Leadership & Karriere Feiern für eine bessere Welt: Viva con Agua erfindet Charity-Arbeit neu

Feiern für eine bessere Welt: Viva con Agua erfindet Charity-Arbeit neu

Dabei ist gerade das Wasser anfangs nicht unumstritten. Die Leute hören: Investoren, GmbH, Kommerz! „Hier hätten sie ihre Anhänger leicht verlieren können“, sagt Fuchs. Aber Viva con Agua kann die Stimmung drehen. „Wenn schon Kapitalismus, dann lass uns ihn nutzen“, lautet die Botschaft. Und: „Wir wollen, dass Leute Leitungswasser trinken. Aber wenn gerade keins verfügbar ist oder sie es nicht mögen, dann sollen sie unser Wasser nehmen.“

Inzwischen geht Viva con Agua offensiv mit dem Thema um. „Wir wollten kein zinsloses Darlehen, sondern dass Investoren an diesem Business etwas verdienen, darüber sprechen und Beispiel für andere werden“, sagt Meier. Es sind Buddys der ersten Stunde, lokale Größen wie der FC St. Pauli, Folkert Koopmans vom Konzertveranstalter FKP Scorpio oder Medienunternehmer Frank Otto. Mit kurzfristiger kapitalistischer Gier haben die es ohnehin nicht so: Die Wasser GmbH macht operativ schon Geld. Nur legen die Investoren das lieber zur Seite und reinvestieren es in neue Ideen. „Wir haben uns quasi eine eigene Bank kreiert“, sagt Meier.

Viva con Agua

Moritz Meier: Als Kassenwart fürs Lunatic Festival hätte er damals so gern etwas für Adrions Initiative abgezwackt. Die Alternative war besser: den Besuchern die Pfandbecher abschwatzen (Foto: Robin Hinsch)

2014 kommt die Hausbank wieder zum Einsatz: Viva con Agua gründet Goldeimer, ein Unternehmen, das ein denkbar profanes Produkt herstellt – Komposttoiletten. Alles, was sie auffangen, wird in Humus verwandelt. Es ist ein Konzept, das man sich in der Dritten Welt abgeguckt hat, um ein verwandtes Drittweltproblem zu lösen.

Der Toilettenmangel ist dort ein enormes Gesundheitsrisiko, auf das die Goldeimer-Macher am World Toilet Day mit der Kunstinstallation „Open Defecation“ auf der Reeperbahn hinweisen: Rund um die Uhr sitzen fünf von ihnen mit runtergelassener Hose in durchsichtigen Plexiglas-Goldeimern, um zu zeigen, „dass es verdammt beschissen ist, beim Scheißen beobachtet zu werden“, wie es Goldeimer-Initiator Malte Schremmer damals umschreibt. Auf Festivals sind die sauberen, stylishen Goldeimer jedenfalls der Renner. Man zahlt zwei Euro pro Klogang oder eine Flatrate für die Dauer des Festivals. Die Flatrate ist sehr begehrt, vor allem bei Frauen.

Seit Februar verkauft Viva con Agua passend dazu eigenes bedrucktes Klopapier. Eigentlich nur ein Experiment in Hamburg, aber so erfolgreich, dass es das Papier ab September bundesweit geben soll. Der Preis entspricht dem von Premiumpapier, ein Teil der Einnahmen wird gespendet. Die Strategie skizziert Adrion in seiner Bachelorarbeit, Titel: „Über den Key Success Faktor beim Markenlaunch von Goldeimer Klopapier. Wie man aus einem Low Involvement Produkt ein High Involvement Produkt macht.“ Von Konsumkritik diesmal keine Spur. Das Papier wird von Anfang an bejubelt, die Klos sowieso.

Dass Viva con Agua auf dem nächsten Level unterwegs ist, wird auch durch Personalien wie die von Anna Kuhn deutlich. Fast alle im bezahlten Hauptamt haben viele Jahre als Freiwillige hinter sich. Anna Kuhn nicht.

Sie ist 28, sie hat Marketing studiert und war insgesamt fünf Jahre dort, wo jeder Marketingstudent sich hinwünscht: bei Red Bull. Vor ein paar Monaten wechselte sie zu Viva con Agua. Sie habe noch etwas Sinnstiftendes machen wollen. Ihre Aufgabe: Viva con Agua noch mehr als Lifestyle etablieren.

Auf der Millerntor Gallery läuft sie unermüdlich mit dem Kunstkatalog herum, versucht, Werke an den Mann zu bringen. Viva con Agua als Lifestyle hat sie schon integriert: Zottelhaare, Kapuzenpullover und sehr viel Lächeln und Umarmen. Dafür scheut sie sich nicht, etwa die sakrosankte Spendentonne infrage zu stellen. „Ich glaube, das könnte bald stagnieren“, sagt sie. Zu viele Nachahmer und auch ein bisschen oll. Auf Festivals müsse man neue Wege probieren.

Aber Kuhn kann nicht so lospreschen, wie sie es gewohnt war, vieles funktioniert ganz anders als bei Red Bull. „Man braucht viel mehr Fingerspitzengefühl“, räumt sie ein. Die meisten Leute machen ihre Arbeit schließlich freiwillig und nebenbei. Da kann man schlecht mit Deadlines drohen. Ein Ziel von Kuhn immerhin ist gesetzt: verstärkt Musiker ins Boot holen. „Wenn eine Band am Ende des Konzerts erzählt, was hinter VCA steckt, geben die Leute nicht nur mehr Pfand ab, sie behalten das Projekt auch eher in Erinnerung.“

Kollektiv statt Starpower

Vieles ist weit weniger zufällig, als es aussieht, die nächsten Schritte und Strukturen sind gut geplant. Einer davon ist: ohne Benny Adrion auskommen. Erstens, weil er nicht der Karlheinz Böhm von St. Pauli werden will, dessen Stiftung nur mit seinem Gesicht funktioniert. Und zweitens, damit Viva con Agua endlich überall als das wahrgenommen wird, was es schon immer war: ein Kollektiv.

Intern klappt das schon ganz gut. Bei Treffen außerhalb von Hamburg heißt es schon mal: „Benny, magst du dich mal vorstellen? Manche kennen dich vielleicht gar nicht.“ Eine Unterstützerin aus Lüneburg sagt: „Wir orientieren uns eigentlich eher an der lokalen Crew.“ Klar kenne sie Adrion, aber für ihre Arbeit spiele er keine große Rolle. Projekt Überflüssigwerdung läuft.

Adrion will bei Viva con Agua in Zukunft lieber auf einer übergeordneten Ebene aktiv sein und neue Dinge anstoßen. Die Internationalisierung zum Beispiel. In Uganda, Äthiopien, Nepal, irgendwann vielleicht auch Indien. „Wir wollen nicht immer einfach nur Geld in diese Länder geben“, sagt Adrion. Die Leute sollen es selbst einsammeln, die Hamburger ihnen helfen, vor Ort Konzerte und Festivals zu organisieren und Künstler miteinander zu vernetzen. Den Thrill des Alltagsgeschäfts braucht er nicht mehr. „Ich will meinen Ruhepuls eigentlich gar nicht mehr verlassen“, sagt er. Jetzt dann doch eher wieder Zen-Meister als CEO.

Der Artikel stammt aus der aktuellen Business Punk. Unsere neue Ausgabe erscheint 6. Oktober!

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