Leadership & Karriere Adidas-Story: Wie die Traditionsmarke wieder sexy wurde

Adidas-Story: Wie die Traditionsmarke wieder sexy wurde

Und genau das war das Dilemma von Adidas: Dass die wenigen coolen Modelle Glücksgriffe gewesen waren, die man später anständig verwaltete. Und das in Zeiten, in denen Popproduzenten jedes Sample als kalkuliere Referenz einsetzen und in Hollywood sorgsam nach und nach das ganze Marvel-Universum zu immer neuen Filmen ausgewalzt wird.

Während man andernorts also längst begriffen hatte, wie sich aus den permanent nach neuen Impulsen lechzenden Sneakerheads, aus ihrem Bedürfnis nach der Fortschreibung von Geschichten Kasse machen ließ, wirkte Adidas wie ein durch die weite Welt der Popkultur wankender, blinder Riese. Wie aber entwickelt man Coolness am Reißbrett? Wie setzt man verlässlich Trends und weidet sie anschließend aus? Nicht für ein paar Tausend Hipster weltweit, sondern in Konzernmaßstäben? Davon hatte man in Herzogenaurach keinen wirklichen Schimmer.

Die künstliche Verknappung

Zweite Station der Suche: Torben Schumacher, offizieller Titel: General Manager Originals & Style. Ein zwei Meter großer Schlacks, der einen schwarzen Sweater von Y-3 trägt, schwarze Chinos und cremeweiße Yeezy 500 Blush, die zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht auf dem Markt sind. Der 40-Jährige ist das perfekte Testimonial für seinen eigenen Job: sportlich, aber auch lässig. Wenn er Schuhe designen lässt, die er selbst für begehrenswert hält, ist die Firma auf einem guten Weg.

Torben Schumacher: Der General Manager Originals& Style ist bei Adidas dafür verantworlich, die Trends von Morgen mit der historischen DNS von Adidas zusammenzubringen. „Wir haben aber auch den Anspruch, moderne Lifestylethemen zu spielen“. Läuft. Foto: Fritz Beck

Dass sie es ist, daran hatte ein bestimmter Schuh erheblichen Anteil. An ihm hat Adidas viel darüber gelernt, wie man aus einem Longseller wieder einen Bestseller macht – und der Coolnessformel ein gutes Stück näher kommt. Die Urversion dieses Klassikers wird im Archiv aufbewahrt: ein weißer Tennisschuh mit grünem Fersenteil. „Adidas Haillet“ steht auf dessen Lasche – darunter ein Kopf und eine Unterschrift. Der Schuh, der zur Ikone wurde, kam 1965 auf den Markt. Sechs Jahre lang wurde er unter dem Namen des französischen Tennisprofis Robert Haillet verkauft, bis der sich 1971 aus dem Profitennis zurückzog und der Schuh nach dem damaligen amerikanischen Weltranglistenersten benannt wurde: Stan Smith. 2011 ließ Adidas den Schuh mehr oder minder komplett vom Markt verschwinden. Eine wohlkalkulierte Entscheidung. Adidas wollte nicht nur durch Mangel die Begehrlichkeit hochdrehen, sondern auch den Produktionsprozess des Schuhs von Grund auf erneuern.

Als der Stan Smith 2013 während der Fashion Weeks in London und Paris sowie der Berlin Art Week wieder in die Läden kam, war die Stückzahl erst extrem limitiert. Dann kamen die Variationen: Stan Smith im Design des Haute-Couture-Labels Vetements, Stan Smith in Dunkelblau, Stan Smith von Raf Simons, Stan Smith mit der Sohle des Laufschuhs Boost, Stan Smith aus atmungsaktivem Stoff, Stan Smith mit brauner Krepp- oder klobiger, weißer Sohle, Stan Smith mit Swarovski-Steinen, Stan Smith, die vom Skateboardlabel Supreme handbemalt wurden, Auflage: zehn Stück. Stan Smith für jeden Anlass, jedes Budget, jeden Trend. Schön, wenn man das mit einem Modell hinbekommen hat. Nur, wie reproduziert man diesen Trick?

