Green & Sustainability What3words entwickelt Adressen, die alle finden – sogar am Strand oder im Wald

What3words entwickelt Adressen, die alle finden – sogar am Strand oder im Wald

Die Seven Sisters im äußersten Süden Englands sind von malerischer Schönheit, hoch aufragende, weiße Klippen. Doch Wayne Trinder wäre hier fast gestorben. Es ist ein Frühlingsmorgen im Corona-Jahr 2020. Der 55-Jährige ist alleine draußen unterwegs. Er will sein neues E-Bike noch schnell ausprobieren, bevor schlechtes Wetter aufzieht. Der Elektromotor verleitet Trinder dazu, eine unbekannte Strecke zu nehmen. Sie ist steil. Ausblick weit übers Meer. Trinder lässt sich von einem vorbeiziehenden Tanker weit draußen ablenken. Dann stürzt er.

Ganz nah am Abgrund, vielleicht 80 Meter über dem Meer. Unten nichts als Felsen. Er landet im Gras, entgeht mit Glück dem Tod. Aber er ist schwer verletzt: doppelter Bruch des Oberschenkelknochens. Trinder ist in Form, ein erfahrener Radfahrer. Als Lehrer an einer Privatschule leitet er das Fahrradteam. Er weiß, dass ihn nur das Adrenalin davor schützt, extreme Schmerzen zu spüren. Und er weiß, dass ihm nicht viel Zeit bleibt. Er braucht Hilfe.

Zum Glück hat er sein Handy dabei, erreicht die Rettungszentrale. Die will einen Hubschrauber schicken. Es gibt nur ein Problem: Wohin? „Es gab keine Beschreibung, mit der man mich hätte finden können“, erinnert sich Trinder im Videocall. Das Areal seines Unfalls ist hügelig, grasbestanden, erstreckt sich weit. Es gibt keine Ortsmarke, an der er sich orientieren könnte. Der Rettungsdienst hat eine Idee. Trinder bekommt einen Link per SMS. Damit findet er einen Code aus drei Wörtern: elects.perfume.bluffing.

Nur 15 Minuten bis zur Rettung

Etwa 15 Minuten später ist der Hubschrauber da – die Rettung. Das alles wäre wohl anders gekommen ohne What3words, den Dienst, auf den der Link des Rettungsdienstes Trinder führte. Die Idee wird nicht nur von immer mehr Rettungsdiensten in Großbritannien und aller Welt bis nach Bielefeld und Rosenheim empfohlen. Sie könnte auch Logistik und Mobilität verändern. Mercedes-Benz hat das System mittlerweile in seine Bordcomputer integriert, DPD navigiert damit zu Adressaten, die Deutsche Bahn setzt im Güterverkehr auf die drei Wörter. Und gerade hat Ikea 16 Mio. Dollar in die Firma investiert.

Nur, wieso ist das Wo überhaupt so kompliziert? Ist es nicht eines der ältesten Probleme der Menschheit, einen Ort präzise zu beschreiben? Gibt es nicht Adressen, Koordinaten, GPS?

Wenn es alles so einfach wäre, dann hätte nicht nur Wayne Trinder am Telefon ratlos auf die Frage nach dem Wo reagiert, auch Chris Sheldrick vor knapp zehn Jahren nicht vergeblich auf Konzertequipment gewartet. Die Lieferung, auf die er wartete, landete am Ende nördlich von Rom mitten im Nirgendwo. Und nicht im Süden der Stadt bei Sheldrick – dort wo das Konzert stattfinden sollte. All das wegen eines Zahlendrehers bei den Koordinaten, mit denen der Fahrer navigierte, wie Sheldrick erzählt. Klar, jeder vertippt sich bei so was mal. Und nur eine einzige falsche Ziffer kann den Ort komplett woanders verorten.

Da saß Chris Sheldrick also in Italien und merkte, dass es eines einfacheren Weges bedarf, um Orte genau zu beschreiben. Heute ist das mit seiner Firma What3words Realität geworden. Das Prinzip ist denkbar simpel: Die ganze Welt wird mit einem Gitternetz aus drei mal drei Meter breiten Quadraten überzogen. Jedes dieser Quadrate hat eine Kombination aus drei Wörtern als Namen, die es eindeutig identifizierbar macht: Im Raubtierhausteich des Berliner Zoos etwa findet sich der „Raum.ernster.Geliebter“. Und wie passend: „Tier.Ausflug.Erfolgen“.

