Ablage Coliving: Arbeit ist die halbe Miete

Coliving: Arbeit ist die halbe Miete

Ein guter Job heißt: machen, was man liebt, mit den Menschen, die man mag. Gute Voraussetzung eigentlich, seine Tage 24/7 mit den Kollegen zu verbringen. Über den Boom von Coliving – und das Business dahinter

Text: Gina Nicolini

Sibirien ist 100 Quadratmeter groß und hat vier Bewohner, eine Radiostation und ein Fotostudio. Wenn Daniel Jensen nach Sibirien will, muss er nur die Treppe runter und über den schmalen Innenhof. Sibirien liegt gleich neben dem Kopenhagener Hauptbahnhof im rechten Flügel eines eleganten Stadthauses, das früher mal ein Amt war. Jensen, der sein Geld als Startup-Berater verdient, wohnt im linken Hausteil, wo sie sich den ironischen Namen Sibirien ausgedacht haben. Denn diese Wohnung liegt als einzige des Coliving-Projekts Nest im rechten Gebäudeteil gegenüber. „Zusammenhängende Wohnungen oder ein ganzes Haus waren nicht zu finden“, sagt Jensen. Wenn 21 junge Unternehmer und Kreative zusammenziehen wollen, müssen sie eben nehmen, was sie kriegen.

Nest gibt es seit 2014. Es ist das Pionierprojekt für Coliving in Europa. Coworking-Spaces gibt es mittlerweile in nahezu jeder deutschen Großstadt. Doch einigen Leuten reicht es nicht mehr, sich nur das Büro zu teilen. Sie wollen auch den gemeinsamen Küchentisch und das Sofa, wollen zusammen arbeiten und gemeinsam leben. Coliving-Spaces lassen sich vielleicht am besten als eine Art WG für digitale Nomaden beschreiben, als mal mehr mal weniger temporäre Heimat für Menschen, die häufig die Stadt wechseln und denen zum Arbeiten Steckdose und W-Lan reichen, denen Nächte in Hotelzimmern oder ein Dasein als zwischenmietender WG-Hopper aber zu wenig Sozialleben mit sich bringen.

Dieses familiäre Umfeld Gleichgesinnter suchte auch Jensen. Er fand es bei Nest, einem Zusammenschluss von Gründern und Kreativen, die sich vier Wohnungen in Kopenhagens City teilen. 21 Zimmer, vier Gemeinschaftsräume. Jeder hat Schlüssel zu allen Wohnungen. Natürlich dreht sich im Nest nicht alles immer um Arbeit – sie würden sonst wohl keinen Next-Top-Model-Contest mit selbst gebastelten Kostümen aus Tapete machen. Aber es kann eben immer auch um Arbeit gehen, wenn beispielsweise aus dem abendlichen Zusammensitzen doch wieder eine Brainstorming-Session wird. „Für uns ist das perfekt“, sagt Jensen. „Wir profitieren voneinander, die anderen verstehen dich und deine Probleme. So etwas bekomme ich sonst nirgends.“

Gründer-WG mit Benefits

Ihren Ursprung hat die Coliving-Bewegung in den USA. Junge Unternehmer, die ihr Geld lieber ins Business als in überteuerten Wohnraum investieren wollen, schlossen sich zu homogenen Wohngemeinschaften zusammen. Die ersten und bekanntesten sind die „Rainbow Mansion“ im Silicon Valley, „The Glint“ und „The Embassy“ in San Francisco. Mittlerweile sind Coliving-Spaces ein globales Phänomen. Berlin hat WGs für spanische Gründer, die in Deutschland Fuß fassen wollen, in Spanien wiederum kann man sich in eine Finka einmieten und den Sommer mit Digitalnomaden aus aller Welt verbringen. Oft sind es kleine, private Initiativen, doch die steigende Nachfrage – Nest bekommt im Jahr rund 180 Bewerbungen – macht Coliving für kommerzielle Anbieter interessant.

WeWork, der Coworking-Riese aus den USA, der über 50 Spaces betreibt und mit 10 Mrd. Dollar bewertet ist, experimentiert derzeit am Stammsitz New York mit Coliving. Dort wurden die oberen Etagen eines Bürogebäudes an der Wall Street in 45 voll ausgestattete Micro-Apartments umgewandelt. Das Unternehmen spricht von einer „Testphase“. Glückt sie, könnten hier auf 20 Etagen Einer- und Zweier-Apartments für bis zu 600 Bewohner entstehen. WeWork verspricht sich offensichtlich viel vom neuen Business: Laut internen Unterlagen, die „Buzzfeed“ veröffentlicht hat, kalkuliert WeWork, dass die neue Coliving-Sparte bis 2018 ein Fünftel des Umsatzes erwirtschaftet.

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