Die Trends von morgen

In Torben Schumachers Büro sind an einer Wand etwa hüfthoch unveröffentlichte Modelle und Prototypen aufgebaut, unter anderem ein Schuh, der bis in die Details und die Art, wie das Logo angebracht ist, sehr stark an den Reebok Classic erinnert. Er soll ein Nachfolger des Adidas Rascal White sein, der selbst schon extrem wie ein Reebok-Classic-Schuh aussieht. Wie alle Modelle auf Schumachers Schreibtisch kommt er Ende Juni auf den Markt. Dort stehen außerdem: ein Adidas Yung-1 Hi-Res Orange, ein ziemlich adipöser, knallorangener Schuh. Weiter ein Sneaker namens Kamanda, der von oben sofort wie ein Wildleder-Kickstiefel aus den 80ern aussieht und dessen Sohle die aufgeraute, noppige Struktur eines Samba aufgreift und aufbläht. Dann ein Adidas Crazy BYW PW. Den knallgelb-rot-grünen Basketballschuh hat Pharrell Williams entworfen. Es gab ihn nur in Los Angeles in einer limitierten Edition zu kaufen. Vorlage war eine Adidas-Basketball-Linie aus den 90ern, die damals Nike Air angreifen sollte. Was all diese kommenden Modelle eint: In ihnen stecken Zitate – die Coolness-Zauberformel des Pop, die Adidas endlich für sich zu interpretieren gelernt hat. Und Schumacher weiß, wie weit der Weg bis hierhin war.

Der Urahn: Als der Stan Smith noch Robert Haillet hieß. Foto Fritz Beck

„Wir waren historisch sehr stark mit ikonischen Produkten wie Superstar und Stan Smith, für die wir seit Jahrzehnten bekannt waren“, sagt Schumacher. „Aber wir hatten auch den Anspruch, moderne Lifestylethemen zu spielen. Mit dem ZM Flux 2014 haben wir zum ersten Mal ein modernes Modell auf den Markt gebracht, das den Zeitgeist getroffen und viele Menschen begeistert hat. Und das war für uns der Startpunkt, in dieser Richtung weiterzumachen.“ Was Schumacher so deutlich nicht sagt: Der Epochenwechsel war für Adidas nicht einfach eine Weiterentwicklung, sondern eine komplette Neuerfindung. Denn bis dahin hatte Adidas in Modellen gedacht und diese technisch weiterentwickelt und verbessert. Aber komplett neue Modellreihen, die vom Design, nicht von der Funktionalität her gedacht wurden? Das war Angelegenheit der Modekooperationen und damit aus dem Geist der Firma ausgelagert.

Natürlich unterhielt Adidas auch zuvor schon eigene Designteams: in Amsterdam, in Portland, in Tokio, vor allem aber in Herzogenaurach. Alles, also: fast alles okaye Städte. Aber insgesamt immer noch sehr Lahm. Adidas musste näher ran an die Coolness. „Wir haben heute große Teams in allen wichtigen Städten der Welt, New York, Schanghai, L.A. oder Tokio“, sagt Schumacher. „Wir können dadurch auch Konsumenten in den Kulturen diesen Städten anzapfen und herausfinden, was da gerade passiert und was gerade relevant ist – oder was vielleicht relevant werden könnte.“