Mitten in Donald Trumps Anwesen Mar-a-Lago in Florida findet man den „tiefgreifenden.Stichtag.Volksbefragung“. Trump selber wird diese feine Ironie nicht genießen können. Denn das System existiert zwar auch auf Englisch, die Adressen sind aber keine Übersetzungen, sondern in jeder Sprache neu generiert. In diesem Fall wird aus dem tiefgreifenden Stichtag „snubs.snouts.domes“, auf deutsch etwa „brüskiert.Schnauzen.Kuppeln“. Oder 26°40‘37.4“N 80°02‘13.7“W. Bitte mal mental notieren.

Die letzte Meile fürs Klima

57 Billionen Drei-mal-drei-Meter-Quadrate gibt es insgesamt. Weil es so schön ist: 57 000 000 000 000 sind das, 57 Millionen Millionen. Unglaublich, dass sich aus nur drei Worten so viele Kombinationen bilden lassen, tatsächlich sind es noch viel mehr. „Ist sehr schön, dass es reicht“, sagt Sheldrick im Videocall. „Wenn es vier oder mehr Wörter wären, würde es kompliziert.“

Weil jeder falsch gefahrene Meter überflüssige Umweltverschmutzung bedeutet, hat What3words durchaus Ökopotenzial. „Wenn wir zu einem globalen Standard werden, wird sich das aufaddieren“, sagt Sheldrick. Eine traditionelle Straßenadresse sagt wenig darüber aus, wo man gut einen Lieferwagen parken kann. Und gerade bei großflächigen Logistikstandorten ist die Laderampe oft sehr weit von der Einfahrt entfernt. Die Hausnummer ist trotzdem dieselbe. Die Drei-Wort-Adressen beider Standorte lassen sich zielgenau ansteuern.

Immer dann, wenn eine Lieferung nicht zugestellt werden kann, müssen die Boten den Weg noch mal antreten. In Zeiten geschlossener Läden gewinnt das Problem an Bedeutung. 20 bis 30 Prozent der Emissionen einer Stadt gehen auf die mittlerweile berühmte letzte Meile von Lieferungen zurück, schätzt Georgia Ayfantopoulou,. „Eine bedeutende Quelle von Verschmutzung, an der wir im Kontext der Klimaveränderung etwas ändern müssen“, sagt die Transportforscherin aus Griechenland.

Weil Wörter uns vertrauter sind als Zahlen, scheint es so unglaublich, wie viele Kombinationen sich aus ihnen bilden lassen. Es gibt eben nur zehn Ziffern. Wörter in viel größerer Zahl, allein an Grundformen umfasst der Duden fast 150 000. Und viele Tausend kennen alle Muttersprachler, verbinden sie mit mentalen Bildern. Das hilft beim Merken. Und gegen Missverständnisse. Wenn man Sheldrick fragt, welches Problem seine Idee löst, sagt er: „Es gibt nicht überall auf der Welt Adressen, die man einfach kommunizieren kann.“ Damit ein Zahlendreher nicht das gleiche Problem hervorruft wie damals in Italien.

Deshalb ist What3words nicht nur technologisch interessant, es hilft vor allem beim Kommunizieren. Wissen Sie noch, wie die Drei-Wort-Adresse von Mar-a-Lago lautet? Den Breiten- und Längengrad? 26°40‘37.4“N 80°02‘13.7“W – ganz genau! Dass man mit What3words Missverständnissen vorbeugen kann, ist nicht nur für das Verständnis unter Menschen wichtig. Es hilft auch dabei, einem Bordcomputer per Sprachbefehl einen Ort zu kommunizieren, ohne dass der es „leider nicht verstanden“ hat.

Weil What3words so viel erleichtert, gar das Retten von Menschenleben, ist es eine für alle nützliche Technologie, eine Infrastruktur. Und dabei ein gewinnorientiertes Unternehmen. Chris Sheldrick will Privatleuten für die Nutzung des Dienstes kein Geld berechnen. Die App ist kostenlos. Es gibt auch Open-Source-Alternativen wie den mit Google entwickelten „Plus Code“. Der setzt allerdings auch auf relativ komplizierte Zahlenketten, auch wenn sie kürzer als Längen- und Breitengrad sind. Sheldrick glaubt, dass What3words als Privatunternehmen die besten Chancen hat, zu wachsen und immer mehr Menschen zur Verfügung zu stehen. Und schließlich ist selbst die britische Royal Mail nach 499 Jahren in staatlicher und königlicher Hand heute privatisiert.

Wayne Trinder übrigens ist heute wohlauf, bald werden die letzten Schrauben aus seinem Bein entfernt. Damals, als er endlich im Krankenhaus war, tat er gleich etwas, das er heute allen empfiehlt. Eine App installieren: What3words.

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