Leadership & Karriere Wir brauchen weder Stanford noch Milliarden – wir brauchen Macher!

Wir brauchen weder Stanford noch Milliarden – wir brauchen Macher!

Derzeit wird viel geklagt darüber, dass in Deutschland zu wenige Unternehmer werden möchten. Manche sehen da den Bezug zum Thema Hochschulbildung, die Beamte produziert, und wünschen sich mehr Elite-Universitäten, die – Stanford! – Kern von technologiegetriebenem Unternehmertum sein können.

Werfen wir mal einen Blick auf die Praxis. Im Mai war ich im zum dritten Mal an der Uni Bayreuth, den jährlich stattfindenden eintägigen Kickoff-Workshop mit dem örtlichen Startup-Kurs abzuhalten. Dieser Kurs wurde 2012 von Tim Keller und Christoph Buck aus der Taufe gehoben. Tim, seines Zeichens Inhaber einer Junior-Professur der BWL, und Christoph, WiMi und Doktorand, machen das in ihrer Freizeit, mal mit mehr, mal mit weniger Unterstützung der Uni. Letztes Jahr zum Beispiel mussten wir im Laufe des Tages dreimal umziehen mit der Gruppe, weil kein Raum für den ganzen Tag verfügbar war. Auf ähnliche Weise war ich schon an der Uni Lüneburg, wo alle Studienanfänger vor ihrem ersten Semester eine Woche an unternehmerischen Projekten arbeiten mussten, unter Einbeziehung von 30 Experten aus der Wirtschaft. Und in Bonn, wo mein ehemaliger Kommilitone Dominik Geppert Professor ist, hab ich versucht, einem Jahrgang Geschichtsstudenten Berufsoptionen jenseits des Personenbeförderungsscheins nahezubringen.

Bayreuth, Bonn und Lüneburg haben eines gemeinsam: ich habe dort nicht studiert. Aber es gibt dort Professoren, die bereit sind, einen Schritt hinaus aus der Uni zu machen, um Studenten mit Hilfe von Experten aus der Wirtschaft auf die Option „Gründen“ aufmerksam zu machen. Wie nützlich das sein kann, zeigen uns die Schweden. Seit 1998 gibt es die „Stockholm School of Entrepreneurship (SSES)“, die eigentlich gar keine Schule ist. Sie entstand, als sich Professoren von fünf in der Schwedenmetropole ansässigen Hochschulen zusammensetzten und beschlossen, die an ihren jeweiligen Unis existierenden Seminare zum Thema „Gründung und Unternehmertum“ einfach mal in ein Curriculum zusammenzufassen. Ich stelle mir das als eine simple Excel-Tabelle vor, auf der stand: Montag 14 Uhr Arbeitsrecht an Uni A, Dienstag 10 Uhr Digital Storytelling bei Kunsthochschule B, Mittwoch 16 Uhr Grundlagen der Java-Programmierung am Informatik-Lehrstuhl der Uni C. Keine neuen Leute eingestellt, kein Geld ausgegeben – einfach nur das Vorhandene Uni-übergreifend als studienbegleitendes Programm aufgearbeitet und zusammengefasst.

Heute hat die SSES ein Büro mit einem kleinen Team. Fast jeder schwedische Startupper, den man kennt (auch die Soundclouds), hat das Curriculum absolviert, und je erfolgreicher es wurde, umso mehr weitere Parteien schlossen sich an. VCs machten unentgeltlich Seminare und Pitch Sessions, Industrieunternehmen wollten unbedingt den neuen Jahrgang kennen lernen. Heute ist Stockholm, das sozialistische, höchstbesteuerte, zutiefst wohlstandsverwöhnte, sauteure, halbdunkle und arschkalte Stockholm, die Stadt mit einer der höchsten Quoten an VC Investment pro Kopf, Milliarden-Exits und Tech Companies (angeblich 22.000).

Wenn man sich dagegen in Deutschland auf das Thema einlässt – bessere Lehre allgemein, Gründerförderung im Besonderen – da  heulen alle erst einmal nach Geld. Milliarden. Mehr Milliarden! Und keiner fragt: Könnte man vielleicht mit ein bisschen Phantasie und persönlichem Engagement dramatisch Positives erreichen? In Berlin zum Beispiel gibt es 39 Hoch- und Fachhochschulen. Aber dass sich ein paar von ihnen zusammentun und ein gemeinsames Curriculum anbieten? Um Himmels Willen, dafür müsste man ja in Vorleistung gehen!

Und so hat jede Berliner Uni ihr eigenes Gründerzentrum, ihren eigenen Gründerwettbewerb, ihr eigenes Personal.  Zwischen dem „Gründen Live“-Wettbewerb der FU Berlin (nur auf Deutsch), dem Gründercampus der TU (eigene Immobilien und großzügig Personal) und dem der HU (Gründerhaus, Gründerservice) werden jedes Jahr so unendlich viele Chancen vergeben. Weil der Naturwissenschaftler von der FU (Stadtteil Dahlem) so eben NICHT mit dem Kommunikationsprofi von der UdK (Charlottenburg) und dem Informatiker von der HU (Mitte) zusammentrifft, und erst recht nicht mit dem BWLer von der HWR (Schöneweide), und schon gar nicht mit einem Kreativen von der Musikhochschule Hanns Eisler (400 Meter von der HU). Und garantiert nicht, wenn er kein Deutsch spricht – in einer Stadt, in der bald die Hälfte aller Startup-Gründer Nichtdeutsche sind.

Was könnte man nicht alles erreichen, wäre das anders! Die Lerneffekte einer gemeinsamen Organisation wären koordiniert, der Dealflow von höherer Qualität, das Involvieren Externer – VCs, Mentoren, Industriepartner – dramatisch einfacher. Und man könnte auf redundante Positionen verzichten und dem Steuerzahler Geld sparen! – Aber da liegt er wohl im Pfeffer, der Hase. In einem System, in dem jede Universität ein Silo ist, dessen Zuwachs nur über „oben reinkippen“ funktioniert, ist Zusammenlegen und effektiver werden wahrlich ein Schrecknis.

Was es im Gegensatz dazu für eine positive Weiterentwicklung privat wie öffentlich braucht, ist dasselbe, das auch in der Gründerszene das zentrale Movens ist. Es ist der Einzelne, der sich aufrafft. Wie die fünf, die damals in Stockholm ungefragt ihre Silos verließen. Kapitalismusfreunde meinen, wir bräuchten mehr Amerika, mehr Eliteuniversitäten, ein deutsches Stanford, das natürlich nur auf Basis von Milliardenfonds funktionieren kann. Ich dagegen bin mir sicher, dass wir noch viel erreichen können, indem wir uns im sozialistischen Ausland (= Skandinavien) umschauen und in Deutschland die bereits zur Verfügung stehenden Teile besser zusammensetzen.

Hört also auf, nach Milliarden zu rufen für dieses schläfrige System! Fangt an, euch mit den Kollegen aus eurem Umfeld zu treffen, bezieht Unternehmer mit ein, baut ein Ökosystem – sowas geht auch in Oberfranken, fragt die Herren Kessler und Buck! Und dann sehen wir mal, was passiert.

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