Leadership & Karriere TOD der Bewerbungsmappe

TOD der Bewerbungsmappe

Auf dem Stellenmarkt herrscht tiefstes analoges Mittelalter. Der Matching-Algorithmus von TALENTS CONNECT soll aus Jobs und Kandidaten Traumpaare machen. Vorbild: Onlinedating

Dass es den Schreibwarenladen an der Ecke noch gibt, ist ja schon abwegig. Aber dass man dort auch im Jahr 2014 noch Bewerbungsmappen kaufen kann: geradezu irrwitzig. Schmucklose Kladden, gemacht für ein halbes Dutzend ausgedruckter Seiten, links oben das Bewerbungsfoto, darunter Familienstand und Anschrift, am Ende „Musik hören, kochen, Freunde treffen“ und eine Unterschrift.

Während Ebay nächstes Jahr 20 Jahre alt wird, Onlinedating den Beziehungsmarkt für immer verändert hat und quasi jegliche Information, die uns sekündlich über Suchmaschinen und Social Media erreicht, von komplexen Algorithmen ausbaldowert wurde, gilt es schon als Onlinebewerbung, wenn man Anschrift und Gehaltswunsch in eine Eingabemaske eintippt und dann das Anschreiben, ein Foto, diverse Zeugnisse und – nicht zu vergessen! – den Lebenslauf als PDF auf einen Server hochlädt. All diese an sich schon absurden Dokumen- te werden, jede Wette, von einem Mitarbeiter einer Human-Resources-Abteilung heruntergeladen und fein säuberlich ausgedruckt, damit dann handschriftlich Anmerkungen an die fein ausgedachten Dokumente notiert werden können. Und das ist quasi der Idealfall.

Talents Connect Gründerteam
Die Gründer von Talents Connect von links nach rechts: Max Klameth, Robin Sudermann und Lars Wolfram

Wenn es nach Robin Sudermann, Max Klameth und Lars Wolfram geht, ist damit demnächst Schluss. Die drei — alle Anfang, Mitte 30 — arbeiten mit ihrem Startup Talents Connect und knapp 30 Mitarbeitern mit Hochdruck daran, der Bewerbung, wie wir sie kennen, endgültig den Garaus zu machen. Nie wieder tabellarische Lebensläufe, nie wieder schmierige Anschreiben und nie wieder selbst verfasste Zeugnisse. Stattdessen: ein Onlineprofil und ein schlauer Algorithmus. Fertig, aus.

Hipsterfreie Zone

Die Domstraße zu Köln ist, entgegen ihrem Namen, eine schmucklose, düstere Gasse nördlich des Kölner Haupt- bahnhofs. Wenn man sich weit genug aus dem Fenster lehnt, kann man ganz bestimmt irgendwo den Dom sehen. Die Gegend hier, der Altstadtteil Eigelstein, ist ein bisschen räudig und recht zentral gelegen. Aber von Gentrifizierung, Hipstern oder dergleichen gar merkt man nichts. Dafür riegeln die rücksichtslos durch Köln geschlagenen Nachkriegsstraßenschluchten die Gegend zu sehr von allem ab, was man in Köln schön oder cool finden könnte. Es gibt Orte, an denen es leichter fällt, Visionen zu haben.

Und doch wird genau hier an der Zukunft der Jobvermittlung gearbeitet. Die zugrunde liegenden Fragen sind so bestechend wie einfach: Was wäre, wenn Jobbörsen so smart wären, wie es Datingportale längst sind? Was wäre, wenn Xing so aufmerksam wäre wie Elitepartner – oder Monster so exakt wie Ok Cupid? Als Nutzer legt man dann eines Tages genau ein Mal seinen Account an, hält diesen halbwegs auf dem Laufenden – und den Rest erledigt die Software. Dass man seit der Anmeldung drei Jahre Berufserfahrung gesammelt hat, merkt die Plattform ebenso wie die Tatsache, dass ein Unternehmen mit deutlich kürzerem Anfahrtsweg nach jemandem sucht, der exakt den eigenen Qualifika- tionen entspricht. Wenn man ein Kind kriegt, werden einem automatisch Stellen mit besseren Arbeitszeiten angeboten. Und wenn man eine spezielle Fortbildung macht, trudeln sofort neue Jobvorschläge ein. Kurz: Wenn alles so klappt wie erhofft, bewirbt man sich bald, ohne es überhaupt zu merken, auf Jobs, von denen man nicht einmal weiß, dass sie ausgeschrieben sind. Es ist die Software, die einem die perfekt passende Position vorschlägt.

