Leadership & Karriere Wie wir dank ChatGPT mehr und mehr Jobs gleichzeitig machen können

Wie wir dank ChatGPT mehr und mehr Jobs gleichzeitig machen können

Kommt die Vier-Tage-Woche? Kommt sie nicht? Was hierzulande viele umtreibt, könnte für andere nicht weniger wichtig sein. In den vergangenen Monaten hat das fröhliche und naive Ausprobieren von Prompts an OpenAIs ChatGPT und Googles Bard dazu geführt, dass immer mehr Menschen Teile ihres Jobs an die KI auslagern. Und siehe da – es bleibt Zeit. Zeit für weitere Vollzeitjobs. Anstatt „Freitags gehört Papa mir“ gilt: „Von Montag bis Sonntag gehört Papa dem Bot.“

Vor allem auf der Plattform Reddit hat sich im Subreddit „Overemployed“ eine kleine Hardcore-Gruppe herausgebildet, in der man sich gegenseitig anfeuert und Ratschläge zu noch effektiverer Nutzung von KI-Tools erteilt. In den Diskussionen unter den Posts wird dann verhandelt, ob man wirklich „J7“ annehmen soll, weil der eigentlich mit „J5“ kollidieren könnte und ein ethischer Konflikt vorliegt – womit natürlich Vollzeitjobs Nummer sieben und fünf gemeint sind.

Manche teilen Screenshots der Gehaltsabrechnungen, die addiert auf monatliche Einnahmen von sechsstelligen Beträgen hinauslaufen. Allerdings natürlich nur schwer verifizierbar und mit Skepsis zu betrachten, es handelt sich immerhin um Reddit.

Acht „40-Stunden-Wochen“

Trotzdem: Entsteht hier etwa ein großer, neuer Arbeitstrend, der tatsächlich endlich den alten Traum „Work smarter, not harder“ wahr werden lässt? Kann man dank künstlicher Intelligenz aus der gewohnten 40-Stunden-Woche gleich sechs, sieben oder sogar acht 40-Stunden-Wochen machen – und trotzdem glücklich und erholt leben?

Vielleicht einen kurzen Schritt zurück – ins Jahr 2020. Wenn man demnächst noch mal das laufende Jahrzehnt Revue passieren lässt, wird man sehen, welche Wucht das Phänomen Remote Work auf die Arbeitswelt hatte. Denn selbst wenn seit Längerem überall „Back to work“ ausgerufen wird, bekommt man die Leute nicht mehr wie noch vor der Pandemie in die Büros.

Hybrid ist der Weg nach vorne. Und im unbeobachteten Homeoffice sind eben auch die Ideen für weitere Einnahmequellen entstanden – selbst der Office-Worker hatte plötzlich die Gelegenheit, schnell nebenbei zu freelancen oder gar zu gründen. Wer in der Stadt nicht mehr pendelt, spart locker 90 Minuten am Tag. Die kann man nutzen!

Wie funktioniert Overemployment?

Und das war lediglich der Startschuss. Drei Jahre und eine sich anbahnende Revolution dank künstlicher Intelligenz später reden wir hier nun über Extremproduktivität und fantastisch anmutende Gehälter. Also los, ab ins Rabbit Hole. Wie funktioniert Overemployment?

Starten wir mit einem harmlosen Beispiel: Ein Mensch, der sich anonym an das Onlinemagazin „Slate“ gewendet hat, erzählt, dass er auf Jobsuche war und zwei ungefähr gleich attraktive Stellenangebote von Silicon-Valley-Unternehmen erhalten hätte – und beiden zugesagt hat. Es würde sich dabei nicht um direkte Konkurrenten handeln, auch nicht um Partner oder Zulieferer. Beides sind Stellen auf Führungsebene, die eher strategische Fragen behandeln und nicht von Deadlines getrieben sind. „Ich bin eine sehr verantwortungsbewusste Person und kann mit Mittelmaß nichts anfangen“, rechtfertigt sich der Stichwortgeber. „Wo ist also das Problem? Ich weiß, dass man dafür gefeuert werden kann. Aber warum eigentlich?“

„Ich nehme damit eigentlich einer Person den Job weg.“

Nach knapp einem Jahr hat die Person noch immer beide Stellen und bekommt weiterhin gutes Feedback von den Vorgesetzten. Nur das Gewissen stört sie: „Ich nehme damit eigentlich einer Person den Job weg.“

Das macht auch der Mann aus Toronto, der gegenüber „Motherboard“ nur das Pseudonym Ben nutzt. Er unterstützt Fintechs bei der Vermarktung neuer Produkte; zu seinen Aufgaben gehört die Erstellung von Berichten, Storyboards und Präsentationen, die alle in irgendeiner Form Schreiben beinhalten. Eigentlich sah er „keine Chance“, dass er diesen Job doppelt hätte erledigen können.

