Female Entrepreneurship Patty McCord über ihre radikale Führungsfibel

Patty McCord über ihre radikale Führungsfibel

Das „Netflix Culture Deck“ ist nicht nur im Silicon Valley eine Bibel unter HR-lern. Jetzt hat Patty McCord, die Frau hinter der radikalen Führungsfibel, aus ihren Learnings und Thesen ein Buch gemacht.

Patty McCord, Sie haben 14 Jahre lang als Chief Talent Officer bei Netflix gearbeitet und das Unternehmen ab 1997 mit aufgebaut. Ihr Kerngedanke damals: Maximale Eigenverantwortung der Mitarbeiter, im Gegenzug erwarteten Sie permanente Bestleistung. Wie entstand diese High-­Performance-Kultur?

Ich kannte Netflix-CEO Reed Hastings schon von seinem vorherigen Startup. Als er mich 1997 überreden wollte, zu Netflix zu kommen, sagte er: „Lass uns die Firma aufbauen, von der wir immer geträumt haben. Eine Firma, bei der wir immer noch gern arbeiten, wenn sie erfolgreich geworden ist.“ Das hat mich überzeugt.

Sie schufen sich also das ideale Unter­nehmen?

Ja. Und Reed und ich dachten, der beste Weg, den Mitarbeitern zu vermitteln, wer wir sind, war, es aufzuschreiben. Und aus genau dieser Idee entstand das „Netflix Culture Deck“.

Das in der Folge Berühmtheit erlangte.

Genau. Als Erstes notierten wir Eigenschaften, die uns bei Mitarbeitern wichtig waren. Das nächste Kapitel drehte sich um High Performance und darum, die richtige Person für den richtigen Job zu haben. Anschließend fragten wir uns, ob wir nun an Richtlinien und Prozessen festhalten sollten, weil wir gerade ein börsennotiertes Unternehmen geworden waren. Aber dann dachte ich: Wenn wir das machen, wird uns das nur ausbremsen. Stattdessen schrieben wir einen Part namens „Freedom & Responsibility“. Und so entstand ein Kapitel nach dem anderen. Jeder denkt, Reed und ich setzten uns eines Tages zusammen und schrieben die 172 Seiten mal eben so runter. Aber allein der Performance-Teil hat vier Jahre gedauert.

Mit dem „Culture Deck“ traten Sie eine regelrechte Revolution im Bereich der Mitarbeiterführung los. Facebooks COO Sheryl Sandberg nannte es „das wohl wichtigste Dokument, das jemals aus dem Valley kam“. Wie gingen Sie mit dieser plötzlichen Berühmtheit um?

Das war ein wundervolles Kompliment, und ich war sprachlos, dass sich so viele Menschen damit identifizierten. Aber ich habe es ja nicht alleine geschrieben. Und wir haben es auch gar nicht verfasst, um es zu veröffentlichen, sondern als Manifest. Um zu sagen: So laufen die Dinge bei uns. Aber worauf ich wirklich stolz bin, ist, dass das Unternehmen heute immer noch so erfolgreich ist, nach wie vor auf seine Firmenkultur achtet und dass sich die Kultur sogar immer weiterentwickelt.

Warum, glauben Sie, war die Resonanz auf das „Culture Deck“ so groß?

Weil es sehr logisch und wahr ist. Im Grunde steckt gar nicht viel Neues drin. Das Innovativste war, dass es in verständlichen Worten geschrieben ist. Denn die meisten sprechen in dieser umständlichen Sprache, die keiner versteht, über Engagement und Empowerment. Die Geeks fanden unser „Culture Deck“ großartig, weil es so simpel, so direkt heraus ist und einfach Sinn ergibt.

Nur die Geeks? Oder ist das Konzept auf alle Branchen übertragbar?

Ich glaube, die Umsetzung ist einfacher für Unternehmen, die auf Logik und Transparenz setzen. Aber wir haben es ja nicht mit dem Anspruch veröffentlicht, jedermanns Arbeitsweise zu sein.

Als Allererstes schafften Sie bei Netflix die Urlaubsregelung ab. Jeder durfte plötzlich so viel freinehmen, wie er wollte. Warum?

Ich wurde mal von einem Reporter interviewt, der dachte, dass die Leute monatelang freinehmen und in exotische Länder reisen würden. Nachdem er mit einigen Mitarbeitern sprach, stellte er fest: Die Leute machen überhaupt nichts anders als zuvor. Der Unterschied ist: Sie lieben es, dass sie selbst über ihre freie Zeit entscheiden können. Für mich hatte das den Vorteil, dass niemand im HR-Team seine Zeit verschwenden musste, um die Anwesenheiten zu überprüfen. Ich musste tatsächlich auch nie jemanden feuern, weil er zu spät kam oder seine Arbeit nicht pünktlich abgeliefert hat. Eher im Gegenteil – wenn jemand ununterbrochen gearbeitet hat. Das ist ja auch nicht gut.

In Ihrem neuen Buch „Powerful“ fassen Sie Ihre Thesen zu innovativer Unternehmensführung zusammen und geben Tipps, wie Führungskräfte eine High-Performance-Kultur aufbauen können. Eine Ihrer Thesen lautet: Es ist Quatsch, seine Mitarbeiter so lange wie möglich zu halten. Warum?

Es besteht die Annahme, dass jemand, der schon lange in einem Unternehmen ist und weiß, wie der Hase läuft, automatisch effizienter und erfolgreicher arbeitet. Das geht nur so lange auf, wie alles weiterläuft wie bisher. Aber in der Businesswelt, aus der ich komme – die Welt der Innovation und Weiterentwicklung –, ist das Unsinn. Denn das würde bedeuten, dass das Unternehmen festgefahren ist.

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