Life & Style Tyron Ricketts: Ein-Mann-Soko gegen Rassismus

Tyron Ricketts: Ein-Mann-Soko gegen Rassismus

Im deutschen TV gibt es zu wenig Diversität. Darum will Schauspieler Tyron Ricketts mit seiner Produktionsfirma Panthertainment für mehr Inhalte mit People of Color sorgen.

Eigentlich dachte Tyron Ricketts, er hätte es geschafft. Nach unzähligen Klischeerollen hoffte er, durch die drei Jahre als Kommissar bei „Soko Leipzig“ endlich bewiesen zu haben, dass man als schwarzer Schauspieler nicht nur den Drogendealer, sondern auch einen deutschen Otto Normalbürger spielen kann. Eine nachvollziehbare Annahme, denn „Soko“ dürfte die wohl deutscheste aller deutschen Serien sein: ZDF, beste Sendezeit, Dialoge aus der Drehbuchschule.

Doch Ricketts wurde enttäuscht. Nach seinem Ausstieg bei dem Abendkrimi, bei dem er von 2006 bis 2009 mitwirkte, wurden ihm wieder nur Klischeerollen angeboten: der afrikanische Beachboy, der Cop aus New York oder der mit starkem Akzent sprechende Vater eines deutschen Fußballnationalspielers. Ricketts war frustriert: „Ich bin in Österreich zur Welt gekommen, ich habe in Deutschland Abitur gemacht und studiert. Warum muss ich mit Akzent sprechen? Warum muss ich einen Ausländer spielen?“ Die Lösung lag für ihn darin, dass er 2018 beschloss, die Seiten zu wechseln und die Sache selbst in die Hand zu nehmen – als Produzent, der für mehr Diversität in Film und Fernsehen sorgt.

Aber kurze Rückblende: 1994, aus dem Faxgerät kroch damals ein Schreiben, auf dem das Logo des Musiksenders MTV prangte. Es war die Rückmeldung auf Ricketts’ Teilnahme an einem Moderatorencasting in London. „If there is a job available, you would be the first person to get it“, stand da. In diesem Moment wusste der damals 21-jährige Designstudent aus Köln, dass er sein Ticket für ein anderes Leben in den Händen hielt. Da dieses vage Versprechen Ricketts’ jugendlichen Ehrgeiz aber nur halb befriedigte, schnappte er sich den Schrieb, ging damit zum deutschen MTV-Pendant Viva – und wurde wenig später Moderator der Hip-Hop-Sendung „Word Cup“. Genau sein Ding, denn Hip-Hop war seine Welt. Eine Szene, in der er sich als schwarzer Deutscher mit jamaikanischen Wurzeln aufgehoben fühlte. „Als kleiner Junge gab es für mich keine Vorbilder im Fernsehen“, sagt Ricketts. „Aber als ich zwölf war, kam Rap-Musik auf. Da konnte ich mich plötzlich mit jemandem identifizieren.“

Hängen mit Jay-Z

Für „Word Cup“ flog Ricketts um die halbe Welt und traf unzählige Stars aus dem Rap-Zirkus, von Lauryn Hill bis Jay-Z. Parallel gründete er die Produktionsfirma Panthertainment und die erste deutsche Agentur für schwarze Models und Schauspieler. Zusätzlich landete er mit seiner Band Mellowbag einen Major-Plattenvertrag und drehte 1995 seinen ersten Film als Schauspieler. Nach ein paar Jahren merkte Ricketts aber, dass er so eigentlich gar nicht leben wollte. Er verbrachte viel zu viel Zeit hinter dem Schreibtisch, immer weniger konnte er seine eigenen kreativen Ideen umsetzen. Also legte er Panthertainment 2003 still, zog nach Berlin und konzentrierte sich auf die Schauspielerei. Bis auf ein paar einzelne Musikprojekte, etwa Ende der Nullerjahre an der Seite von Xavier Naidoo und Samy Deluxe beim afrodeutschen Kollektiv Brothers Keepers, blieb das bis heute sein Hauptjob.

Inzwischen ist Ricketts 46 Jahre alt und hat in über 60 Filmen mitgewirkt. „In vielleicht fünf bin ich ein normaler Mensch“, sagt er. Was Ricketts einfach so dahinsagt, macht erst deutlich, wie gravierend die Zustände tatsächlich sind. Die Bilanz ist betrübend. „Oft hatte ich vor Enttäuschung und Wut, dass sich nichts ändert, wirklich Tränen in den Augen.“ Dass die Medien in ihren Darstellungen die gesellschaftliche Realität verzerren – immerhin hat inzwischen jeder vierte Deutsche Migrationshintergrund –, ist aber nicht nur ein persönliches Problem von Schauspielern, die sich diskriminiert fühlen. Es ist ein Problem aller Menschen mit Migrationshintergrund, aller People of Color. „Es verhindert, dass wir in der Mehrheitsgesellschaft als Teil des Ganzen gesehen werden“, sagt Ricketts. „Denn Medien schaffen Bilder und verorten nun mal Leute. Und zu 80 Prozent werden wir außerhalb verortet.“ Nicht als dazugehörig. Dagegen will Ricketts nun vorgehen und hat letzten Sommer seine alte Produk-tionsfirma Panthertainment wiederbelebt, um gezielt Bewegtbilder zu schaffen, die People of Color als selbstverständlichen Teil der Gesellschaft zeigen.