Dann hörte er immer öfter von ChatGPT von OpenAI und spielte damit herum. Mit den richtigen Prompts schaffte er, seine Aufgaben schneller und effizienter zu erledigen. Was vorher zeitraubend und frustrierend war, lief fast von allein. „Nicht nur ein bisschen leichter“, sagte Ben, „sondern sehr viel leichter.“ Und er bekam mit: Fast jeder in der Marketingwelt nutzte ChatGPT bei der Arbeit. Was, wenn er einfach einen zweiten Job annehmen würde? Immerhin erledigte ChatGPT einen Großteil seiner Arbeit. „80 Prozent, wenn ich ehrlich bin. Ich habe es auch genutzt, um die Bewerbungen für die nächsten Jobs zu schreiben.“

Zwei Wochen in Stunden

In der Overemployment-Community gibt es den nachvollziehbaren Ehrgeiz, möglichst alles an die KI auszulagern. In Bens Fall bedeutet dies, dass er die KI dazu nutzt, Storyboards zu erstellen. Lediglich den Kontext muss er vorher anfüttern, das Ergebnis kann sich meist sehen lassen. „Manchmal passieren noch Fehler, aber das ist vollkommen verständlich.“ Er ist ja als letzte Kontrollinstanz da.

Und es geht weiter: Ben nutzt mittlerweile ChatGPT, um Antworten auf Nachrichten auf Slack von seinem Vorgesetzten zu beantworten – ausschließlich in kleinen Buchstaben, damit die Nachricht menschlicher wirkt. Oder er lässt sich Transkripte von Zoom-Meetings anfertigen, damit er währenddessen dem anderen Job nachgehen kann. Später durchsucht er das Transkript kurz nach für ihn relevanten Stichworten und Themen.

Für die Software-Manager reichts

Ganz nett, aber billig im Vergleich zu Charles (ebenfalls natürlich ein Pseudonym). Der Software-Produktmanager hat zwischendurch bis zu vier Vollzeitjobs gleichzeitig erledigt. Gerade beim Erstellen von Code sei die KI schon sehr gut und zuverlässig, Fehler können schnell gefunden und behoben werden.

Eigentlich sei er „kein richtiger Coder“, aber dank ChatGPT könnte er ganz gut mit den Profis mithalten. Es reicht jedenfalls, um die Verantwortlichen von großen Softwareunternehmen zu überzeugen – und sich dafür sehr gut bezahlen zu lassen.

Ein weiteres sehr aktives Mitglied im Overemployed-Subreddit gibt an, vier Finance-Jobs gleichzeitig zu erledigen. Die Aufgaben würden größtenteils im Erstellen von Excel-Makros bestehen. „Ich kann das selber machen, dauert dann aber ein oder zwei Stunden, um den Code zu schreiben.“

Wenn er ChatGPT mit den Parametern füttert, haut die KI ihm direkt was vor die Füße. Meist fehlerhaft, aber brauchbar genug, um daraus schnell ein funktionierendes Sheet zu bauen. Was normalerweise ein Job „für zwei Wochen ist, schaffe ich in ein paar Stunden“. Er legt allerdings Wert darauf, dem Programm keine vertraulichen Daten oder Informationen einzuspeisen.

Der Zeitzonen-Hack

Besonders schlau sind diejenigen, die auch noch unterschiedliche Zeitzonen nutzen, um Konflikte im Kalender zu vermeiden. Etwa Torben, der jeweils einen Remote-Vollzeitjob an der US-Ostküste und einen in England besetzt. Er nutzt ChatGPT, um zeitfressende E-Mails zu beantworten und zu verfassen. „Wir Techies sind ja oft keine großen Autoren“, sagt er. Also einfach die wichtigsten Stichpunkte in das Feld und den richtigen Prompt – und fertig ist die Mail.

In der Reddit-Community sehen sich viele nun in einer neuen Rolle. Sie selber sind plötzlich alle Vorgesetzte – Chefs der KI. Der Mensch der Funke, die Maschine der Umsetzungsgehilfe. Warum nicht den Rechner die nervige Arbeit machen lassen? War das nicht mal irgendwann so vorgesehen? Ist das nicht einfach, nun, irgendwie Bewahrung der Menschlichkeit?

Scrollt man durch die Beiträge im Subreddit, kann man schön die Evolution der Debatte verfolgen: Anfangs wurde sich noch die Gewissensfrage gestellt – ob man, wie bereits von anonymen Tippgeber angesprochen, nicht anderen Menschen den Karriereweg verbaut. Oder ob man als Diener vieler Herren nicht Compliance-Probleme noch und nöcher heraufbeschwört.

Und tatsächlich gibt es immer mal wieder Posts wie: „I think HR is on to me, what should I do guys?“, „Is what we do so really really wrong?“ oder auch die traurige Meldung „today i got fired from my j3“. Doch größtenteils herrscht eine enorme Begeisterung über die vielen Möglichkeiten, wie man sie vielleicht seit dem Hype um Wall Street Bets Anfang 2021 nicht mehr erlebt hat.

