Innovation & Future Silicon Saxony: Warum gerade Dresden der ideale Standort für Hightech ist

Silicon Saxony: Warum gerade Dresden der ideale Standort für Hightech ist

Wege sind kurz in Dresden. In 20 Minuten erreicht man hier fast jeden Ort. Nicht wie in Berlin, Deutschlands Start­up-Hauptstadt, in der man oft dreimal so lange braucht, um an sein Ziel zu kommen. Das ist schon mal ein Vorteil, den die Stadt an der Elbe zu bieten hat, und ein Grund, warum sich hier dann doch so viele Unternehmen angesiedelt haben. Trotzdem kurze Einordnung. „Wir sind nicht der Nabel der Welt“, sagt Robert Franke, Chef des Amts für Wirtschaftsförderung der Stadt. Im Gegenteil, man stehe hier in enormer Konkurrenz zu vielen anderen Standorten – in Deutschland, in Europa, auf der ganzen Welt.

„Wir haben hier kaum Dax-Konzerne“, sagt Franke – eher: Nicht nur die Dax-Konzerne fehlen, die großen Firmen generell. „Mir ist jeder Arbeitsplatz lieb“, sagt er. Und um die in die Stadt zu kriegen und – wichtiger! – auch zu halten, hat er sich was ausgedacht. „Unser Alleinstellungsmerkmal ist die Innovation“, sagt er. Gründen, ansiedeln und pflegen – das seien die drei Hebel.

Green Hightech

Franke sagt: „Man muss bedenken, wir kommen aus einem Wirtschaftssystem, das nicht konkurrenzfähig war.“ Jetzt, 30 Jahre nach der Wende, hat Dresden einen wirtschaftlichen Wandel vollzogen, der beeindruckend ist. „Wir haben weltweit die meisten Frauenhofer-Institute“, sagt Franke, als sei das allein ein Gradmesser für Innovationspotenzial. Dazu die Uni mit ihrem Exzellenz-Status, die immer neue Ideen und junge Firmen liefert, die auf den Markt wollen.

Kurze Wege schön und gut, das zieht Hightech an. Und zwar in einem Maße, dass Dresden sich kurzerhand den Namen „Silicon Saxony“ gegeben hat – so kommt fast jeder zweite in Fahrzeugen verbaute Mikrocontroller aus Sachsen. Und Silicon Saxony scheint perfekt aufgestellt zu sein, um vom nächsten Treiber der Wirtschaft zu profitieren: dem Klimawandel.

Wasser statt Luft

Eines der Unternehmen, das mit Technologie zur Lösung beiträgt, ist Cloud & Heat. Das Unternehmen hat sein Büro auf dem Gelände einer alten Turbinenfabrik im Osten der Stadt. „Das ist doch die perfekte Nachnutzung“, sagt Nicolas Röhrs, der Geschäftsführer. Früher Stahl, heute Industrie 4.0. Der Charme des Geländes hat sich erhalten, alte Industrie, Portalkrane, Pflastersteine.

Hinter den Fassaden der alten Anlage befindet sich allerdings modernste Technik: Cloud & Heat arbeitet an einer neuen Form der Kühlung von Servern – anstatt Luft kühlt Wasser die Geräte. Warum? Ganz einfach, weil es effizienter ist. Und: „So, wie Rechenzentren im Moment gekühlt werden, ist das eine Katastrophe für die Umwelt“, sagt Röhrs. „Das kann man einfach nicht hinnehmen.“ Und die Alternative, die sie sich in Dresden ausgedacht haben, ist nicht nur effizienter. Das Kühlwasser, das sie hier durch die Server schicken, ist am Ende des Kühlkreislaufs so heiß, dass man es zum Heizen nutzen kann.

Dass in dem Bereich etwas passieren musste, ist für Röhrs keine Frage. „Bisher verbrauchen wir fünf Prozent des weltweiten Stroms für Rechenzentren. Wenn man sich überlegt, dass es in zehn Jahren 20 Prozent sein sollen, dann wird das Thema zu einem riesigen Problem werden.“ Die erste Idee von Cloud & Heat bestand darin, den Leuten einen Server in die Häuser zu stellen. Damals, 2012, hätte ein solcher Server genug Wärme produziert, dass man ein Haus damit heizen konnte. Der Server wäre dann ein Teil eines dezentralen Rechenzentrums gewesen – der Deal lautete für die Hausbesitzer also Raumnutzung gegen Heizung.