Wie schlecht der Arbeitsmarkt tatsächlich funktioniert, merkte Robin Sudermann — 31, perfekt gestutzter Dreitagebart, perfekt geformte Tolle und Zahnpastalä- cheln — am eigenen Leib. Nach dem Bachelorabschluss in Wirtschaftspsychologie stellte der Gründer und CEO von Talents Connect fest, dass er keine Ahnung hatte, was er mit dem Abschluss anfangen sollte. Und auch die möglichen Arbeitgeber wussten nicht recht, was er eigentlich gelernt hatte und konnte.

Also ermittelte Sudermann anhand von 120 Fragen und 16 Parametern, wie sich seine Persönlichkeit knapp am besten zusammenfassen lässt. „Mit dem Ergebnis habe ich mir dann Stellenanzeigen angesehen und ge- dacht: ,Das kann doch nicht sein! Eigentlich müsste es jetzt doch exakt für mein Profil eine Auswahl an möglichen Jobs geben!‘“ Gab es aber nicht.

Fehlende Antworten, hohe Kosten

Mit dem Problem war Sudermann nicht allein. Eine repräsentative Umfrage des Marktforschungsinstituts Yougov, die Talents Connect später in Auftrag gab, ermittelte, dass 40 Prozent der Teilnehmer drei bis sechs Wochen auf die Rückmeldung eines Arbeitgebers gewartet hatten. Über 20 Prozent gaben an, auf mehr als zehn Bewerbungen überhaupt gar keine Antwort erhalten zu haben. Und das, obwohl 59 Prozent zehn oder deutlich mehr Bewerbungen geschrieben hatten.

Für die Unternehmen sieht es nicht viel besser aus. Jede Bewerbung kostet ein Unternehmen grob 300 Euro. Der Clou an den vom Algorithmus ausgesuch- ten Bewerbern ist dagegen, dass sich kein Personaler mehr durch einen Berg von ausgedruckten Bewer- bungen kämpfen und von Hand Lebenslauf, Zeugnisse und Präferenzen aus den geleckten Bewerbungsmap- pen herausfiltern muss. Das nämlich übernimmt der Algorithmus. Und das macht den Prozess nicht nur einfacher, sondern auch billiger.

Doch sosehr sich die Umwälzung des Bewerbungs- markts eigentlich aufdrängt, so mühselig ist es, die Bran- che von der digitalen Revolution zu begeistern. Green- house.io, die Ähnliches auf dem US-Markt versuchen, haben sich auf die Verbreitung von Ausschreibungen via Social Media fokussiert. Und das österreichische Startup Mercury Puzzle, das im vergangenen Jahr mit einem ganz ähnlichen Ansatz auf den Plan trat, hat sich mittlerweile darauf verlagert, seine Software unter dem Namen Prescreen als Dienstleistung für Unternehmen anzubieten. Die Unicredit-Gruppe und der Vapiano- Konkurrent L’Osteria konnten bereits überzeugt werden.

Auch Robin Sudermann gibt gerne zu, dass sie sich die Eroberung der HR-Branchen vielleicht etwas zu einfach vorgestellt hatten, als sie mit der Arbeit begannen. „Am Anfang dachten wir: Wir bauen einen schicken Algorithmus, matchen die perfekte Stelle auf den per- fekten Bewerber, spazieren in den Markt, investieren ein bisschen Geld in Media-Budget –und dann ab dafür!“, sagt Robin Sudermann und lacht und lacht und lacht über die eigene Naivität.

