AnlagePunk ADAC schickt 1,3 Millionen Mitglieder auf Reise ins Nirwana

ADAC schickt 1,3 Millionen Mitglieder auf Reise ins Nirwana

Der Automobilclub schiebt seine Kreditkarten-Kunden an eine junge Bank mit zweifelhaftem Ruf ab. Jetzt braucht die Bank dringend Geld. Was passiert mit den ADAC-Kunden, wenn sie abgewickelt werden muss?

Der ADAC hat etwas gemacht, was eigentlich nicht seinem Ruf entspricht: Er hat 1,3 seiner 22 Millionen Mitglieder auf eine Reise ins Ungewisse geschickt. So viele nämlich besitzen eine Visa-Kreditkarte des Automobilclubs, die sie teils seit Jahrzehnten problemlos zum Bezahlen nutzen konnten. Der Club kooperierte mit der Landesbank Berlin, die die Abwicklung der Zahlungen organisierte.  Seit dem September allerdings heißt der Kooperationspartner Solaris – und dort könnten bald die Lichter ausgehen.

Hinter dem Namen steckt ein in die Jahre gekommenes Berliner Startup mit Banklizenz. Für Solaris war der ADAC-Deal das wichtigste Geschäft seit in seiner bald zehnjährigen Geschichte. Doch jetzt gerät das sogenannte „Fintech“ ins Wanken. Der ADAC musste deswegen bereits sein Kreditkarten-Neugeschäft einstellen. „Wir arbeiten in den nächsten Wochen mit Hochdruck an innovativen technischen Lösungen. Aus diesem Grund ist es vorübergehend leider nicht möglich, einen Vertrag für die ADAC Kreditkarte abzuschließen“, heißt es bedauernd auf der Website. Man bitte um Verständnis. Und Geduld. „Anfang 2025 sind wieder Anträge auf neue Kreditkarten möglich. Sie waren während und nach der Migration bewusst ausgesetzt worden, um die Migration der Bestandskunden zu beschleunigen“, fügt ein Sprecher auf Anfrage hinzu.

Was ist passiert: Der frühere Partner fürs ADAC-Kreditkartengeschäft, die Landesbank Berlin, hatte 2021 angekündigt, sich ausschließlich auf das Kerngeschäft als Hauptstadtsparkasse konzentrieren zu wollen. Damit war das Aus für das Kreditkartengeschäft besiegelt. Junge Banken standen bereit, um das Geschäft zu übernehmen, unter ihnen Solaris. Warum die Wahl allerdings tatsächlich auf Solaris fiel, bleibt das Geheimnis des ADAC und des zuständigen Vorstands Mahbod Asgari. „Für uns besteht keine Veranlassung, an einer erfolgreichen Kooperation zu zweifeln“, sagt der Sprecher.

Wirklich? Der ADAC hätte wissen können, worauf er sich einlässt: Solaris wurde 2015 gegründet und agiert hauptsächlich als Dienstleister für andere Firmen, indem es seine Infrastruktur und Banklizenz anbietet, um Finanzprodukte wie eben Kreditkarten oder Darlehen im Auftrag Dritter zu organisieren. Das Ganze nennt sich „Embedded-Finance-Plattform“ und von Krypto- bis Aktienhandel hat sich Solaris bereits in einigen Dienstleistungen mit mehr oder weniger großem Erfolg versucht. Es zählt zu den am höchsten bewerteten Fintechs in Deutschland, was aber nicht vor Ungemach schützt.

Kein Erfolg war zum Beispiel die Übernahme des britischen Wettbewerber Contis 2021 für etwa 153 Millionen Euro. Im Gegensatz zu Solaris selbst war Contis damals profitabel. Allerdings verlor Contis im vergangenen Jahr mit der Kryptoplattform Binance einen seiner wichtigsten Kunden. Vor acht Wochen kündigte Solaris dann an, „große Teile des E-Geld-Instituts einzustellen“. Unter E-Geld-Institut fasste Solaris nach der Übernahme das ehemalige Contis-Geschäft zusammen. Solaris-Chef Carsten Höltkemeyer musste in einer Betriebsversammlung bekanntgeben, dass mehr als jeder Dritte der 700 Mitarbeiter gehen muss. Solaris ist seither ein Schatten seiner selbst, berichten Betroffene.