Eine Schwäche für passives Einkommen

Die Hardcore-Jobsammler bekommen dabei Unterstützung von einer Gruppe, um die es zuletzt recht ruhig geworden war: der Fire-Bewegung (Financial Independence, Retire Early), die vor einigen Jahren mal durch die Finanz- und Karrieremedien geisterte. Mit denen teilt man sich das Mindset – und die Schwäche für passives Einkommen. Torben, der Mann mit den Jobs in unterschiedlichen Zeitzonen, gibt ein Jahreseinkommen von einer halben Million Dollar an. Jetzt ist er Ende 20. Für die nächsten Monate plant er einen dritten Job anzunehmen, mit 35 ein Vermögen von 10 Mio. Dollar angehäuft zu haben und sich zur Ruhe zu setzen. Bot sei Dank.

Er hat bereits in den Jahren vor ChatGPT Coding-Aufgaben an Dritte weitergegeben. Derzeit kümmert er sich darum, dass seine Stimme und seine Anwesenheit bei Meetings auf dem Bildschirm gefakt werden können, um sich komplett rauszuziehen.

Unbedingte Verschwiegenheit

Hier ist allerdings die große Frage, die zuletzt immer mehr im Subreddit rumgegangen ist: Beschleunigt man nicht am Ende die eigene Ersetzbarkeit? Wenn immer mehr Entscheider:innen in den Unternehmen irgendwie mitbekommen, wie gut die KI die Aufgaben erledigt, werden dann nicht die ganzen einträglichen J2 bis Jx bald wegfallen?

Der Konsens scheint derzeit noch zu sein, dass man eine gewisse Expertise für die Aufgaben und das Erstellen von sinnvollen und hilfreichen Prompts benötigt. Trotzdem herrschen bei der Diskussion mittlerweile die erste und zweite Regel des „Fight Club“. Je weniger Leute außerhalb davon wissen, desto besser.

Der Verdacht wächst

Doch es fällt offenbar immer häufiger auf. Personaler:innen in den USA haben schon länger den Verdacht, dass da was nicht ganz sauber ist. „Man sieht es an späten Antworten auf Nachrichten, an einer gewissen Fahrigkeit“, sagt eine HR-Chefin gegenüber „Slate“. Oft habe man in Calls den Eindruck, dass mehrere Geräte gleichzeitig bedient werden, etwa wenn sich ein:e Teilnehmer:in immer wieder ausklinkt und das Video ausschaltet.

Die Personalerin sagt: „Manchmal werden in letzter Sekunde Termine abgesagt und krank gewordene Kinder vorgeschoben, teilweise auch plötzlich verstorbene Verwandte. Alles, was Sympathien und Verständnis erheischen soll – und weswegen wir Leuten nur schwer kündigen können.“ Die Gefahr beim Overemployment besteht also nicht nur darin, dass man anderen Arbeitsuchenden den Job wegnimmt. Sondern auch darin, dass Aufgaben dann schlecht oder gar nicht erledigt werden.

Stummschalten nicht vergessen!

Auch die Kolleg:innen nervt der Verdacht. Eine:r beschwert sich in einem Twitter-Thread: „Mein Kollege bittet mich oft in letzter Minute, bei Terminen einzuspringen. Neulich hat er im Call vergessen, sich stummzuschalten. Wir konnten hören, wie er an einem anderen Meeting teilnahm, das aber nichts mit unserem Unternehmen zu tun hatte. Das nervt.“

Manchmal stellt sich der Personalerin der Verdacht, dass heimlich mehrere Jobs ausgeübt werden, bei einer ganz einfachen Beobachtung: Mitarbeitende pflegen Linkedin-Profile, sind dort auch aktiv, haben aber den aktuellen Job nicht hinterlegt.

Die Neuen machen es für weniger

Die Overemployed-Community ist vielleicht auch dabei, sich selbst aufzufressen. Nutzer GoldAlfalfa hat neulich gepostet, dass er bei seiner Suche nach einem zweiten Job nun bereits mehrmals abgelehnt wurde, weil seine Gehaltsvorstellungen zu hoch waren. Irgendein Neuling in der Bewegung macht es immer für weniger. Nutzer Mundane_anybody2374 postet ein Foto von seinem Work-Set-up: zwei Laptops, drei Bildschirme, daneben ein alberner Fitnessdrink. Man hat das Gefühl, dass hier eine Sache ihrem Ende entgegengeht.

Was bleibt, ist eine altbekannte Haltung, dieses Mal bloß mit Unterstützung vom Digitalhirn: Wenn man sich schon kaputt schindet, dann nicht nur für einen. Und es soll sich verdammt noch mal bitte schön richtig lohnen.

Dieser Text stammt aus unserer Ausgabe 03/23. Dieses Mal dreht sich in unserem Dossier alles um das Thema Danach. Wie geht es nach einem Fuck-Up oder Wendepunkt im Leben weiter? Außerdem haben wir mit Nationaltorhüterin Merle Frohms gesprochen und die Seriengründerin Marina Zubrod erzählt alles über ihre Hassliebe zum Unternehmertum. Viel Spaß beim Lesen! Hier gibt es das Magazin zum Bestellen.

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