Life & Style Wie man sich fühlt, wenn man nach 57 Tagen auf Skiern den Südpol erreicht

Wie man sich fühlt, wenn man nach 57 Tagen auf Skiern den Südpol erreicht

In klirrender Kälte lief Anja Blacha zwei Monate lang durch die Antarktis – mutterseelenallein. Warum? Und wie bereitet man sich auf so etwas vor?

Business Punk: Frau Blacha, Sie haben kürzlich in der Antarktis ganz alleine 1400 Kilometer auf Skiern zurückgelegt, bis zum Südpol. Was hat Sie zu dieser Extremexpedition bewogen?

Anja Blacha: 2017 war ich das erste Mal in der Antarktis und habe den Mount Vinson bestiegen, das hat mir unglaublich gut gefallen. Ende 2018 merkte ich, dass ich gern mal etwas Neues machen würde, und da kam mir die Idee zu einer Polarexpedition. Die ausgewählte Route ist landschaftlich sehr spannend, denn man hat viele unterschiedliche Etappen, vom Schelfeis über die Berge durch Schneefelder, da ist super viel Abwechslung dabei.

Hat das vorher schon mal jemand gemacht?

Es gibt Leute, die schon mal auf dieser Route unterwegs waren. Die letzten Expeditionen fanden 2017, 2015 und 2009 statt – daran erkennt man, wie selten das passiert. Entsprechend wenig ist die Route dokumentiert, und es gibt nur sehr, sehr wenig Kartenmaterial. Dadurch hatte ich die Möglichkeit, dieses Explorationsgefühl auszuleben. Mit einer Logistikorganisation hatte ich mir auf Basis der Erfahrungen vergangener Expeditionen eine gewisse Anzahl von Wegpunkten zusammengestellt, das war aber nur eine Groborientierung. Wenn ich durch einen Gebirgszug musste, musste ich vor Ort selbst schauen, wie ich da durchkomme. Das hat mich gereizt und fasziniert.

Anja Blacha: Obwohl die Bielefelderin erst vor sieben Jahren mit dem Bergsteigen anfing, hält sie mehrere Rekorde. Aber: Alles nur ein Hobby. Eigentlich arbeitet die 29-Jährige in der Schweiz bei der Swisscom. (Foto: Jung von Matt/SPORTS, privat)

Sie halten bereits Bergsteigerrekorde. War dies die bislang größte Herausforderung?

Es war auf jeden Fall die intensivste Expedition, sowohl von der Vorbereitung als auch von der Durchführung. Der größte Unterschied zu so etwas wie der Besteigung des K2 ist, dass man wenig Risiken hat, die man nicht antizipieren kann. In den Bergen ist man dagegen immer anderen unkontrollierbaren Dingen ausgesetzt: Lawinengefahr, Eis- oder Steinschlag. Diesmal gab es zwar auch Gefahren, aber damit hatte ich gerechnet, sodass klar war: Ich muss wissen, wie ich mein Zelt im Sturm sichere, wie ich trotz schlechter Sicht durchkomme und wie ich mit Gletscherspalten umgehe.

Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?

Ich habe ein Jahr vorher angefangen zu recherchieren, dann habe ich mit vielen Leuten gesprochen, die in dem Metier Erfahrung haben, und anschließend einen Anforderungskatalog zusammengestellt, was ich alles können muss, um das Projekt zu bewältigen. Die erste Praxiserfahrung kam Ende 2018, da stand ich das allererste Mal mit einem Schlitten auf Crosscountry-Skiern und habe von einem Guide die essenziellen Basics gelernt: mit Kompass und GPS zu navigieren, wie ich den Expeditionskocher repariere, wenn er kaputtgeht, und wie ich eben das Zelt im Sturm aufbaue. Danach habe ich bei einem vierwöchigen Trainingstrip in Grönland alles geübt, bis es blind saß.

Wie liefen Ihre Tage in der Antarktis ab?

