Ablage Warten auf die Welle: Lissabon – die nächste Startup-Schmiede

Warten auf die Welle: Lissabon – die nächste Startup-Schmiede

Mit seinem klugen, bodenständigen und ein bisschen langweiligen Ansatz ist Codacy typisch für den Startup-Standort Lissabon. In der Hauptstadt wird nicht die nächste digitale Revolution geplant, niemand spricht von Disruption, und keiner arbeitet am nächsten Facebook. Das Credo von Lissabon lautet: Do your job. „Vergesst die Einhörner, wir brauchen funktionierende Geschäftsmodelle“, verkündete João Vasconcelos, Gründer und CEO des mit öffentlichen Geldern finanzierten Inkubators Startup Lisboa. Vasconcelos, der vor wenigen Wochen zum portugiesischen Staatssekretär für Industrie ernannt wurde, muss es wissen: In den drei Jahren seiner Existenz hat Startup Lisboa über 200 Startups hervorgebracht, die mehr als 700 Arbeitsplätze geschaffen haben.

In einem wirklich trostlosen, rostbraunen ehemaligen Postgebäude nahe der Avenida da Liberdade, das mit Pressholzwänden und knallbunten Sitzwürfeln noch sehr rudimentär eingerichtet ist, sitzen junge Menschen an langen Tischen und starren auf Monitore. Die tristen Räumlichkeiten sind das Zuhause des Accelerators Beta-i, der als einer der größten und wichtigsten seiner Art in Europa gilt und fast wöchentlich die hiesige Szene bei Events versammelt: Lisbon Challenge, Seedcamp Lisbon, Silicon Valley Comes to Lisbon, Startup Weekend, TEDx in Portugal und wie sie alle heißen.

PedroGuimaraes_MG_7282_WEB
Maria Almeida tauft ihr Startupblog „Ship“ – weil Seeleute schon immer die besten Geschichtenerzähler waren.

Die Jalousien sind heruntergelassen, es gibt einen Kapselkaffeeautomaten, und Maria Almeida überreicht ihre Visitenkarte. Auf der steht „Almighty Duchess of Content“. Die 26-Jährige vertritt den Accelerator nach außen und schreibt auf Startupship.org den wohl wichtigsten Startupblog Lissabons. Außerdem war Almeida die Initiatorin der Facebook-Gruppe „Bring the Web Summit 2016 to Lisbon“, die nach Aussage des Web-Summit-Gründers Paddy Cosgrave eine derartige Euphorie verbreitete, dass die Entscheidung zum Umzug nicht schwerfiel. Finanzielle Anreize seitens des portugiesischen Staats dürften allerdings auch geholfen haben. So oder so: „Ich sehe Lissabon als Hafen“, sagt Almeida. „Wir versuchen, unsere Produkte in die Welt zu bringen. Aber wir wollen auch, dass Menschen von überall her zu uns kommen.“

Bei Uniplaces ist das längst Realität. Die Firma ist nicht nur eines der bekanntesten und größten Startups der Stadt, sie ist auch das internationalste. Das liegt an der Geschichte des Unternehmens und an seinem Konzept. Uniplaces will eine Art Airbnb für Erasmus-Studenten sein und hat dafür die richtige Story: gegründet in Lissabon von einem Portugiesen, einem Briten und einem Argentinier, die sich beim Studium im englischen Nottingham kennengelernt haben.
Der 25-jährige Francisco Peres, Mitarbeiter Nummer fünf der Wohnungsbörse und seit geraumer Zeit Content-Chef des 100-Mitarbeiter-Startups, brennt für das Konzept: „Es gibt keinen modernen Weg, Studentenunterkünfte im Ausland zu buchen. Schon gar nicht in einer Stadt, die man nicht kennt“, sagt Peres. „Viele leben über Wochen in Hostels oder schlafen auf einer Couch. Und sie kriegen immer nur die schlechten Wohnungen, weil die einheimischen Studenten schneller sind.“
Die internationalen Büros der Universitäten sind meist kaum in der Lage, den Markt zu lenken. Lachend erzählt Peres, dass er beim Termin mit einer Uni in Porto vor einer sechs Meter hohen Straßenlaterne stand und eine Frau ihm erklärte, dies sei der hiesige Wohnungsmarkt.

Die Zielgruppe ist riesig: „Bis 2020 will die Europäische Kommission, dass mindestens 20 Prozent aller Studenten zumindest ein Erasmus-Jahr machen oder gleich einen Master in einem anderen Land“, sagt Peres. Und seine deutsche Kollegin Kerstin Meergans, die für die Expansion nach Deutschland verantwortlich ist, erzählt, dass sie von Unimitarbeitern geradezu angefleht wurde, in die Stadt zu kommen. Der Erfolg von Uniplaces ist beeindruckend, das Geschäftsmodell solide, die Expansion läuft. Eins aber ist auch Uniplaces nicht: sexy. Kein Heilsversprechen oder gar eine Revolution.
Spät am Abend, nach Wein, Bier und dem ersten Gin Tonic springt Felix Petersen in einer Bar auf und ruft: „Es stimmt doch: Startups hier sind verdammt boring.“

Seite 2 / 3
Vorherige Seite Nächste Seite

Das könnte dich auch interessieren