Störrisch, vorsichtig, schwerfällig

Sudermann weiß inzwischen: Es gibt einen guten Grund, dass es noch Bewerbungsmappen gibt. Es ist kein Zufall, dass die Worte „Anschreiben“ und „Lebenslauf“ noch nicht so angestaubt klingen, wie sie sollten. Denn kaum eine Branche ist so störrisch, vorsichtig und schwer- fällig wie das Bewerbungswesen, aber dennoch – noch –weitgehend etabliert und akzeptiert. Anders als bei Partnerschaftsbörsen gibt es auch im Arbeitsmarkt auf beiden Seiten keine High-End-Singles, die lange und abwägend suchen. Stattdessen gilt: Nimm, was du halt kriegst. Weshalb es auch mit dem klassischen Startup- Dreisatz „Struktur aufbauen, skalieren, verkaufen“ eben nicht getan war. Und weshalb auch Talents Connect selbst anders strukturiert werden musste als klassische Startups.

Also trafen Sudermann und sein Team drei grundlegende Entscheidungen.

Erstens: Talents Connect konzentrierte sich erst mal nicht auf High Potentials, sondern auf das weni- ger glamouröse Geschäft der Ausbildungsstellen. Im High-Pot-Bereich tummeln sich Beratungsfirmen und Headhunter noch und nöcher, während der weniger aufregend erscheinende Azubi-Bereich vielen Unter- nehmen ähnlich viel Kopfzerbrechen bereitet. Und sich, ganz nebenbei, auch deutlich leichter skalieren und in eine interessantere Größenordnung ausbreiten lässt.

Zweitens: Talents Connect kümmert sich aktiv darum, Bewerber auf die Plattform zu bekommen. Und so tingeln die Kölner auf Jobmessen, verhandeln Kooperationen mit fast allen deutschen Industrie- und Handelskammern des Landes, aber auch mit großen Ausbildungsbetrieben wie etwa der Lufthansa und dem Energiekonzern Eon, der seine Ausbildungsstellen über Talents Connect ausschreibt – unter anderem auch des- wegen, weil Talents Connect als externer Anbieter viel pragmatischer mit den strengen Datenschutzrichtlinien umgehen kann, als es Eon mit seinen vielen Tochterfirmen je möglich wäre.

Drittens: Das Kölner Startup ist, wenn man so will, ein Recyclingunternehmen im Bewerbungsmarkt. Für die großen Unternehmen spricht Talents Connect jun- ge Bewerbergruppen an, die über Zeitungsannoncen ohnehin nicht mehr zu erreichen sind. Während beim klassischen Bewerbungsprozess am Ende aber zurückgeschickte Mappen und lange Gesichter auf beiden Seiten stehen, nutzt Talents Connect die zunächst abgelehnten Bewerber und sucht Jobs, die zu ihnen passen. Ein klassisches Win-win-win-Szenario für die Bewerber, die Arbeitgeber – und für Talents Connect.

Und viertens: Der Algorithmus von Talents Connect ist so programmiert, dass er wirklich jede Präferenz mit jedem Angebot abgleichen kann, nicht nur Bewerber und Jobs. Erste Ideen und Pilotprojekte gibt es schon, etwa für Autohersteller, die interessierten Käufern das perfekt passende Modell in der idealen Ausstattung für genau ihre Vorlieben und Bedürfnisse empfehlen können.

Diese Strategie ist natürlich sehr vorsichtig und arg realistisch, gerade für ein Unternehmen, das nicht weniger will als die große Revolution. Aber sie ist auch die Versicherung, dass Talents Connect auf der Strecke nicht irgendwann Geld und Puste ausgehen.

Am Ziel, das öde Personalwesen endlich und mit aller Kraft ins Jetzt zu bugsieren, ändert sich dadurch nichts. Denn auch wenn die Bewerbungsmappe, dieses unsinnige Ding, vollgepackt mit Zeugnis, Grinsefoto und Tabellen, noch lebt und ein verdammt zähes Stück Arbeitswelt ist: Sie wird sterben. Wenn nicht heute, dann eben morgen.

 

Der Artikel stammt aus der Business Punk 05/2014.

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