Life & Style Wir haben mit einem K-Pop-Experten über BTS und Adorno gesprochen

Wir haben mit einem K-Pop-Experten über BTS und Adorno gesprochen

BTS wird oft und gern mit den Beatles verglichen. Passt das?

Nicht wirklich. Die Bands sind in völlig anderen soziokulturellen Momenten aktiv und werden von sehr verschiedenen Generationen aus nicht vergleichbaren Gründen geliebt. Die Pilzköpfe verkörperten für Babyboomer die Hoffnungen und Träume der 60er-Jahre. Dieser Traum – von ewigem Wachstum ohne negative Folgen und Wohlstand für alle – ist ausgeträumt. Deshalb wählen junge Leute, die vor dem gleichen Scherbenhaufen stehen, nun millionenfach K-Pop als ihr Sprachrohr.

Was unterscheidet Lennon und McCartney noch von Jin, Jimin, V, Suga, RM, J-Hope und Jung Kook?

BTS sind buchstäblich über soziale Medien zusammen mit ihren Fans aufgewachsen, haben dabei ständig interagiert und so eine extrem starke Bindung aufgebaut. Kein Wunder also, dass sie als erste nicht englischsprachige Band das Wembley-Stadion in London sowie das Rose Bowl Stadium in Los Angeles ausverkauft haben und schneller vier Nummer-eins-Alben herausbrachten als jede andere Gruppe seit den Beatles.

Nachbarland Japan ist einst mit „Akira“-Manga, Sushi und Hello Kitty popkulturell relevant geworden. Lassen sich Parallelen bei der Verbreitung herstellen?

Ich finde J-Pop auch faszinierend, doch K-Pop – als System – hebt den Output auf ein ganz anderes Level, vergleichbar in etwa mit dem Erfolg des Labels Motown in den Sechzigern. Die Basis von K-Pop ist die professionelle, langjährige und ziemlich harte Ausbildung der Künstler:innen. Die müssen gleichzeitig fehlerfrei singen und tanzen können, und zwar auf einem akrobatischen Level. Deshalb beginnt das Training in der Regel bereits im Kindesalter, ähnlich früh wie bei Eleven des Mariinski- und Bolschoi-Balletts. Was Stress und Frustration verursacht: Nur ein winziger Prozentsatz wird jemals sein Bühnendebüt geben …

Kritiker:innen vermuten im Siegeszug des K-Pop finstere Absichten der Regierung, von „Massenverzauberungswaffen“ und „Soft Power“ ist da die Rede.

Wer solche Märchen glaubt, hat schlicht keine Ahnung, wie das Showgeschäft funktioniert. Anders als bei der Herstellung von Waschmaschinen oder Autos lassen sich Hits und Platin-Alben nicht per Fünfjahresplan erzwingen. Das entwickelt sich im besten Fall rein organisch, im verbissenen Konkurrenzkampf großer wie kleiner privater Studios und Agenturen – und über viele, viele Jahre. Was verbindet kulturellen Geschmack, Trends und Zeitgeist? Das ist alles kaum vorhersehbar, extrem volatil und ständigem Wandel unterworfen. Das überfordert jede:n Politiker:in.

Wir gucken „Squid Game“, die Südkoreaner:innen bekommen „Dark“ und Tokio Hotel. Alle Menschen werden Entertainment-Brüder und -Schwestern?

Vielleicht, und warum nicht? Aber kurz zurück zu den „Massenverzauberungswaffen“: Ich denke, dass die Rolle der Popkultur im Kapitalismus umstritten ist und bleiben wird. Wie bei den Philosophen Theodor Adorno und Max Horkheimer ist die Betrachtung der Unterhaltungsindustrie als ein System der Massentäuschung zur Unterdrückung der Vorstellungskraft bis zu einem gewissen Grad durchaus aktuell. Ich würde aber nicht zustimmen, dass die kommerzielle Kultur keinen Raum zum Handeln lässt.

Geben Sie uns bitte ein konkretes Beispiel für den Einfluss.

2016 fingen junge Demonstrant:innen an, „Into the New World“ von der Gruppe Girls’ Generation zu singen, wann immer sie gegen die damalige Präsidentin Südkoreas auf den Straßen marschierten. Diese immer massiveren Proteste führten schließlich ein Jahr darauf zu ihrer Amtsenthebung.

Welchen Bereich koreanischer Kultur werden andere Märkte als Nächstes entdecken?

Ich würde sagen, unsere Literatur. Die Koreaner:innen waren immer schon gute Geschichtenerzähler:innen, weil sie viel erlebt haben.

Dieser Text stammt aus unserer Ausgabe 3/22. In unserem Dossier dreht sich dieses Mal alles um das Thema Climate-Tech. Auch mit dabei: Wie der Head of Hiphop dem Streamingriesen Apple Music endlich eine junge Zielgruppe zuführen soll. Außerdem: Was passiert im Super Startup Adventure Camp Barcelona? An welcher veganen Alternative arbeitet das Food-Tech-Startup Perfeggt? Und vieles mehr. Hier geht es zur Bestellung

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