Die Ankündigung kam, nachdem Solaris bereits mit den Bankenaufsehern der BaFin aneinandergeraten war. Die Kontrolleure hatten 2020 bei einer Sonderprüfung „schwerwiegende Mängel“ festgestellt, unter anderem bei der Bekämpfung von Geldwäsche und der Überprüfung von Kunden. Sie erhöhten daraufhin die Eigenkapitalanforderungen und schickten einen Sonderprüfer in die Bank. Auch Neukunden durfte Solaris nicht mehr ohne Zustimmung aufnehmen. Unbeeindruckt davon starteten das Fintech und der ADAC in dieser Phase ihre Kooperationsgespräche.

Im März 2024 verhängten die Finanzaufseher gegen Solaris eine Geldstrafe von 6,5 Millionen Euro wegen verspäteter Geldwäscheverdachtsmeldungen. Im Juli verlängerte die Aufsicht zudem noch das Mandat des Sonderbeauftragten und drohte dem Unternehmen mit einem Zwangsgeld. Die zu diesem Zeitpunkt ausgehandelte Kooperation mit dem Automobilclub verzögerte das alles zwar, aber es stoppte sie nicht – für die junge Bank sollte sie doch der Rettungsanker werden. Tatsächlich jedoch stiegen mit der sprunghaft steigenden Anzahl der Kunden die regulatorischen Anforderungen weiter – und damit auch die ans Eigenkapital.

Das Ergebnis: Solaris steckt tief in den roten Zahlen.178 Millionen Euro Verlust standen Ende 2023 in den Büchern der Bank, was der ADAC ebenfalls wusste. Anfang 2024 mussten die Investoren, die hinter dem Fintech stehen, knapp 100 Millionen Euro nachschießen. Jetzt benötigen die Berliner schon wieder bis zu 150 weitere Millionen und haben deswegen für Montag nächster Woche eine außerordentliche Hauptversammlung einberufen. Kommt das Geld nicht, könnten die Anteilseigner bei der Versammlung gleich über eine Abwicklung der Bank entscheiden, heißt es. Einige halten das für übertrieben, andere Insider sprechen von einem „falling knife“ und warnen davor, ins fallende Messer zu greifen. Sie bezweifeln, dass sich angesichts des Bogens, den Kapitalgeber gerade um Deutschland machen, jetzt Investoren bereitfinden, weiteres Geld zu geben.

Was das für die 1,3 Millionen ADAC-Kunden bedeutet? Wer Guthaben auf der Kreditkarte besitzt, kann im Notfall auf die staatliche 100 000 Euro Einlagensicherung vertrauen, der auch Solaris unterliegt. „Unsere Kreditkarten-Kunden sind abgesichert, ganz unabhängig von der Finanzierungssituation bei Solaris“, betont der Sprecher. Dass allerdings gilt, was ADAC-Vorstandsmitglied Mahbod Asgari 2022 gesagt hatte, als er den Deal öffentlich machte, ist zweifelhaft: „Mit Solaris haben wir den idealen Partner für das ADAC Kreditkartenprogramm gefunden, mit dem wir unser Portfolio nahtlos weiterführen und weiterentwickeln können. Oberste Priorität haben dabei die Bedürfnisse unserer Bestandskunden. Mit der modernen und leistungsstarken Plattform unseres neuen Partners können wir alle erfolgreichen Services für unsere Mitglieder fortführen und gleichzeitig das Leistungsspektrum weiter ausbauen.“ Alle Daten seien übertragen, insgesamt sei man mit dem Verlauf „zufrieden“, fügt der ADAC-Sprecher heute hinzu. Dennoch gilt auch: Nach Ausbau sieht die derzeit fürs Neugeschäft geschlossene Kreditkartenabteilung des ADAC nicht aus.

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