Leadership & Karriere Hightech-Strampel-Bikes: Wie Peloton auch nach der Coronakrise Wohnzimmer erobern will

Hightech-Strampel-Bikes: Wie Peloton auch nach der Coronakrise Wohnzimmer erobern will

Rennen um Offline

Das ist auch etwas, was den Investmentbankern von Macquarie aufgefallen ist: dass es dem Gründerteam gelang, von Anfang an „eine Aura“ um das Bike aufzubauen. Und noch eine Sache fiel Macquarie auf: Sie lobten die Qualität des Fahrrads.

Und das ist nicht alles. Wer einen der immer mehr werdenden Peloton-Stores besucht, dringt in ein durchdachtes Konzept ein. Aufgeräumtes Innendesign. Einladende Flächen. Wer bislang den Kauf von Home-­Fit­ness mit einem wuseligen Karstadt-Sport-Besuch verbindet, dürfte hier eine angenehm cleane Erfahrung machen.

Konzentration aufs Wesentliche: Im Peloton-Store erinnert einen nichts an buntes Discount-Chaos (Foto: Peloton)

Es ist vielleicht ein bisschen simpel, als gelungenes Beispiel immer wieder Apple ranzuholen, aber so ist es eben: Der US-Konzern hat seit Anfang des neuen Jahrtausends in der Kundenerfahrung so viel richtig gemacht, dass er einfach gelernte Benchmark ist – und dass ein Apple Store auch knapp 20 Jahre seit seiner Öffnung das Erste ist, woran man bei einem Peloton-Store denken muss. Alles ist auf die First Experience ausgelegt. Mag Peloton seine Zielgruppe vor allem online targeten und abholen, die Showrooms, etwa der in Hamburg, reihen sich nahtlos ein in die neuen, aufwendigen Offline-Lifestyle-Ambitionen von Marken wie Tesla oder Iqos.

Die Deutschland-Strategie profitiert auch von den im Heimatmarkt gemachten Erfahrungen. So setzt Peloton von Anfang an auf Gesichter, die als Coaches die nötige Verbindung zur Nutzerschaft herstellen sollen. Irène Scholz und Erik Jäger sollen so nicht nur die deutschsprachige Community mit eigenen Inhalten am Ball halten, sondern mit ihrer bereits bestehenden Reichweite bei Neukunden für einen Fuß in der Tür sorgen.

Jäger hat unter dem Namen Hauptstadttrainer über 85.000 Abonnent*innen auf Instagram, zusammen mit denen von Scholz liegt das Duo bei rund 100.000 – für Peloton zu Teilen ein schon vorgefertigtes Zielgruppenpublikum: jung, onlineaffin und unter Umständen bereit, für einen sportlich geformten Körper eher hohe Anschaffungskosten in Kauf zu nehmen. Scholz und Jäger geben die Kurse wie Cycling oder Yoga vom Studio in London aus, mittlerweile werden die Kurse aber auch von zu Hause aufgezeichnet. Hauptstadttrainer Jäger ist für seinen Peloton-Gig sogar eigens in die Kapitale London gezogen.

Und jetzt ist eben die große Frage: Wie geht es weiter mit dem Unternehmen, das allen Mutmaßungen zufolge eigentlich doch ein großer Profiteur der vergangenen Monate gewesen sein müsste?

Die Zeit nach Corona

Der Markt hatte darauf eine ziemlich eindeutige Antwort: Das Unternehmen, das als Peloton Interactive zu 29 Dollar an die Börse gegangen ist, erfreute sich eines steigenden Aktienkurses, ein Anteilsschein ist jetzt zu rund 43 Dollar zu haben. Satte 66 Prozent sind die vierteljährlichen Verkäufe im Q1 gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Alles in allem will man das bis zum 30. Juni 2020 laufende Geschäftsjahr laut Quartalsbericht mit einem Connected-Fitness-Abonnentenstamm von 1,04 bis 1,05 Millionen Menschen beenden. Das wäre ein Wachstum um 104 Prozent.

Besonders spektakulär: Die Nutzerzahlen für die iOS-App explodierten förmlich. Im März und April stiegen die Downloads um 400 Prozent. Die Zahlen lassen mittlerweile oft die von arrivierten Marken wie Adidas oder Nike hinter sich – nur dass die mit ihren Schuhen als Hauptprodukten in einem viel niederpreisigeren Segment unterwegs sind, was Pelotons Erfolg noch einmal bedeutsamer macht.

Deutschland-Chef Richter sagt: „Wir glauben daran, dass Fitness-at-home auch noch nach Corona eine Rolle spielen wird. Wir ändern die Strategie nicht.“ Wozu auch? Der Erfolg in der entstehenden Community gibt ihm recht, auch sieht man sich selber nicht in der Rolle des Zerstörers: „Wir haben uns immer komplementär zu den Studios gesehen“, sagt Richter. Daran soll sich nichts ändern. Neugierige lockt man in Viruszeiten mit einem verlängerten Testangebot, das 90 statt 30 Tage lang umsonst zu haben ist.

Seit Ende Februar sollen die Suchanfragen nach dem Begriff „Peloton“ um das Dreifache gestiegen sein. Bei dem Kampf um Aufmerksamkeit scheint das Unternehmen mehr als gut dazustehen.

