Business & Beyond Den Haag und die Botschaft an Putin: Trump hat die Seite gewechselt

Den Haag und die Botschaft an Putin: Trump hat die Seite gewechselt

Beim Nato-Gipfel präsentiert sich ein gewandelter US-Präsident. Er lobt das Bündnis, will Waffensysteme an die Ukraine liefern und droht, nötigenfalls auch in Zukunft Militäraktionen gegen den Iran zu unternehmen.

Er traf beim „hoch produktiven“ NATO-Gipfel in der „sehr schönen Stadt“ Den Haag, wo er eine „königliche Behandlung“ erfahren habe, „wunderbare Menschen“, nämlich die übrigen Staats- und Regierungschefs, und die „lieben ihre Länder“. Donald Trump erging sich bei seiner abschließenden Pressekonferenz auf dem Treffen der nordatlantischen Verteidigungsallianz im höchsten Lob für Gastgeber und Verbündete. Und weil der amerikanische Präsident der amerikanische Präsident ist, kam er selbst noch besser weg und klopfte sich für gleich zwei Leistungen ausdauernd auf die Schulter: Zum einen für die präzise Angriffe auf die iranischen Atomanlagen durch amerikanische Stealth-Bomber, die zum Ende des „Zwölf-Tage-Kriegs“ zwischen Jerusalem und Teheran geführt hätten, und CNN und „New York Times“ kassierten verbale Prügel, weil sie unter Berufung auf einen Geheimdienstbericht aus dem Pentagon den durchschlagenden Erfolg des US-Einsatzes in Zweifel gezogen haben. Und zum anderen bejubelte Trump sich für den erfolgreichen Druck, mit dem er dafür gesorgt hatte, dass die Nato-Staaten ihre Verteidigungsausgaben von zwei auf künftig fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts anheben wollen. 

Trotz dieses gewohnten Selbstlobs, das auch seine in Delhi lebhaft bestrittene Rolle in der Beendigung des Konflikts zwischen Indien und Pakistan einschloss, war ein in vielen Punkten ungewohnter Trump in Den Haag zu erleben. „Ich gehe ein bisschen anders weg“, bekannte der sonst so rüpelhafte Präsident, zu dessen vordringlichen Charakterzügen weder Selbstkritik noch bekundete Lernerfahrungen zählen. Er vermied jeden Angriff auf das Bündnis, von dem er sich in der Vergangenheit immer wieder distanziert hatte, er bekannte sich zum Artikel 5 der Nato, der die militärische Solidarität aller Partner für den Fall eines Angriffs von außen festschreibt, denn „sonst stünde ich nicht hier“, er räumte sogar ein paar frühere Fehleinschätzungen ein, und für die Ukraine und ihren Präsidenten Wolodymyr Selenskyj fand er Worte der offenen Anerkennung.

Noch vor wenigen Monaten hatte Trump den jetzt hochgelobten Ukrainer bei einem Besuch vorzeitig aus dem Weißen Haus geworfen und im Februar 2024 kündigte er an, er werde Russland ermutigen, mit der Nato zu tun, „was auch immer es wolle“, falls die Partner „ihre Rechnungen nicht bezahlen“. Was hat Trump dermaßen verändert?

Zum einen waren es zweifellos die Unterwerfungsgesten der Verbündeten, die Trump ihre Kehle darboten, wie die schwächeren Wölfe in einem Rudel es gegenüber ihrem Leittier tun. „Donald, Du hast uns an einen wirklich, wirklich wichtigen Punkt für Amerika, Europa und die Welt geführt. Du wirst etwas erreichen, was KEIN amerikanischer Präsident seit Jahrzehnten geschafft hat“, hatte Nato-Generalsekretär Mark Rutte den Präsidenten bereits vor dem Gipfel in einer Textnachricht umschmeichelt und dabei Trumps Eigenart kopiert, wichtige Worte in Großbuchstaben hervorzuheben. Und als Trump zum Auftakt des Treffens den Krieg zwischen Israel und Iran mit einem Streit zwischen Kindern verglich, assistierte Rutte: „Daddy muss manchmal mit harten Worten auf den Tisch hauen.“ Zur Rolle des US-Präsidenten im Nahost-Krieg wiederum flötete Rutte: „Ich gratuliere dir und danke dir für dein entschlossenes Handeln im Iran, das wirklich außergewöhnlich war und das sich sonst niemand getraut hätte.“

Dieser vormoderne Kotau mag politisch geboten sein bei einem Mann, der seine eigene „Make America great again“-Agenda über alles steht. Zudem ist unstrittig, dass die Europäer seit dem Ende des Kalten Krieges ihre Verteidigung vernachlässig haben, obwohl bereits die Regierungen von George W. Bush und Barack Obama immer wieder höhere Militärausgaben gerade auch von Deutschland eingefordert hatten. Nach der neuen Nato-Vereinbarung von Den Haag muss spätestens ab 2035 jeder Mitgliedsstaat mindestens 3,5 Prozent des BIP aufwenden, um „Kernanforderungen im Verteidigungsbereich zu decken und die NATO-Fähigkeitsziele zu erfüllen“. Auf die Gesamtsumme von 5 Prozent kommen die Staaten durch die Einrechnung von Ausgaben beispielsweise für die Terrorismusbekämpfung und militärisch nutzbare Infrastruktur. Das kann von Investitionen in Autobahnen, Eisenbahntrassen und panzertaugliche Brücken bis zu Hafenerweiterungen reichen – und man darf gespannt sein, ob die erwartbaren kreativen Begründungen der Nato-Partner für derlei Ausgaben auch in einigen Monaten noch Akzeptanz im wetterwendischen Weißen Haus finden.

