Leadership & Karriere Kevin Kühnert packt aus: Warum der Politik-Shootingstar wirklich hinwarf

Kevin Kühnert packt aus: Warum der Politik-Shootingstar wirklich hinwarf

Körperliche Bedrohungen, Pöbeleien im Urlaub und eine Gesellschaft, die wegschaut – der Ex-SPD-Generalsekretär enthüllt erstmals die wahren Gründe für seinen überraschenden Rückzug aus der Politik.

Der plötzliche Abgang kam für viele wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ohne konkrete Begründung legte Kevin Kühnert im Januar sein Amt als SPD-Generalsekretär nieder und zog sich komplett aus der Politik zurück. In seinem ersten Interview nach dem Rücktritt offenbart der einstige Juso-Chef nun die Hintergründe dieser Entscheidung – und sie sind alarmierend.

Wenn Politiker zu Freiwild werden

Wer in der Öffentlichkeit steht, muss Kritik aushalten. Doch was Kühnert erlebte, ging weit darüber hinaus. „Meine rote Linie ist da, wo Gewalt in der Luft liegt. Ich bin nur 1,70 Meter groß“, erklärt er im Gespräch mit der „Zeit“. Neonazis und Corona-Leugner hätten ihn bedroht und körperlich angegriffen. Selbst im Urlaub fand der 35-Jährige keine Ruhe mehr. Auf der Schwäbischen Alb sei er in fast jedem Gasthof erkannt und „gefühlt in jedem zweiten von irgendjemandem angepöbelt“ worden.

Die Konsequenz: Der Politiker flüchtete buchstäblich vor der Gesellschaft. „Irgendwann ist mir klar geworden: Wenn ich in Ruhe gelassen werden will, muss ich dahin, wo gar keine Menschen sind“, beschreibt Kühnert seine verzweifelte Strategie. Seine Ferien verbrachte er zunehmend in menschenleeren Gebirgsregionen – ein drastischer Schritt für jemanden, dessen Beruf vom Kontakt mit Menschen lebt.

Das Schweigen der Mehrheit

Besonders beunruhigend: Es war nicht allein die direkte Bedrohung, die Kühnert zum Rückzug bewegte, sondern die Gleichgültigkeit der Umgebung. „Ich bin nicht aus der Politik ausgestiegen, weil ich Angst vor ein paar Neonazis habe. Sondern weil ich zunehmend Zweifel habe, was das Thema Wehrhaftigkeit betrifft“, stellt er klar. Als drei Männer in einer voll besetzten Straßenbahn offen darüber sprachen, ihn verprügeln zu wollen, habe niemand reagiert. Ein Moment, der exemplarisch für ein gesellschaftliches Problem steht.

Die Erfahrungen hinterließen tiefe Spuren. „Am Ende war da ein Gefühl von absoluter Vergeblichkeit“, beschreibt Kühnert seinen mentalen Zustand. Der Glaube, gegen den allgegenwärtigen Hass – besonders in sozialen Medien – ankämpfen zu können, sei ihm abhandengekommen. Nicht ein einzelner Schlüsselmoment oder eine medizinische Diagnose hätten ihn zum Aufgeben gezwungen, sondern ein „diffuses Gefühl“, nicht mehr sicher zu sein.

Seite 1 / 2
Nächste Seite