Finance & Freedom Kapital als Mittel zur Verantwortung – Jesse Jeng über Politik, Herkunft & Scalehouse Capital im Gespräch mit Sherin Maruhn

Kapital als Mittel zur Verantwortung – Jesse Jeng über Politik, Herkunft & Scalehouse Capital im Gespräch mit Sherin Maruhn

Jesse Jeng ist Co-Founder & Managing Partner bei Scalehouse Capital, einem Frühphasen Venture Capital Fonds mit Fokus auf B2B Software. Jesse erzählt, wie Eigenverantwortung seine Karriere zum Investor geprägt hat und warum seine Herkunft ihn nicht davon abgehalten hat, erfolgreich zu werden, sondern ihn dazu motiviert hat, sich für gesellschaftlichen Mehrwert zu engagieren.

Jesse, du hast einen außergewöhnlichen Weg hinter dir – vom Kinderheim zum Investmentbanker und heute Gründer eines eigenen VC-Fonds. Was hat dich geprägt?
Ich bin als Sohn eines gambischen Vaters und einer deutschen Mutter geboren und wuchs zunächst im Kinderheim auf, später in einer Pflegefamilie. Das war sicher nicht der klassische Start, aber ich habe früh verstanden, dass Herkunft nicht die Richtung vorgeben muss. Ich war in einem der reichsten Länder der Welt geboren – ich hatte Chancen. Und die wollte ich nutzen.

Das klingt nach einem sehr klaren inneren Kompass. War dir schon früh klar, dass du in die Finanzwelt willst?
Nicht direkt. Ich war immer neugierig, immer am Lernen. Ich hatte keine Vorbilder im klassischen Sinn. Es war eher mein eigenes Bedürfnis, Verantwortung zu übernehmen – für mich, aber auch gesellschaftlich. Ich wollte Leistung bringen und gestalten – nicht nur anpassen. Der Einstieg ins Investmentbanking war dann ein logischer Schritt: anspruchsvoll, schnell, international. Ich habe dort extrem viel gelernt, aber auch gemerkt, dass ich irgendwann unternehmerischer handeln will.

Parallel hast du dich politisch engagiert – das ist eher ungewöhnlich. Wie kam es dazu?
Das war eine Entscheidung aus Haltung. Ich wollte nicht nur über Politik reden, sondern Teil davon sein. Mit 23 saß ich im Jugendhilfeausschuss, später wurde ich Stadtrat. Und irgendwann hatte ich ein Gespräch mit Ursula von der Leyen – das waren eigentlich nur 20 Minuten. Aber wir haben uns verstanden, sie wurde später meine Mentorin.

Du hattest dann sogar die Chance, für den Bundestag zu kandidieren – und hast bewusst darauf verzichtet. Warum?
In meinem Wahlkreis hatten sich drei sehr starke Frauen für die Kandidatur beworben. In allen anderen Wahlkreisen waren nur Männer aufgestellt. Ich fand das nicht richtig – nicht, weil ich gegen Männer bin, sondern weil wir in Hannover großartige weibliche Kandidatinnen hatten. Ich habe das öffentlich gemacht und verzichtet. Und dann ist etwas passiert, das ich nie erwartet hätte.

Das hat Wellen geschlagen, oder?
Unfassbar. Ich hatte das gar nicht geplant, aber das Thema ging viral – überall wurde berichtet. Ich erinnere mich an einen Moment: Ich stand nachts an der Hotelrezeption und dachte an die Schlagzeile über mich. Ein Unternehmer aus Niedersachsen, den ich zuvor flüchtig kennengelernt hatte, sprach mich an. Wir kamen ins Gespräch – und daraus wurde mehr.

Was genau?
Er erzählte mir vom Ökosystem in Osnabrück, von spannenden Startups wie Do Instruct oder Neoast. Er lud mich ein, mir das mal anzusehen. Und das war der Moment, in dem ich realisierte: Vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt, selbst zu gründen. Ich hatte immer schon überlegt – Private Equity, vielleicht Venture Capital. Jetzt ergab alles plötzlich Sinn. Ich hatte Netzwerk, Vertrauen – also bin ich gesprungen.

Wann war das?
Ende 2021 – perfektes Timing … oder auch nicht. Kurz danach fiel der Markt wie ein Stein. Der VC-Winter begann: steigende Zinsen, sinkende Bewertungen, LPs zogen sich zurück. Gerade für Emerging Manager war es brutal. Viele LPs investierten nur noch in etablierte Fonds.

Wie hast du das geschafft – Scalehouse Capital aufzubauen in diesem Umfeld?
Es war hart. Aber ich hatte das Glück, früh starke Partner zu finden, die gesagt haben: „Wir vertrauen dir.“ Damals war ich noch alleine im Investmentteam. Aber ich hatte das Netzwerk, das Vertrauen – und wir konnten starten. Im August 2022 hatten wir das erste Closing mit 22 LPs und 21,5 Millionen Euro.

Wie ging es dann weiter?
Das Final Closing kam später – wir haben noch auf 25 Millionen erhöht. Klar, das war weniger, als ich mir erhofft hatte. Aber im Vergleich zu vielen anderen war das ein super Start. Ich kenne GPs, die nach zwei Jahren bei fünf Millionen standen. Da habe ich gemerkt: Wir hatten Momentum – auch wenn es sich zwischendurch nicht immer so anfühlte.

Was war für dich der größte Unterschied zwischen Investment Banking und Venture Capital?
 Im Banking analysierst du. Im VC baust du. Du bist selbst Gründer – du gründest einen Fonds. Du musst Vertrauen aufbauen, Fundraising machen, Kapital verwalten und gleichzeitig dein Portfolio unterstützen. Das ist Unternehmertum – nur mit einem anderen Modell.

Du warst auch bei einem KI-Startup. Hat dir das bei deiner heutigen Rolle geholfen?
 Definitiv. Ich habe dort gesehen, wie man ein Unternehmen wirklich aufbaut – von Null auf 100. Viele Investoren unterschätzen, wie hart das ist. Ich glaube, Gründer spüren sehr genau, ob du ihren Weg nachvollziehen kannst. Und weil ich selbst auch mal auf der anderen Seite war, kann ich heute andere besser unterstützen.

Was rätst du anderen, die einen Fonds gründen wollen – besonders jetzt, wo es wieder anspruchsvoller geworden ist?
 Baue Vertrauen auf. Sei klar in deiner Haltung. Und ganz wichtig: Geh diesen Weg nicht nur, weil es „cool“ klingt. Ein Fonds ist wie ein Startup – nur mit noch mehr regulatorischem Rahmen und oft weniger Applaus. Aber wenn du dafür brennst, dann lohnt es sich. Auch – oder gerade – in schwierigen Zeiten.

Sherin
 Welche drei Take-aways hast du für Gründer:innen und Investor:innen?

Jesse

  1. Gründen ist nicht nur Tech – auch ein VC-Fund ist ein Startup.
  2. Vertrauen schlägt Marktzyklen. Der Erfolg von Scalehouse Capital in einem der härtesten VC-Winter war kein Zufall, sondern Ergebnis von langfristigem Vertrauensaufbau, echtem Netzwerk und klarer Haltung. 
  3. Wertschöpfung als Partnerschaft – such dir Investoren, die Hands-on-Unterstützung leisten und dein Geschäftsmodell wirklich verstehen.

Sherin
 Jesse, danke für deine Einblicke und die vielen praktischen Tipps!

Jesse
 Danke, Sherin. Es hat Spaß gemacht!