Am Anfang waren meine Tage etwas kürzer, da bin ich acht bis neun Stunden Ski gefahren, weil sich der Körper natürlich erst mal an alles gewöhnen muss. Später waren es zehn bis zwölf Stunden, jeweils zuzüglich Pausen. Eine Pause habe ich alle 60 bis 90 Minuten eingelegt, da bin ich kurz stehen geblieben, habe vielleicht die Skier abgeschnallt, mich auf den Schlitten gesetzt und ein bisschen was gegessen und getrunken. Am Ende des Tages hieß es: Zelt aufbauen und Camp einrichten, Schnee zu Wasser schmelzen und Essen kochen. Außerdem stand abends mein täglicher Sicherheits-Call mit dem Satellitentelefon an, wo ich meine Koordinaten durchgegeben habe, damit im Notfall meine letzte Camp-Position bekannt ist.

Vom Camp am Union Glacier aus flog Blacha zum Startpunkt ihrer Expedition. (Foto: Jung von Matt/SPORTS, privat)

Wie ging es Ihnen, als Sie nach 57 Tagen und knapp 19 Stunden am Südpol ankamen?

Überraschend gut, was vermutlich daran lag, dass sich der Körper an die Dauerbelastung gewöhnt hatte. Und zum anderen war der letzte Abschnitt, die letzten beiden Breitengrade, unendlich viel einfacher als der Rest der Strecke, das war fast wie Erholung. Natürlich habe ich mich tierisch darauf gefreut, mich einfach mal auszuruhen, aber ich hätte auch noch weitergehen können.

Wie kamen Sie mit der Kälte klar, vor allem nachts?

Im Zelt war es gar nicht kalt. Da die Sonne nie untergeht, hat man quasi den Gewächshauseffekt, und es wird richtig warm. Das klappt natürlich nicht, wenn man Whiteout-Wetter hat und es stark bewölkt ist. Aber dafür hat man einen Expeditionskoffer dabei, mit dem man auch im Zelt kochen und sich dadurch aufwärmen kann.

Und wie haben Sie die Einsamkeit weggesteckt?

Ich bin vom Naturell her jemand, der gut Zeit alleine verbringen kann. Gleich am Anfang hatte ich aber lang anhaltend schlechtes Wetter, und durch die Whiteouts konnte ich mein Solarpanel nicht nutzen, sodass ich meine Elektronik nicht laden und keine Musik hören konnte. Da habe ich einfach angefangen, laut zu singen. Aber das habe ich nicht oft gemacht, unterwegs fehlt einem ja auch der Atem dafür. Dann geht man einfach viele Sachen im Kopf durch. Die meiste Zeit habe ich gerechnet, wie viele Stundenkilometer ich habe, wie viele Stunden ich noch laufen muss und wie viele Tage mir noch bleiben. Also man kann sich den halben Tag damit beschäftigen, auszurechnen, wie man gerade performt. Die andere Hälfte der Zeit habe ich gedankliche Selbstgespräche geführt.

Ein Jahr im Voraus begann Blacha mit den Vorbereitungen. Unterläuft ihr auf der Strecke ein Fehler, kann das tödliche Folgen haben. (Foto: Jung von Matt/SPORTS, privat)

Gab es Momente, in denen Sie Angst oder Zweifel an der Expedition hatten?

Die meisten Sorgen hatte ich direkt vor dem Start. Ich hatte mir zwar sehr viel Mühe gegeben, mich optimal vorzubereiten, aber ob alles passt, weiß man erst, wenn es losgeht. Ich war unglaublich froh, dass die ersten 24 Stunden wahnsinnig gut liefen, das hat mir total viel Selbstvertrauen gegeben. Dennoch gab es danach immer mal wieder kleine Panikmomente, zum Beispiel als die erste Streichholzschachtel leer war. Man weiß genau, man hat genug Streichhölzer eingepackt, aber denkt trotzdem: Was ist, wenn doch nicht? Schließlich kann die Expedition schon daran scheitern, weil ich dann den Kocher nicht anmachen kann und dadurch auch kein Wasser habe. 

Je länger man aber unterwegs ist, desto mehr weiß man, dass alles gut ist, und je mehr Schwierigkeiten man überwunden hat, desto sicherer ist man, auch die nächste meistern zu können. Das gibt einem zunehmend Vertrauen.

Was, wenn Ihnen etwas zugestoßen wäre?

