Productivity & New Work LSE-Direktorin im Interview: „Es reicht nicht, am Anfang des Lebens zu lernen“

LSE-Direktorin im Interview: „Es reicht nicht, am Anfang des Lebens zu lernen“

Aber sollte diese Weiterbildung nicht im Job stattfinden?

Die Arbeitgeber sind ohne Frage ganz wichtig. Aber in unseren flexiblen Arbeitsmärkten wechseln Leute ihre Jobs, arbeiten Teilzeit, sind selbstständig. So wird wenig in ihre Fähigkeiten investiert. Daher sollte ein Teil des Lohns dafür reserviert werden – unabhängig von der Beschäftigungsform.

Als eine Zusatzleistung zum Lohn?

Nehmen wir an, Sie arbeiten als Soloselbstständiger für drei Arbeitgeber in der Woche. Dann sollte jeder davon sich anteilsmäßig an Ihren Weiterbildungskosten, der Altersvorsorge und anderen Leistungen beteiligen.

Also die Flexibilität an den Märkten erhalten und dennoch die Sicherheit der Beschäftigten erhöhen?

Das ist die magische Formel. Natürlich können einige dieser flexiblen Jobs wegfallen, wenn darauf Abgaben gezahlt werden müssen. Doch das sollten wir in Kauf nehmen.

Weil der Effekt unter dem Strich positiv sein wird?

Ja. Am Ende hätten wir besser ausgebildete Menschen, die produktiver sind und letztlich auch die Wettbewerbsfähigkeit der ganzen Volkswirtschaft erhöhen. Zudem müssen wir wegen der steigenden Lebenserwartung dafür sorgen, dass die Arbeitnehmer bis in ein höheres Alter beschäftigt bleiben. Auch das erfordert stetige Weiterbildung.

Sie fordern, dass der Staat mehr für die Bildung der Kinder tut. Warum?

Weil die ersten tausend Tage nach der Geburt die wichtigsten sind. Da wird über die Chancen für ein ganzes Leben entschieden. Traditionell gilt es als Aufgabe der Familie – vor allem der Frauen –, sich um die Kleinkinder zu kümmern. Und der Staat soll sich raushalten. Aber wenn da etwas schiefgeht, sind die Folgen dramatisch.

Sie sind als Kind mit Ihrer Familie in den 60er-Jahren aus Ägypten in die USA gekommen. Wer hat die Grundlagen für Ihre Karriere gelegt?

Ich hatte Eltern, die mich geliebt haben. Gute Ernährung. Eigentlich eine ganz gewöhnliche Kindheit. Aber es gibt so viele, die das nicht haben. Studien zeigen, wie wenig schon hilft. In Jamaika etwa wurden Kinder aus armen Familien über einen längeren Zeitraum einmal die Woche von einem Sozialarbeiter besucht, der die Eltern beriet, welche Spiele die Kinder anregen. Oder welches Essen gut für sie ist. 25 Jahre später verdienten diese Kinder 42 Prozent mehr als die aus einer Vergleichsgruppe. Unfassbar.

In dem neuen Gesellschaftsvertrag, den sie fordern, müsste der Staat mehr Verantwortung übernehmen?

Natürlich. Zunächst einmal müsste anerkannt werden, was sich geändert hat. Dass nämlich Frauen sich nicht länger automatisch und umsonst um Kinder und Alte kümmern, dass eine einzige Ausbildung nicht reicht und die gestiegene Lebenserwartung dazu führt, dass wir länger arbeiten. Es gibt wirklich viel zu tun.

Das ist ein Text aus unserer Ausgabe 6/2021: Außerdem findet ihr darin 100 spannende Menschen, von denen wir im neuen Jahr Großes erwarten. Wir haben die Musik-Chefin von Youtube Deutschland im Berliner Google-Büro getroffen. Und der CEO von Reddit war in der Redaktion zu Gast und hat mit uns über Memes und WallStreetBets diskutiert. Hier gibt es das Magazin zum Bestellen.

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