Inzwischen ist die Leistung von Servern – und damit auch die Hitze, die sie erzeugen – derart gestiegen, dass man mit einem Serverschrank 25 Häuser beheizen kann. Für ein Privathaus also viel zu viel Energie. Deshalb musste man dazu übergehen, größer zu denken. „Wir verkaufen heute komplette Rechenzentren, die wir dann auch betreiben“, sagt Röhrs. Die Wärme, die dabei entsteht, wird dann genutzt, um große Abnehmer zu versorgen. Vor zwei Jahren übernahmen sie etwa einen Server im früheren Rechenzentrum der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. Heute liefert dieser genug Energie, um ein siebenstöckiges Hotel mit Heizung, Warmwasser und allem Drum und Dran zu versorgen. Fragen nach der Skalierung des Geschäftsmodells beantworten sich von selbst: Der weltweite Bedarf an Rechenzentren nimmt zu – und damit stellt sich die Frage, wie diese nachhaltig betrieben werden können. „Es passiert gerade sehr viel, in Schweden darf man kein Rechenzentrum mehr bauen, wenn man kein Abwärmekonzept vorliegen hat“, sagt Röhrs. Digitale Nachhaltigkeit – ein Thema, das mit voranschreitender Digitalisierung zentraler wird.

Ein paar Straßen weiter sitzt ­Sunfire, passenderweise in der Nähe des alten Gasometers. „Power to Liquids“ ist der Claim des Unternehmens. Das Konzept, runtergebrochen: Sonnenenergie oder Wind in synthetisches Erdöl verwandeln. „Der Vorteil ist, dass wir dabei auf bereits vorhandene Infrastruktur zurückgreifen können“, sagt Nils Aldag.
Aldag ist einer der Gründer von Sunfire und für die Vermarktung verantwortlich. Die vorhandene Infrastruktur, von der er spricht, sind Raffinerien, in denen heute noch klassisches Erdöl in Kraftstoffe wie Diesel, Benzin oder Kerosin umgewandelt wird. Nur dass der Stoff, den Sunfire in Zukunft in die Raffinerien schicken will, eben kein gewöhnliches Öl ist, sondern rein künstliches. Aber ganz direkt gefragt: Ist das nicht ein halbherziger Zwischenschritt? Wäre es nicht viel besser, ganz darauf zu verzichten, Dinge zu verbrennen? Doch – aber dann auch wieder nicht.
Strom gilt als der Kraftstoff der Zukunft. Aber: „Vieles wird man damit nicht lösen können“, sagt Aldag. „Die Energiedichte in Batterien ist zu gering.“ Das sei noch immer der Vorteil von Erdöl und Erdgas. Auf absehbare Zeit werden Flugzeuge mit Kerosin angetrieben werden, Hochöfen mit Öl beheizt – und die werden CO₂ ausstoßen. Gut. Wo also liegen die Vorteile von synthetischen Kraftstoffen? Beim Erklären muss Aldag weit ausholen. Er führt die Kohlenstoffbilanzen der Erde, die der Luft und die des Bodens an. „Momentan entnehmen wir Kohlenstoff aus der Erde, verbrennen ihn und verändern damit die Kohlenstoffbilanz der Atmosphäre.“

Was dann passiert, kennen wir als Klimawandel. „Das Ziel ist, die Kohlenstoffbilanzen der Erde nicht zu verändern.“ Dafür reicht es, wenn bei der Herstellung eines Kraftstoffs genauso viel CO2 aus der Atmosphäre entnommen wird, wie bei seiner Verbrennung CO2 entsteht.“  Somit sind e-Fuels CO2-neutral.

