Leadership & Karriere Feiern für eine bessere Welt: Viva con Agua erfindet Charity-Arbeit neu

Feiern für eine bessere Welt: Viva con Agua erfindet Charity-Arbeit neu

Mehr als Bechersammeln: Viva con Agua hat Charity neu erfunden – als millionenschwere Love-Brand, die selbst aus Klopapier ein Lifestyle-Produkt macht.

Text: Jarka Kubsova

St. Pauli, Millerntorstadion, früher Abend. Am Rand der Südtribüne hockt Benjamin Adrion in Totenkopf-T-Shirt und Jogginghose. Er ist entspannt wie ein Zen-Meister, und er sagt Sätze, die gut dazupassen. „Manchmal macht es erst richtig bäm, wenn man die Sachen einfach laufen lässt.“ Der Bäm kommt sogleich in Form einer jungen Frau um die Ecke, aufgeregt: „Benny, Benny! Wir haben erst die Hälfte verkauft und schon 50 000 Euro zusammen!“ High Five, Umarmung. Dann sagt er: „Siehst du, genau das mein ich.“ Die 50 000 Euro kommen durch eine Auktion zusammen, die gerade ein paar Meter weiter läuft. Sie ist der Auftakt der Millerntor Gallery, eines viertägigen Spektakels mit Kunstausstellung und Konzerten in den Gängen des Stadions. 15 000 Besucher, Party zwischen Skulpturen, Street-Art und Fußballfeld. Gewinn am Ende: mehr als 100 000 Euro.

Spaß für die Leute, Einnahmen für Viva con Agua – das ist Teil der Formel, mit der Adrion Geld scheffelt. Viva con Agua kennt ganz Hamburg und zunehmend der Rest der Republik als Mineralwassermarke. Am Anfang steckt dahinter ein wohltätiger Verein, heute ein kompliziertes Konstrukt, zu dem noch eine Stiftung gehört, eine GmbH für Mineralwasser und eine für Komposttoiletten und für Klopapier. Am Ende geht es immer ums eines: Geld auftreiben, damit mehr Menschen weltweit sauberes Trinkwasser bekommen. En passant aber hat Viva con Agua eine Marke geschaffen, der Tausende von jungen Leuten mit fast unheimlicher Hingabe ihre Zeit und Arbeitskraft schenken. Eine Marke, die, so scheint es, jedes beliebige langweilige Produkt verkaufen kann: Wasser, Klopapier, Komposttoiletten. Produkte, die ganz normale kommerzielle Anbieter in ihr Sortiment aufnehmen, obwohl sie wenig bis nichts daran verdienen.

Viva con Agua

Für sein Engagement hat Benjamin Adrion mit 28 Jahren bekommen, was den U40 sonst stets verwehrt ist: das Bundesverdienstkreuz (Foto: Robin Hinsch)

Das Geld, das Viva con Agua einnimmt, geht als klassische Spende an die Welthungerhilfe, die Wasserprojekte umsetzt. Das Besondere ist, wie dieser Verein Fundraising betreibt, Netzwerke aufbaut und Leute mobilisiert: Viva con Agua elektrisiert junge Leute, und zwar massenweise. Das ist bisher noch niemandem gelungen. Nur neun Prozent aller Spendeneinnahmen in Deutschland stammen von Menschen unter 40, und Spendeneintreiben geht meist so: mit traurigen Bildern schlechte Laune und ein schlechtes Gewissen machen. Zeigefinger heben, dann Ablasshandel.

Und Viva con Agua? Veranstaltet Partys, Konzerte, Festivals. Auf den ersten Blick wirkt der Laden wie eine harmlos nette Chaostruppe, Hipster und Hippies mit Vision. Dahinter aber stecken ein paar gewiefte Strategen, die perfekt St.-Pauli-Lifestyle, Kommerz und Engagement verbinden. Deren Produkte mit denen von Nestlé oder Coca-Cola mithalten. Was Viva con Agua aus seiner Freiwilligenarmee alles herausholt, ließe manchen Konzern vor Neid erblassen. Die Rede ist von 13 000 Leuten in 57 deutschen Städten und in Österreich, der Schweiz, Holland und Uganda. Einnahmen 2015: 1,2 Mio. Euro. Seit der Gründung hat der Verein 6 Mio. Euro in Wasserprojekte investiert.