Die Vereinbarung war, dass ich mich alle 24 Stunden melde und dass eine Rettung angestoßen wird, wenn ich 48 Stunden lang nichts von mir hören lasse. Das ist natürlich eine verdammt lange Zeit, wenn man zum Beispiel in eine Gletscherspalte gefallen ist oder sich im Zelt mit dem Expeditionskoffer vergiftet hat. Dann sind 48 Stunden in der Regel zu spät. Darum muss man präventiv vorgehen, um gar nicht erst in eine Gefahrensituation zu kommen.

Woher nehmen Sie den Mut und die Zuversicht, dass schon alles glattgehen wird?

Das Wichtigste ist, dass man die Kontrolle und den Überblick hat, sonst wird es schwierig. Aber es gab keinen Moment, wo ich dachte, ich beherrsche die Situation nicht. Selbst am Anfang, als dieser Sturm war, habe ich beschlossen, trotzdem weiterzulaufen, weil ich wusste, dass ich mein Zelt auch bei Böen von 100 Stundenkilometern aufbauen kann. Obwohl klar war: Wenn das Zelt im Sturm zerreißt und ich es nicht mehr reparieren kann oder es mir komplett wegfliegt, dann ist es vorbei. Aber weil ich wusste, ich kann das blind, hat es mir keine Angst gemacht.

Blacha zog Zelt, Schlafsack, Elektronik, Notfallequipment und Essensvorräte für 66 Tage hinter sich her. An die permanente Darmmassage durch den Gurt musste sich ihr Körper erst gewöhnen. (Foto: Jung von Matt/SPORTS, privat)

Ihre Expedition stand unter dem Motto „Not Bad for a Girl“, da Sie zusammen mit Ihrem Sponsor Intersport andere Frauen ermutigen möchten, mehr an sich zu glauben, und auf Stereotype im Sport aufmerksam machen wollen. Wie sind da Ihre Erfahrungen?

Als ich 2017 zum Mount Everest wollte und mit den Teamkollegen im Basislager ankam, wurde ich als Einzige immer wieder gefragt: „Und, wie weit planst du zu gehen?“ – „Na, bis zum Gipfel.“ Männer werden das nie gefragt. Früher habe ich das noch häufiger erlebt, aber ich stelle fest, je anspruchsvoller das Terrain, desto weniger kommen solche Vorurteile, weil viele wissen: Wer hierhin kommt, der hat schon seine Erfahrung, seine Berechtigung.

Wie ist die Reaktion der Männer, wenn Sie sagen, dass Sie auch nach ganz oben wollen?

Es gibt drei Arten von Reaktionen. Entweder: „Cool, viel Erfolg!“ Oder: „Wenn die das da hoch schafft, muss ich es auf jeden Fall auch schaffen.“ Da wird der sportliche Ehrgeiz geweckt. Oder aber: „Wenn jemand wie sie das schafft, dann kann es ja gar nicht so schwierig sein, dann ist das ja gar nichts mehr wert.“ Dieses Entwerten ist schade, weil ich glaube, Frauen haben Fähigkeiten, die Männer nicht haben, die gerade bei solchen Expeditionen wertvoll sind.

Zum Beispiel?

Stichwort Energiemanagement: Männer verlieren auf langen Expeditionen deutlich mehr Gewicht als Frauen. Auch das langfristige Durchhalten ist eine Sache, die Frauen sehr gut liegt. Und das Aufpassen auf sich selbst, also Selfcare. Frauen holen sich seltener Erfrierungen, weil sie früher merken, dass ihre Finger oder Füße kalt werden, und etwas dagegen unternehmen. Männer wollen häufig nicht das Bild des toughen Kerls aufgeben und reagieren darum oft zu spät.

Freunde, die neue Ausgabe von BUSINESS PUNK ist da! Oh yeah! Wir haben uns umgesehen und festgestellt: Mag in der kommenden Rezession der freundliche New-Work-Coach mit seinen Ideen aus dem Meeting gelacht werden, das Green Biz hingegen ist mittlerweile zu weit fortgeschritten, als dass sich Konzerne und Startups erlauben könnten, auch in schweren wirtschaftlichen Zeiten Begriffe wie Sustainability oder Corporate Social Responsibility nicht ernsthaft zu besetzen. JETZT AUSGABE SICHERN!

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