Nils Aldag hält eine Flasche des synthetischen Kraftstoffes hoch, den Sunfire produziert. Das Verfahren der Firma aus Dresden benötigt viel Strom, kann aber die bereits vorhandene Erdöl-Infrastruktur nutzen. Schon bald soll in Norwegen eine große Menge des Kraftstoffes hergestellt werden. Die Bedingungen dafür sind in dem Land optimal. Foto: Bastian Hosan

Allerdings: Das Verfahren von Sunfire benötigt viel Strom. Und da Deutschland relativ wind- und sonnenarm ist, müsse man das Öl-Substitut woanders herstellen. Norwegen sei dafür optimal. Das Land ist Europas bester Standort für Windkraft und bietet zudem viel Strom aus Wasserkraft, den man aufgrund der Entfernung allerdings nur schwer in die Absatzmärkte transportieren kann. Außerdem gibt es in Norwegen eine gut ausgebaute Erdöl-Infrastruktur. Wenn Norwegen in Zukunft kein Öl mehr fördert, können dort synthetische Kraftstoffe hergestellt werden. Win-win für alle. Schon 2023 soll es losgehen. Zehn Millionen Liter Synthese-Öl wollen sie zu Beginn dort produzieren. „Das kann dann aber schnell auf 100 Millionen Liter hochskaliert werden.“ Nur: Es werden weiterhin hohe Steuern auf das Produkt fällig. Da müsse sich die Politik eine bessere Lösung überlegen.

Überhaupt, sagt Aldag, müsse die Politik eine Ansage machen. Denn technisch sei das alles längst kein Problem mehr. „Man muss sich für grüne Energien entscheiden“, sagt er. Es herrsche nämlich am Ende doch die Angst, dass synthetische Kraftstoffe die so laut und wirksam herbeigesehnte Elektromobilität ausbremsen könnten.

Und schließlich muss man doch einmal durch die ganze Stadt: Einen anderen, aber nicht minder grünen Ansatz findet man bei Heliatek, knapp 50 Minuten von Sunfire entfernt. Dort widmet man sich der Produktion von Next-Level-Solarfolien. Die bestehen – im Gegensatz zu 90 Prozent der anderen Solaranlagen – nicht aus Silizium. Stattdessen aus organischen Materialien, die synthetisch und umweltfreundlich hergestellt werden. Keine seltenen Erden, keine Schwermetalle, keine Rohstoffe, die knapp werden können – „wir haben hier eine der saubersten Technologien überhaupt entwickelt“, sagt Stephan Kube, Marketingchef von Heliatek.

Über die Walzen läuft der Stoff, auf dem die Sonnenenergie in Strom umgewandelt wird. Foto: Heliatek

Die Zahlen sprechen für sich: Eine Million Quadratmeter Solarfolie kann Heliatek jetzt schon im Jahr herstellen. Das ist in etwa so viel, wie das Dach des neuen Flughafens in Peking groß ist. Klingt viel. Aber da geht noch was, wenn man bedenkt, wie viele Flächen nun auch mit Solartechnik bebaut werden könnten. Viele Dächer halten konventionellen Solaranlagen nicht stand, an Fassaden kann man sie nicht montieren. Alles aber doch möglich, weil man die ­Heliatek-Folien einfach aufkleben kann.

Die Kunden warten

„Die nächsten Schritte sind leicht: endlich an den Markt gehen. Das planen wir für September“, sagt Guido van Tartwijk, der CEO. Viele Kunden hätten bereits vorbestellt, „die warten jetzt auf das Produkt“. Was also hindert Heliatek, einfach an den Markt zu gehen? „Es dauert lange, die Produktion hochzufahren.“ Zudem müsse man die Folien ausreichend testen, um zu gewährleisten, dass sie 20 Jahre halten. Das passiere gerade in Singapur. Wenn alles klappt, kommt in diesem Jahr also die Solarfolie auf den Markt, die überall anzubringen ist. Kube zeigt Bilder, auf denen die Folie an Wind­rädern angebracht ist. „Eine klassische Doppelnutzung.“ Auch in Fenstern denkbar. Seit zehn Jahren forscht das Unternehmen jetzt an seinen Folien und baut an den Anlagen. Eine lange Zeit, „aber die braucht man eben“, sagt Kube. Natürlich auch, weil es Zeit braucht, sicherzustellen, dass die Technik wirklich so grün ist, wie sie verspricht. Das sei sie, versichert van Tartwijk. „In drei Monaten hat man die Energie für die Herstellung wieder drin.“

Es gibt einige Gebäude, die van Tartwijk gerne mit der Solarfolie versehen würde. Das Bundeskanzleramt etwa: große Fenster, große Fassaden. Und große Ideen. Wenn diese Vordenker Erfolg haben, könnte Dresden bald dem größten Fürsprecher Franke widersprechen: indem man dann nämlich doch der grüne Nabel der Welt ist.

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