karten von verschiedenen Stapeln. Auf einem Teil der Karten stehen Aufgaben wie „Being Epic“, auf anderen sind Rollen wie „Digital Hero“ oder „Against Everything“ abgebildet. Um ein neues Produkt oder einen neuen Service zu erdenken, soll man Aufgaben und Rollen kombinieren.

Das Konzept findet Anklang: Die beiden werden mit ihrem Spiel von Konzernen gebucht. „Darf ich auch zwei Ideen haben?“, wurde Karatas mal bei einem solchen Termin schüchtern gefragt. In den geschützten Boardrooms kommt das also gut an. Aber wie schneidet Myndset in Situationen ab, wo Menschen vielleicht morgen The Next Big Thing, doch jetzt lieber The Next Big Beer im Kopf haben möchten?

Dazu stolpern wir erst einmal durch Mitte bis zur Spree, wo sich Menschen gegenüber dem Bode-Museum beim Tango versuchen. Zum Glück nicht alle: Karatas erspäht eine Gruppe Endzwanziger, die sympathisch unambitioniert rumlümmeln. Sie kommen aus Schweden, befinden sich mitten in einem massiven Drei-Tage-wach-Projekt und sind dementsprechend wehrlos. „Those are nice cards“, schlurrt es uns immerhin schon einmal entgegen. Und zumindest Marvin ist zu begeistern: Karatas lässt ihn Karte um Karte ziehen und fragt, was er gründen würde. Marvin überlegt gewissenhaft jeden Schritt, seine Karten sind „Social Meaning“, „Automation“, „Justice“ und „Artificial Intelligence“. Was würde er gründen? Nun: ein Smartphone für ältere Menschen, das extrem einfach zu verstehen ist. Dazu einen angeschlossenen Social-Media-Dienst, der sie vernetzt. Die KI lernt, welche Schwierigkeiten die ältere Person im Umgang mit Tech hat, und coacht sie über das Smartphone, damit das Wissensgefälle zwischen den Generationen nicht mehr so klafft. Karatas begleitet jede Stufe der Idee zunehmend erfreut und scheint ihn richtig anzufeuern. Marvin sagt am Ende: „I like it a lot. I haven’t thought this much in four years.“ Gut! Ziel erreicht. Jetzt muss er nur noch gründen. Aber plötzlich Gegenwind: „So you steal ideas from other people?“, fragt uns einer der Schweden, der vorher nicht ganz so aufmerksam zugehört hat. Schnell weg.

Auf dem Weg zum nächsten Pitch erzählt Holzreiter, dass die Karten als physisches Produkt lediglich der Anfang der Marke Myndset sind. Karatas und er haben schon eine funktionierende Onlinestrategie. Die besteht zur Freude aller auch darin, dass sie jeden Freitagmittag von 12 bis 13 Uhr eine Live-Session auf allen wichtigen Streamingportalen abhalten. Neulich kleine Aufregung, weil auf Youtube der allererste Downvote kam. Als Karatas später nachsah, war er aber wieder weg.

Nach ein paar Bieren kommen wir am M.K. Spätkauf am Rosenthaler Platz an. Lauer Donnerstagabend im Spätsommer, jeder Platz auf den Bänken davor ist besetzt. Aber Karatas und Holzreiter wissen nicht nur, wie man im Getümmel an zwei Sitze gelangt, sondern auch, wie ein Gespräch Schrägstrich Pitch beginnt: indem man dem Tisch eine Flasche Rosé-Sekt spendiert. Derart bestochen, zeigt man sich einverstanden, ein paar Minuten zuzuhören. Holzreiter packt das Set aus.

Marvin aus Schweden ist an Bord: Die Karten haben ihm orakelt, dass er ein Social Startup mit KI gründen sollte. Berlin-Urlaub hat sich gelohnt!

„Ist das ein Vokabelkasten?“, will einer wissen. „Nee“, sagt Karatas, „du musst auch nicht mal lesen können.“ Perfekt! Alle an Bord, und das Ziehen beginnt. Die Gruppendynamik ist von Anfang an beeindruckend: Ratzfatz steht die Idee, auf Instragram-TV Großmütter in der Art von Bob Ross pinseln zu lassen, ein therapeutisches Event für den Zuschauer wie auch die Omas. Die allerdings sollen dabei nackt sein, um die Zielgruppe vor dem Livestream zu vergrößern. Aber wie monetarisieren? Egal, erst mal umsetzen und kritische Masse erreichen. So oder so, es ist ziemlich rührend zu sehen, dass sich junge Gründer mittels Myndset offenbar vor allem um das Wohl der älteren Generation kümmern.