Strategie und Glück

Und trotzdem ging Adidas weiter dorthin, wo es immer erfolgreich gewesen war: ins Archiv, erzählt Schumacher. Aber irgendwann war da nichts mehr. Kein Klassiker, den man neu auflegen oder, wenn es sein musste, mithilfe teurer Designer aufpimpen konnte. Das alte System kam an ein Ende. Schumacher und seine Leute begriffen: „Das Archiv darf nicht ein Museum werden, aus dem man Modelle rauspickt und sauber in den Markt bringt, eins zu eins. Das war ein Prozess irgendwann in den letzten Jahren, das Archiv nicht nur als Museum, sondern eher als Werkzeugkasten oder als Inspiration zu nutzen.“ Zur neuen Strategie kam Glück: Der Zeitgeist verlangte nach alltagstauglichen Laufschuhen mit durchlässigen Stoffen und dünnen Sohlen. Anders als etwa im Bereich Basketball hatte Adidas da ein Erbe im Archiv, mit dem sich arbeiten ließ. Nur, dass man sich diesmal nicht mit Remakes zufriedengab, sondern aus Versatzstücken der Vergangenheit einen Schuh der Gegenwart zusammenbaute.

Ein Raumschiff namens Laces: Das Gebäudeder Kreativen sieht nicht nach Franken aus. Foto Fritz Beck

Am 12. Dezember 2015 stellte Adidas den NMD vor: einen superleichten Laufschuh, der farblich und im Aufbau der Sohle an Marathonschuhe wie den Boston Super und Micropacer von 1984 erinnerte. Der NMD wurde sofort zu einem unfassbaren Erfolg. Im Berliner Sneakerladen Overkill waren sämtliche Farbvarianten ständig ausverkauft, in London warteten über 150 Käufer vor dem superhippen Turnschuhladen Size? auf die Modelle in Gold und Gelb. Auch im Bostoner Sneaker-In-Shop Concepts war der NMD ständig ausverkauft. Der Proof of Concept hatte funktioniert und Adidas endlich eine Ahnung, wie man Coolness produziert, wie man Trends aufspürt, die richtigen Leute an Bord holt und am Rechner den perfekten Schuh hübsch designt. Mit diesem Modell bezahlbare Schuhe zu machen? Eine ganz andere Geschichte.

Zwei Stockwerke über Schumacher hat James Carnes sein Büro. Dritte Station der Suche. Der 44-Jährige ist ebenfalls komplett in Schwarz gekleidet, trägt schwarze Adidas Ultraboost mit weißer Sohle, ein durchtrainierter, kompakter Kerl. Auch hier stehen ein paar Turnschuhe herum, vor allem hängen mehrere Whiteboards an den Wänden, auf denen Carnes, Vice President of Strategy Creation von Adidas, die aktuelle Strategie skizziert hat: Convenience, Value, Experience steht in einem Kuchendiagramm. Auf einem anderen Board ist die Modellexpansion bis zur Sommersaison 2020 zu sehen und wie neue Verbundstoffe in neuen Modellen eingesetzt werden könnten.

Seite 2 / 3
Vorherige Seite Nächste Seite

Das könnte dich auch interessieren

FDP Wirtschaftspapier: Lindner sieht SPD in der Pflicht – Ampel Krise spitzt sich zu Leadership & Karriere
FDP Wirtschaftspapier: Lindner sieht SPD in der Pflicht – Ampel Krise spitzt sich zu
Will arbeiten, aber bewirbt sich nicht – wie sich die stille Reserve am Arbeitsmarkt heben lässt Leadership & Karriere
Will arbeiten, aber bewirbt sich nicht – wie sich die stille Reserve am Arbeitsmarkt heben lässt
Zillenials im Joballtag: Die Suche nach dem richtigen Platz Leadership & Karriere
Zillenials im Joballtag: Die Suche nach dem richtigen Platz
Führung im Wandel: Zwischen digitaler Revolution und Vertrauensverlust Leadership & Karriere
Führung im Wandel: Zwischen digitaler Revolution und Vertrauensverlust
Warum Jerome Powell einen Tag Präsident sein darf – und Trump ihn nach Wahlsieg feuern würde Leadership & Karriere
Warum Jerome Powell einen Tag Präsident sein darf – und Trump ihn nach Wahlsieg feuern würde