Work & Winning Die 10 ersten Schlüsse aus dem Wahlergebnis 

Die 10 ersten Schlüsse aus dem Wahlergebnis 

Friedrich Merz ist der klare Sieger – aber die SPD geht mit einem strategischen Vorteil in Koalitionsverhandlungen.

Die vorgezogene Bundestagswahl ist gelaufen. Sie zeichnete sich durch eine hohe Wahlbeteiligung aus, die laut Forschungsgruppe Wahlen bei 83 Prozent lag – nach 76,4 Prozent im Jahr 2021. Das demonstriert das gewaltige Interesse der Bürgerinnen und Bürger an der Politik. Die Menschen haben offenkundig begriffen, dass Deutschland in der tiefsten Krise seit der Gründung der Bundesrepublik steckt und enormer Reformbedarf auf vielen Feldern besteht. Dies sind die ersten zehn Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen. 

Erstens: Die Union ist der nicht triumphale, aber eindeutige Wahlsieger, und jetzt kommt es darauf an, was der designierte nächste Bundeskanzler Friedrich Merz daraus macht. Dass die Prozentzahl von CDU und CSU mit 28,52 Prozent (2021: 24,1 Prozent) unterhalb der 30-er-Marke blieb, ist bei einer guten Regierungspolitik so schnell vergessen wie ein schlechtes Abiturzeugnis bei einem späteren Nobelpreisträger. Who cares? 

Zweitens: Den größten Zuwachs erzielte die AfD, sie ist mit 20,80 Prozent doppelt so stark wie 2021 (10,4 Prozent). Merz hat im Vorfeld deutlich gemacht, dass sie als Koalitionspartner nicht in Frage kommt, und das ist richtig angesichts der Moskau-Nähe der AfD und den anstehenden außen-, bündnis- und geopolitischen Herausforderungen zwischen Trump, Ukraine-Krieg, Russland und China. Gleichwohl ist das alte „Brandmauer“-Konzept gescheitert gegenüber einer Partei, die in allen östlichen Bundesländern auf Platz 1 landete. Merz hat den richtigen neuen Ansatz praktiziert, indem er Themen, die der Bevölkerung unter den Nägeln brennen, nicht mehr der AfD überlässt, aus der dummen Angst heraus vor dem Beifall von der falschen Seite. 

Drittens: Die SPD (16,41 Prozent; 2021: 25,7 Prozent) braucht nach einer dramatisch schlechten Kanzlerschaft von Olaf Scholz und vor dem Hintergrund des miserabelsten Ergebnisses auf Bundesebene einen pragmatischen Neuanfang. Darum ist es gut, dass Scholz, Rolf Mützenich und Saskia Esken ihre Plätze räumen. Von Lars Klingbeil und Boris Pistorius werden ein entschiedener Kurs bei der Bekämpfung der illegalen Migration und ein Abschied von der Vorstellung erwartet, immer mehr Staat sei die Lösung aller Probleme. Immer daran denken: In Dänemark war es ein Common-Sense-Kurs der Sozialdemokraten, der das Asyl-Problem löste und eine Rechtsaußen-Partei entzauberte. 

Viertens: Robert Habeck, der gescheiterte Kanzlerkandidat der Grünen (11,61 Prozent; 201: 14,7 Prozent), lobte seine Partei noch in der Wahlnacht, weil sie verglichen mit den beiden anderen Ex-Ampel-Parteien nicht besonders viel verloren habe. Aber die Grünen sind nunmehr auf ihre Kernwählerschaft zusammengeschrumpft. Die bürgerliche Mitte hat ihnen das Vertrauen entzogen wegen des ökonomischen Absturzes Deutschlands, für den ein Wirtschaftsminister verantwortlich gemacht wird. Und links wandte man sich von den Grünen ab, weil die Partei ihre antifaschistische Unschuld verlor: Habeck und Co. agitierten die Bevölkerung, man müsse unbedingt gegen den „gefährlichen Rechtsaußen Merz“ demonstrieren, weil der Anträge ins Parlament einbrachte, denen die AfD zustimmte. Aber man entblödete sich nicht, zugleich um eine Koalition mit dem angeblich so demokratiegefährdenden Merz zu buhlen und beklagte sich darüber, dass CSU-Chef Markus Söder ein solches Bündnis stets ausschloss. Die als hässlich zu bezeichnen, mit denen man ins Bett will, ruiniert jeden Sexappeal. 

Fünftens: Wer über den Zuwachs rechtsaußen jammert, darf die Renaissance der Partei Die Linke (8,77 Prozent; 2021: 4,9 Prozent) linksaußen nicht ignorieren oder gar begrüßen. Dass gut 35 Jahre nach dem Fall der Mauer die nie aufgelöste, sondern nur mehrfach umbenannte SED wieder im Bundestag sitzt und in Berlin gar stärkte Partei wird, ist eine mindestens ebenso große Herausforderung für die Demokratie wie das Erstarken der AfD. Wer nur den Rechtsaußen-Aspekt der nicht zuletzt von Jungwählern herbeigeführten Polarisierung in den Fokus nimmt, ist kein Verteidiger der Mitte, sondern ein Partisan des Klassenkampfes. 

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