Doch kurzfristig hat Trump andere Probleme. Der Zweifel am Erfolg der 13,6 Tonnen schweren GBU-57A/B-Bomben, die 60 Meter Erdreich und 20 Meter Beton durchdringen sollen, wurmt ihn gewaltig. CNN und „New York Times“ hätten den an sie durchgestochenen Bericht aus dem Pentagon zudem einseitig interpretiert, in dem sie sich bei einer Formulierung, die Aktion sei entweder erfolgreich gewesen oder misslungen, weitgehend auf die zweite Möglichkeit festgelegt hätten – und im Übrigen sei es generell falsch, so kurz nach dem Militäreinsatz bereits eine Bewertung abzugeben, obwohl die Informationen über das Ausmaß der Schäden erst aktuell eingesammelt würden. Da hätte man schlicht abwarten müssen, sagte der Präsident – der allerdings selbst bereits am 21. Juni, als die US-Tarnkappenbomber kaum abgedreht hatten, im Weißen Haus versicherte, insbesondere die Uranaufbereitungsanlage in Fordo sei „vollständig und völlig vernichtet“ und das militärische Atomprogramm damit auf Jahre gestoppt worden. Nun also möchte er doch lieber abwarten – verbunden mit dem Hinweis, dass die USA eine Wiederaufnahme der iranischen Atomrüstungsbemühungen in jedem Fall verhindern würden, „auch militärisch“. Die klare Drohung in diesem Halbsatz: weitere Bombardierungen sind nicht ausgeschlossen.

Allerdings mag Trump recht haben mit seinem zur Schau getragenen Optimismus des Erfolgs der Militäraktion. Dafür sprechen insbesondere die Reaktionen des israelischen Premiers. Benjamin Netanjahu hat inzwischen mehrfach erklärt, das iranische Atomprogramm sei auf viele Jahre gestoppt worden. Warum sollte der Ministerpräsident, der seit 20 Jahren mahnt, der Iran stehe kurz vor der Produktion von Atomwaffen, plötzlich eine solche Entwarnung geben, wenn er nicht über entsprechend eindeutige Informationen des tüchtigen Mossad verfügen würde?

Auch in einem anderen Punkt korrigierte Trump eine frühere Einschätzung. Hatte er im Wahlkampf Dutzende Male behauptet, er werde den Krieg zwischen Russland und der Ukraine binnen 24 Stunden nach seinem Amtsantritt beenden, wollte er diese Protzerei nun als „sarkastisch“ verstanden wissen. Wer allerdings die damaligen Reden Trumps erneut anschaut, wird keinen einzigen Hinweis auf Sarkasmus oder Ironie finden. Vielmehr war er wirklich überzeugt, mit Telefonaten beim russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau und bei Selenskyj eine sehr schnelle Friedenslösung erzielen zu können. 

„Sehen Sie, Wladimir Putin muss diesen Krieg beenden“, sagte Trump nun in der Pressekonferenz. „Menschen sterben in Größenordnungen, die Menschen seit langem nicht gesehen haben.“ Auf die Frage einer ukrainischen Korrespondentin stellte er sogar die Lieferung von Patriot-Abwehrraketen in Aussichten. Die USA benötigten dieses Waffensystem selbst, aber man werde versuchen, einige „verfügbar zu machen“ für Kiew. Die seien „unglaublich effizient, zu 100 Prozent effizient“. Und in einem emotionalen Moment seines Auftritts rief er der Journalistin, die auf seine Frage bestätigt hatte, dass ihr Ehemann als Soldat kämpfe, noch zu: „Grüßen Sie Ihren Mann, okay?“

Die Botschaft an Putin von diesem Gipfel ist negativ: Ein gewandelter Trump sieht die Ukraine anders als früher erkennbar nicht mehr als Kriegsschuldigen oder Selenskyj als „Diktator“. Der amerikanische Präsident hat in Gesprächen mit den europäischen Verbündeten verstanden, dass Russlands Angriffskrieg von den Europäern als Bedrohung auch ihrer territorialen Integrität gesehen wird. Darum dürfte die Unterstützung der USA für die Ukraine weitergehen, wie das Beispiel Patriot zeigt. 

Allerdings hat sich Trump aus dem Konflikt herausgezogen. Putin sei derjenige, der den Krieg stoppen müsse. Das alte Einvernehmen mit dem Kreml-Herrscher ist vorbei – aber Trump ist draußen, er hat kapituliert vor der Schwierigkeit, für einen Waffenstillstand oder gar späteren Frieden zu sorgen. So gesehen gibt Trump Putin freie Hand. Doch freundliches Verständnis findet der Kreml-Chef im Oval Office zunächst nicht mehr. Trump hat die Seite gewechselt.

Trump beendet die Pressekonferenz, und bei seinem Abgang ist er wieder ganz der alte Prahlhans. Die USA seien „the hottest country in the world”, das angesagteste Land auf dem Erdenrund, versichert der Präsident, der den Welthandel durch seine Zollpolitik erschüttert hat und viele Besucher, Studenten und Touristen seit Monaten daran zweifeln lässt, ob sie im Land der neuerdings einigermaßen begrenzten Möglichkeiten wirklich noch willkommen sind. 

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Von unserem Autor Ansgar Graw ist unlängst das Buch erschienen: „Die Ära Trump. Chancen und Risiken für Amerika und die Welt“ (Langen Müller, 272 S, 22 EUR)