Green & Sustainability Wie grüne Versprechen vom billigen Strom eine deutsche Industrie-Ikone in Wanken bringen 

Wie grüne Versprechen vom billigen Strom eine deutsche Industrie-Ikone in Wanken bringen 

Es mag viele Schuldige geben an den ungekannten Spitzenpreisen an der Strombörse und dem offenbar rat- und antriebslosen Zusehen der Politik dabei, wie manchmal die  Energiemixverhältnisse, vor allem aber die Kosten der Energiewende in Deutschland aus dem Ruder laufen, während erst in der Zukunft das Rettende kommen soll. Ukrainekrieg, Abschaltung einwandfrei funktionierender Kernkraftwerke, Wind- und Sonnenkraft, die im trüben Winter nur ausnahmsweise liefern kann, sind der Hintergrund für die Misere. Das alles, so sagt Anne-Marie Großmann (36), geschäftsführende Gesellschafterin der GMH Holding und Strategievorstand der Georgsmarienhütte, verdient jetzt ihre klare Antwort. Und die lautet: „Ohne Umdenken in der Politik wird es künftig keinen Stahl mehr aus Deutschland geben.“ Punkt. 

Die Hütte gehört zu den Mittelgroßen in Deutschland, 6000 Mitarbeiter erwirtschafteten zuletzt rund 2,3 Milliarden Euro Jahresumsatz. Hauptkunden sind die Automobilindustrie – ein Thema für sich -, Kraftwerkshersteller (und ja, auch Windradbauer), die Rüstungsindustrie und der Maschinenbau. Angesichts einer Verdoppelung der Stromkosten in den letzten fünf Jahren auf derzeit unter dem Strich 84 Millionen Euro jährlich, ohne dass man diese gigantische Preissteigerung weitergeben könnte, tickt nun die Uhr. Um sie zu stoppen, so lässt Großmann durchblicken, die das Manager Magazin treffend „eiserne Lady” getauft hat, braucht es mehr als „warme Worte”, denn das sei bislang alles, was aus der Bundesregierung gekommen sei: Wie warm die auch immer sind, für den Betrieb eines modernen Gleichstrom-Elektro-Lichtbogenofens zur Stahlschmelze reicht es nicht. Denn auf den setzte und setzt das Unternehmen, seinerzeit als erstes in Europa, ebenso wie weitere hochtechnologische Verfahren und Produkte.  

Der Dank für die Innovationsfreude scheint bislang in zum Beispiel untragbaren Netzentgelten zu bestehen, „45 Prozent des Strompreises sind das bereits”, so Großmann: „Das bringt uns ziemlich weit in die Bredouille, denn diese Energiekostenentwicklung hat keiner unserer Wettbewerber im Ausland”, so die promovierte Volkswirtin. Man muss nur ins Nachbarland Frankreich schauen, da kostet Strom die Hälfte, Netzentgelte kennt man dort nicht. Es muss ein Schock für die nüchtern kalkulierende Managerin mit ihrem Hintergrund als Unternehmensberaterin gewesen sein, dass die Elektrostrategie, die als Ausweg aus der teuren Anlieferung von Kohle erschien und zudem umweltfreundlicher gestaltet werden konnte, plötzlich zur Achillesferse wurde. Derzeit braucht GMH jährlich eine Terawattstunde Strom und ebensoviel noch einmal an Gas. Das ist der Stromverbrauch einer Großstadt. Auf die Schnelle lässt sich das auch nicht ändern. 

Die Georgsmarienhütte hat es im Laufe der Geschichte schon mehrmals mit Widrigkeiten zu tun gehabt, kein Wunder in knapp 170 Jahren. Die ganze Richtung etwa passte schon bei der Gründung 1856 der bäuerlichen Bevölkerung nicht. Die leistete hinhaltenden Widerstand, ebenso gegen die notwendigen Eisenbahnlinien für den Hüttenbetrieb (damals begann das Ausland in der deutschen Kleinstaaterei übrigens wenige Kilometer weiter, ein Umzug kam dennoch nicht in Frage). König Georg V und Königin Marie von Hannover hatten Mittel und Wege, das Werk wurde gebaut. Und überlebte das Königreich, die deutsche Staatsgründung, zwei Weltkriege (wenn auch nur unter Schwierigkeiten) und einen Bombenangriff. Von der britischen Besatzung 1945 stillgelegt, baute man den Betrieb mit Hilfe amerikanischer Marshallplan-Gelder wieder auf, und der Großindustrielle Klöckner übernahm die Werke. Stahlkrise war ab den siebziger Jahren eigentlich immer – und die Nachfahren jener Protestbauern von 1856 demonstrierten zu tausenden diesmal für den Erhalt der Hütte. Das gelang dann dem Klöckner-Manager Jürgen Großmann, der kühne Retter in schwerer Zeit, der den ganzen Laden für den symbolischen Preis von zwei Mark kaufte – und sanierte. Und zukaufte, und im Ausland investierte. Den Löwenanteil allerdings in Deutschland, und das blieb auch so – bis jetzt. Die Industrie, so Jürgen Großmann schon vor Jahren und wiederholt  gegenüber dem Autor dieser Zeilen, muss in Deutschland bleiben, egal wie. Georgsmarienhütte ist heute ein stahlorientierter Hightech-Konzern, dem man zuhause mit Achselzucken begegnet. 

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