Dass er ausgerechnet jetzt damit startet, ist kein Zufall, das Timing ist klug gewählt. Denn in einer Zeit, in der Streamingplattformen und Video-on-Demand dafür sorgen, dass Filme und Serien um die halbe Welt gehen, gibt es einen Hebel, der Ricketts’ Anliegen Gewicht verleiht: die wirtschaftliche Notwendigkeit. „Die Ansprüche, wie man Geschichten erzählt, haben sich verändert“, sagt Ricketts. „Was das deutsche Fernsehen bisher gemacht hat, funktioniert auf dem internationalen Markt nicht. Dazu gehört auch, dass nicht alle Charaktere weiß sein können und dass nicht jeder, der nicht biodeutsch aussieht, automatisch als Ausländer gilt.“

Da es durch Netflix, Amazon und Co. immer mehr internationale Angebote gibt, die auch inhaltlich zeitgemäßer sind, geraten die deutschen Sender und Produktionsfirmen zunehmend unter Druck. Ricketts ist sich sicher: „Wenn die deutsche Film- und Fernsehbranche es nicht innerhalb der nächsten zwei Jahre hinbekommt, dass Diversität eine größere Rolle spielt, schafft sie sich selbst ab.“ Diese bevorstehende Krise wittert er als seine Chance, endlich etwas bewegen zu können.

Das erste große Projekt, das Panthertainment ab 2020 zusammen mit der großen Potsdamer Produktionsfirma Ufa umsetzt, ist die Serie „Ein Sachse“. Basierend auf einer wahren Geschichte, geht es um den ersten schwarzen Polizisten Ostdeutschlands. Grundsätzlich will Ricketts aber nicht nur Stoffe entwickeln, bei denen People of Color als Protagonisten im Zentrum der Handlung stehen. „Das kann genauso eine Geschichte sein, wo es eine gemischte Familie gibt, was aber gar nicht explizit thematisiert wird“, sagt Ricketts. „Es geht uns um Diversität als Normalität.“ Darum will er mit Panthertainment perspektivisch auch andere soziale Gruppen stärker in Filme und Serien integrieren, nicht nur People of Color.

Durch sein Engagement wurde Ricketts im vergangenen Jahr eher zufällig eine Art -Diversitäts-Consultant für Film und Politik. Er betreibt Lobbyarbeit, berät Sendeanstalten sowie freie Autoren und führt Gespräche mit Politikern, damit beispielsweise Filmförderung künftig an Diversitätskriterien gebunden wird – wie das etwa in Großbritannien schon der Fall ist. Ohnehin glaubt Ricketts mittlerweile, in beratender Funktion viel mehr Impact schaffen zu können als mit ein bis zwei Eigenproduktionen im Jahr. „Um unsere Agenda umzusetzen, sind wir viel effektiver, wenn wir als Matchmaker zu Auftraggebern fungieren und durch unsere Kontakte und Expertise dabei helfen, dass gute Geschichten produziert werden.“ Darum will er sein vierköpfiges Team nur behutsam erweitern. Sicher, mit einer kleinen, flexiblen Kreativeinheit kann man heutzutage viel mehr bewegen als mit einem riesigen Apparat am Bein.

„Vor 25 Jahren tauchte mit Hip-Hop eine Musikbewegung auf, die Menschen eine Stimme verlieh, die vorher keine hatten“

Für Ricketts bedeutet der Schritt, wieder als Produzent zu arbeiten: weniger Rampenlicht, mehr Schreibtisch und Strippen ziehen. Genau das Gegenteil von dem, was er wollte, als er vor 15 Jahren seine Firma zugunsten der Schauspielerei stilllegte. Aber nun stellt Ricketts sich eben in den Dienst der größeren Sache.

Denn warum sollte im Film nicht gelingen, was in der Musik geklappt hat? „Vor 25 Jahren tauchte mit Hip-Hop eine Musikbewegung auf, die Menschen eine Stimme verlieh, die vorher keine hatten“, sagt Ricketts. „Durch die Digitalisierung wiederholt sich das. Jetzt bekommen wir auch in der Filmbranche eine Stimme.“

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