Adrion selbst – außen noch ganz wuscheliger Revoluzzer – mutiert dabei immer mehr zum CEO. Sein aktuelles Lieblingsthema: „Relationship“. Beispiel Millerntor Gallery: Klar, Einnahmen von 100 000 Euro sind nett, aber wichtiger seien die Beziehungen, die hier entstehen. „Kümmere dich um gute Verbindungen – darum geht’s. Um emotionale Erfahrungen. Das strahlt dann auf deine Marke ab.“

Kopf voll BWL-Lingo

Manchmal muss Adrion selber lachen über sein BWL-Lingo. Sein Kopf ist gerade voll davon. Er ist jetzt 35, hat ein Studium nachgeschoben, Internationales Management. In ein paar Tagen ist die Bachelorarbeit fällig. „Ich freue mich, wenn ich an den Schreibtisch kann, ich finde diese Management- und Ökonomiethemen wirklich richtig geil.“ In die Spur gesetzt hatte er den Verein ohne blassen Schimmer. Aber da ahnte er auch noch nicht, wie groß alles werden würde.

Angefangen hat es hier auf St. Pauli, wo Adrion wohnte und professionell Fußball spielte. Seit dem Abi hatte er nichts anderes getan. Es reichte ihm nicht mehr. Er suchte etwas mit mehr Sinn. Und er sah das Potenzial von St. Pauli. Die Irren, die Linken und Alternativen, die Kritiker und die Weltverbesserer. Konnte man die nicht für etwas Konkretes einspannen? „Das war sein Thema“, sagt einer, der ihn gut kennt. „Man traf ihn auf Partys,und er sprach immer wieder davon: Man muss doch mit dem, was es auf hier auf St. Pauli gibt, etwas machen können.“ Den Anfang bildete schließlich ein Projekt der Welthungerhilfe auf Kuba. Das Land hatte er 2005 während eines Trainingslagers kennengelernt. Er beschloss, 10 000 Euro einzusammeln, trommelte Freunde zusammen, ein paar Medien, der Verein unterstützte ihn. Klar. Die Geschichte vom St.-Pauli-Spieler, der etwas bewegen will, kam an: Bela B gab ein Benefizkonzert, Hamburger Hebammen gaben pro Wassergeburt 5 Euro, Autoren lasen vor, Clubs veranstalteten Soli-Partys. „Auf einmal hatte ich das Gefühl, die ganze Stadt steht dahinter“, sagt Adrion. Durch reines Word of Mouth, Mundpropaganda.

Viva con Agua

Benny and ze Boys: Ramba Zamba, der offizielle Fanclub des FC St. Pauli, ist be jeder Millerntor-Gallery mit einem Stand dabei (Foto: Robin Hinsch)

Auch Moritz Meier, damals St.-Pauli-Fan, Student und Kassenwart beim Lunatic Festival in Lüneburg, hörte so von Adrion. Heute ist er Marketingleiter von Viva con Agua. Er sitzt im Brunnenbüro, der Schaltzentrale im Hamburger Karoviertel, zusammen mit etwa einem Dutzend sogenannter Hauptamtler, die Einzigen, die bei Viva con Agua Gehälter bekommen. Überschaubare zwar, 1 700 Euro netto im Schnitt, aber Gehälter immerhin. Jahrelang bekamen sie gar nichts.

Anfangs, in Lüneburg will Meier Adrion unterstützen, indem er pro Festivaleintritt 1 Euro spendet. Wird ihm nicht erlaubt. Da kommt ihm die Idee mit dem Becherpfand. Er zieht mit einer Tonne los, sagt den Leuten, worum es geht, sie werfen ihre leeren Becher rein. So geht es weiter, von Festival zu Festival. „Für uns war das super. Wir sind sowieso gern auf Festivals gefahren“, sagt Meier. „Durch die Pfandgeschichte kamen wir auch noch umsonst rein.“ Auch das ist eine von Adrions Regeln: Mach, was dir Spaß macht, dann machst du das meiste.

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