Einer aus der Gruppe verabschiedet sich, Karatas will ihn zum Dableiben bringen: „Komm, hab eine große Idee, mach deine Oma stolz.“ – „Ich bin schwul, meine Großmutter ist nicht stolz auf mich“, sagt er und geht. Hm. Aber die anderen sind noch immer gut on fire. Evi sagt, dass ja die meisten guten Ideen angetrunken an einem Tisch entstehen, erst neulich hat sie in einer ähnlichen Situation mit Freunden überlegt, was man Neues auf den Markt bringen könnte, und man sieht ja auch hier und jetzt, wie gut das funktioniert: „Ich kann mir das gut vorstellen als Methode, um etablierte Unternehmen hipper zu machen und Schlipsträger aufzulockern“, sagt sie. Karatas nickt, Holzreiter holt noch eine Flasche Sekt. Der Abschied fällt herzlich aus – gemeinsames Brainstormen ist eine zärtliche Angelegenheit.

Ah, ja, bestes Setting, um Next-Big-Thing-Gedanken im Minutentakt vom Band laufen zu lassen

Holzreiter erzählt von seinen früheren Ventures. Mit 28 Jahren war seine Agentur eine von lediglich sechs Partnerfirmen von Adobe. Dann hat er Mygassi gemacht, das Facebook für Hundehalter. Karatas hingegen hat in Kopenhagen Game Studies studiert und sich immer mit Gamification beschäftigt. So leitet sie bei der Beratung Accenture dann auch das Gamification Center. Auch Holzreiter war unterdessen bei Accenture gelandet. Sie lernten sich kennen, weil Holzreiter ihr von der Idee erzählte, einen digitalen Cockring auf den Markt bringen zu wollen. Karatas sagt: „Alex wollte immer am liebsten ein Hardwareprodukt machen.“

Vor drei Jahren war Holzreiter dann bei einem Workshop, den Karatas auf der Münchener Techkonferenz Bits and Pretzels geleitet hat. Als er von ihrer Idee mit den Karten hörte, sagte er: „Das ist super, das erzählst du keinem weiter.“ Auch für Karatas war schon länger klar, dass die Zeit reif für etwas anderes sein müsste: „Design-Thinking ist so stumpf, das kann es nicht sein.“ Ihre Idee bestand darin, dass Menschen spielerisch lernen. Sie entwickelten die Myndset-Karten und achteten darauf, dass die auch randvoll mit Popkultur und Easter-Eggs stecken – nichts daran sollte auf „Firmenspiel“ deuten. Der erste Drucker, der Wahnsinnige, hat für die Karten die Pantone-Farben selber angemischt, erinnert sich Holzreiter. „Myndset ist wie ein Kind“, sagt Karatas. „Wir stehen damit auf und gehen damit schlafen.“ Holzreiter nickt: „Wir sind wie ein Old-School-Startup. Wir haben Bock.“

Einerseits will man den Menschen nicht ihre Rosé-Sekt-Abende crashen, andererseits wird es mit Myndset halt noch lustiger.

Wir haben auch Bock, allerdings auf billiges Bier und Mexikaner. Zum Glück kennen wir mit dem Pik As am Rosenthaler Platz einen Hotspot, wo man Preisbewusste wie uns fast liebevoll umsorgt. Dort sitzt eine Gruppe, die gleich auf einen Geburtstag anstoßen und lieber nicht gestört werden will. Zum Glück stört wiederum uns das nicht. Aber das Feedback ist dementsprechend verhalten: „Komisches Format“, „ist das ein Spiel?“, „ich bin noch nicht überzeugt“, kommt es zurück.

Ach, aber auch hier löst sich wieder eine Einzelne – einem Kreativmeteoriten gleich – aus dem trägen Verbund. Denn Jana haut gleich mal aus dem Stand ein paar Ideen raus. Beeindruckend! In den Notizen zu Jana finde ich: „Käse, aber vegan und billig. Basierend auf Blockchain. Zum Selbermachen (Petrischale!)“. Woher der Nachdruck beim Begriff Petrischale kommt, bekomme ich nicht mehr zusammen. So wenig wie den Rest des Abends. Denn nachdem Mitte sich dann nach 1 Uhr schnell leert und wir traurig und allein im Muschi Obermaier rumstehen, muss wohl der Entschluss gefallen sein, nach Hause zu gehen. War wahrscheinlich die beste Idee – und kam uns ganz ohne Hilfe auch nur einer einzigen Karte.

 

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