Ablage Shahak Shapira zeigt Deutschland, wie politische Satire funktioniert

Shahak Shapira zeigt Deutschland, wie politische Satire funktioniert

Auf die Schnauze zu bekommen, war das Beste, was Shahak Shapira passieren konnte. Es war dieser Moment am 1. Januar 2015 gegen 2.30 Uhr in der U6 von Berlin-Kreuzberg Richtung Mitte. Shapira fuhr gerade mit Freunden angetrunken von der einen zur anderen Silvesterparty, als eine Gruppe junger Deutsch-Araber in die Bahn stieg. „Fuck Israel“, riefen sie. „Fuck Juden!“ Shapira, selbst Israeli, griff ein, rief zurück: „Ich bin Jude, habt ihr ein Problem damit?“ Er zückte sein Telefon und begann zu filmen. Dann begannen sie, ihn anzuspucken und zu beleidigen, auf ihn einzuschlagen. Und plötzlich war Shapira in den Schlagzeilen: „Israeli in Berliner U-Bahn attackiert“ und „Eine Tragödie aus Deutschland“ titelten die Zeitungen, „Bespuckt, getreten und geschlagen“. Die Empörung war groß, die Betroffenheit natürlich auch, im Hintergrund immer die bange, deutsche Frage: Ist es wieder so weit? Damit hätte die Geschichte auch schon vorbei sein können: auf der einen Seite das arme jüdische Opfer, auf der anderen Seite die bösen Migranten, eine kurze verlogene Debatte über importierten Antisemitismus in Deutschland – auf zum nächsten Thema.

Aber Shapira ist kein Typ, der einer Auseinandersetzung aus dem Weg geht, fast egal wie heftig sie ist. Er ist keiner, der Bock auf die Rolle als bemitleidenswertes Opfer hat. Vor allem will er, wenn es irgendwie geht, das letzte Wort haben – und den letzten Lacher.

Seit jener Silvesternacht vor knapp zwei Jahren ist der heute 29-Jährige zu einem der nervigsten, witzigsten und klügsten deutschen Comedians und einer politischen Nervensäge geworden – ohne Redaktion, ohne Fernsehsender und ohne Vorgeschichte beim öffentlich-rechtlichen Radio. Eine mittlere Schlägerei, ein Facebook- und Twitter-Profil, viel Talent und Humor machten Shapira zu so einer Art deutsch-israelischer Mischung aus John Oliver und Louis C.K.

Als die drangsaliert Shapira mit großer Zuneigung die AfD, ihr Wehklagen über die mediale Ungerechtigkeit und ihre Bigotterie beim Familienbild. Schließlich sind quasi alle Parteiführer geschieden, während sie angeben, für konservative Werte und Traditionen einzustehen. Noch lieber hackt Shapira nur auf sich selbst herum und inszeniert sich als einsamen, traurigen und sarkastischen jungen Mann, der zu viel Zeit vor dem Rechner verbringt und dort vornehmlich onaniert – weshalb man ihn auch nicht an seinem Arbeitsplatz treffen kann, denn dann läge man ja faktisch in seinem Bett.

Keine Witze mit Barth

Also sitzt Shahak Shapira in einem kleinen Café in der Nähe des Landwehrkanals, direkt an der Grenze zwischen Kreuzberg 61 und Neukölln, die Haare etwas strubbelig, in einem nicht sonderlich lässigen Kapuzenpullover und regt sich erst einmal über deutsche Comedians auf. „Das Problem an erfolgreichen Comedians wie Mario Barth ist ja nicht, dass sie schlechte Comedians sind“, sagt Shapira. „Ich will nicht sagen, dass ich diesen Humor gut finde, aber das Problem ist: Sie sind ziemlich faule Comedians. Sie haben ihre Nische gefunden und erzählen im Grunde seit Jahren den exakt gleichen Witz.“

Shapira, der sich beim Kaffee als vorsichtig und selbstkritisch, fast schüchtern entpuppt, stammt nicht nur aus Israel, wo der Humor seit jeher schwärzer, härter und gnadenloser ist als in Deutschland. Er ist auch mit den großen Comedians aus den USA und Großbritannien aufgewachsen, mit Chris Rock und Louis C.K., mit Jerry Seinfeld und Ricky Gervais. Warum man Bierzelthumor betreiben sollte, ist Shapira jedenfalls maximal unklar. „In Deutschland wollen die Menschen von Comedians belehrt werden“, sagt er. Für ihn nämlich ist Humor kein Instrument zur Unterhaltung der Massen. Sondern eine elegante Technik der Selbstverteidigung.

Nachdem Shapira, der selbst in Neukölln lebt, in die Schlägerei an Silvester geraten war, wollte er nicht zum Opfer gemacht werden. Genauso wenig wollte er sich vor irgendeinen politischen Karren spannen lassen, schon gar nicht von Rechtsradikalen für deren Islam- und Ausländerhass, auch nicht von solchen aus seinem Heimatland Israel. Also setzte sich Shapira wieder an den Rechner, öffnete Facebook und schrieb: „Berlin ist immer noch fantastisch. Ich würde jederzeit furchtlos mit einem goldenen Davidstern an meinem beschnittenen jüdischen Schniedel durch die Gegend laufen, wenn ich auf so was stehen würde. Stellt erst mal sicher, dass euer Land weniger rassistisch wird.“

Dann ging alles ganz schnell: Die „Süddeutsche Zeitung“ wollte ein Interview, der „Spiegel“ schrieb Shapiras Familiengeschichte auf, israelische Tageszeitungen wunderten sich über den irgendwie patzigen, irgendwie witzigen Israeli ohne Angst, und als die „Bild“ das Statement mit dem beschnittenen Schniedel veröffentlichte, kommentierte Shapira: „Endlich berichtet die ,Bild‘ über etwas Sinnvolles: meinen Penis.“ Aber Shapira war immer noch nicht fertig: Eine Woche nach der Schlägerei postete er: „Okay, also habe ich nur noch ein paar Stunden, bis mein neu erworbener Ruhm für die paar eingesteckten Schläge abnimmt, und ich habe noch kein Geld aus dieser ganzen Sache gemacht“ – dazu ein Bild von einem T-Shirt mit der Aufschrift „I was attacked by Anti-Semites and all I got was this lousy shirt“. Ein paar Wochen später hatte Shapira nicht nur einen Buchvertrag unterschrieben, er hatte vor allem Zehntausende Fans auf Facebook und Twitter.

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