Probleme lauern stattdessen an unerwarteter Ecke. So hat man seit vergangenem Jahr eine Klage am Hals, weil man unerlaubt Songs für die Work-outs genutzt hat. In der ersten Instanz bezifferte sich die Klage auf rund 150 Mio. Dollar. Die betroffenen Programme wurden aus der Bibliothek genommen, was wiederum die Nutzer*innen verärgerte. Und dann wurde die Klage im vergangenen Herbst noch einmal angepasst: Seitdem beläuft sie sich auf satte 300 Mio. Dollar. Tja.

Zudem sorgt die Nachfrage nach den Geräten für Lieferengpässe. Steht das Bike normalerweise binnen fünf bis sieben Tagen vor der Tür, verzögert sich alles, manchmal auf unbestimmte Zeit. Auch ärgerlich: Die im Jahr 2018 eingeführte Treadmill wurde in Zeiten der Kontaktbeschränkungen erst gar nicht mehr ausgeliefert – ohne Hilfe sei das Teil nicht alleine aufzubauen. Die Treadmill ist mit über 4.000 Dollar noch einmal im hochpreisigeren Segment angesiedelt. Und natürlich waren die Stores in den letzten Wochen verriegelt.

Unterdessen hat sich die Einstellung zum Unternehmen geändert: Die Anleger an den Börsen erkennen im Angreifer ein sinnvolles Investitionsmodell, das das Krisenjahr 2020 als Gewinner beenden wird. „CNBC“ schließt am 31. März eine Analyse mit dem schnöden Fazit, dass die Menschen auch nach dem Lockdown ihre Work-outs noch in der eigenen Wohnung machen werden. Das Vertrauen in die Maschine daheim ist schlicht größer als in die Ansteckungsherde Gym und (in geringerem Maße) Park. Weiter: Wer sich einmal auf diese hohe Investition eingelassen hat, wird das Bike nicht vergammeln lassen, auch der große Fokus auf den Social-Aspekt soll dafür sorgen, dass Peloton in der Wahrnehmung frisch bleibt.

Zudem scheint das Modell prädestiniert zu sein, in der Zukunft weitere Services on top zu verkaufen oder neue Erlösmodelle zu schaffen – ist erst mal das Gerät in der Wohnung und in regelmäßiger Nutzung, fallen die Hürden, noch einmal einen Euro hier oder da für weitere Features zu investieren. Daher zur eingangs gestellten Frage: Ist Peloton eine Techcompany? Der Markt betrachtet das Unternehmen dieser Tage als eine solche – und erwartet Wachstum.

Auf der anderen Seite, auf der Seite der Endkund*innen, scheint all das viel zu theoretisch und fern. Denn wer einen Blick in die Foren wirft, in die Facebook-Gruppen und Communitys, der sieht begeisterte Nutzer*innen, die sich herausfordern und verabreden. In bester Social-Manier natürlich auch in Interessengruppen geschart: Singles fahren mit Singles, Mütter mit anderen Müttern. Gut vorstellbar, dass nach dem Thermomix ein Next-Level-Fitnessgerät zum guten Ton im Haushalt deutscher Besserverdiener*innen wird. Und vielleicht muss man es auch pragmatisch sehen: Wer braucht schon jetzt fliegende Autos, wenn davor ein formidabler, von Profis und Community via 22-Zoll-Bildschirm zurechtgecoachter Körper wartet?

Freunde und Freundinnen, die neue Ausgabe ist da! Mit einem großen Titel-Dossier zum Thema Sport: in Zeiten, in denen Großveranstaltungen gestrichen werden, entdecken die Hersteller die Herde an Freizeitsportlern – und die werden in Corona-Zeiten immer mehr. Wie wollen Peloton, On Running und Under Armour diese neue Chance nutzen?
Außerdem: Say Say: Ein Anwalt kündigt seinen Job, um einen Hiphop-Radiosender aufzubauen. Blocksize Capital: Zwei junge Frankfurter wollen mittels Blockchain den Finanzmarkt komplett neu aufstellen. Max Siedentopf: unser Cover-Artist im großen Portrait mit Werkschau. Und wie immer vieles, vieles mehr. Viel Spaß beim Lesen!

Seite 2 / 2
Vorherige Seite Zur Startseite

Das könnte dich auch interessieren

Petz-Kultur in Deutschland: Jeder Zweite würde einen Mitarbeitenden verpetzen Leadership & Karriere
Petz-Kultur in Deutschland: Jeder Zweite würde einen Mitarbeitenden verpetzen
Gen Z: Erwartungen und Karrierewünsche einer globalen Generation Leadership & Karriere
Gen Z: Erwartungen und Karrierewünsche einer globalen Generation
Mehr Freizeit, weniger Geld – Arbeitnehmende würden für Vier-Tage-Woche auf Gehalt verzichten Leadership & Karriere
Mehr Freizeit, weniger Geld – Arbeitnehmende würden für Vier-Tage-Woche auf Gehalt verzichten
Rückkehr aus dem Homeoffice: Generation Z arbeitet lieber im Büro Leadership & Karriere
Rückkehr aus dem Homeoffice: Generation Z arbeitet lieber im Büro
Marina Zubrod: „Es ist nicht romantisch, Unternehmer zu sein“ Leadership & Karriere
Marina Zubrod: „Es ist nicht romantisch, Unternehmer zu sein“