Ablage „Artist in the Box“ – So kommen Künstler*innen durch die Krise

„Artist in the Box“ – So kommen Künstler*innen durch die Krise

Die Corona-Zeit bleibt für Künstler*innen und Selbständige ein zermürbender Kraftakt. Umso spannender und hoffnungsvoller stimmen uns ihre Projekte: Das Kollektiv „Artist in the Box“ versucht mit Solidarität und Zusammenhalt, Kunst sichtbar zu machen. Das Ganze könnte auch ein Modell für die Zeit nach Corona werden. Wir haben mit den Mitbegründerinnen Marie Köhler und Juliane Herrmann gesprochen.

Was ist „Artist in the Box“ ist und wie funktioniert es?

Marie Köhler: „Artist in the Box“ ist eine Plattform für Künstler*innen. 60 Künstler*innen aus dem ganzen Bundesgebiet – darunter viele etablierte Namen – verkaufen über artistinthebox.com Werke aus den Bereichen Fotografie, Grafik, Illustration und bildende Kunst zu moderaten Preisen. Zudem gibt es die Möglichkeit, Künstler*innen individuell zu unterstützen oder eine Unterstützungszahlung an das Kollektiv zu leisten. 30 Prozent der Erträge aus dem Verkauf gehen an die einzelnen Künstler*innen, 20 Prozent werden untereinander verteilt; die übrigen 50 Prozent decken die entstehenden Kosten. Mit den Mitteln aus dem Kollektiv sind außerdem Unterstützungszahlungen an einzelne Künstler*innen in schwierigen finanziellen Lagen geplant. Auf der Rückseite der eigens für die Aktion angefertigten Drucke findet sich ein „Artist in the Box“-Sticker mit handschriftlicher Signatur. Jeder der unlimitierten Drucke wird so zu einem Original – zu einem erschwinglichen Preis. 

Andrea Diefenbach „Wassermelone/Moldova“

Hattet ihr die Idee schon vor Corona oder ist sie aus der Not heraus entstanden?

Marie Köhler: Den Impuls zu diesem Projekt hatte ich am 20. März. An dem Tag sind mir alle Jobs weggebrochen. Ich stand finanziell vor einer scheinbar unüberbrückbaren Problematik und musste sofort handeln. Ich rief beim Arbeitsamt und Sozialamt an, schrieb Briefe an Ministerien und einflussreiche Menschen aus Politik und Kultur. Denn auch meinem gesamten Umfeld brach alles weg. Der Kölner Stadtanzeiger griff meinen Hilferuf auf. Anschließend erreichten mich Hilfsangebote von über 120 Menschen. Alles Fremde. Überwältigt von der Solidarität wollte ich etwas entwickeln, was nicht nur mir durch die Krise hilft, sondern auch anderen Künstler*innen. Ich rief meine Kolleginnen und Freundinnen Juliane Herrmann und Thekla Ehling an, berichtete von meiner Idee und innerhalb von 24 Stunden hatten wir ein Team von sechs Kreativen zusammen. Mit Nina Poppe (Fotografin und Filmemacherin), Stefanie Sieben (Grafikerin und Programmiererin), Andrea Sieben (Betriebswirtin), Juliane Herrmann (Fotografin und Kuratorin) und Thekla Ehling (Fotografin) haben wir diese Idee gemeinsam ausgefeilt, eine GbR gegründet, ein Geschäftskonto eröffnet und uns Rat bei einem Anwalt und einem Steuerberater geholt. Es entstand das Projekt „Artist in the Box“.

Juliane Herrmann: Auch vor Corona haben manche Künstler*innen aus unserer Gruppe schon mal individuell Prints verkauft oder sich an einer größeren Crowdfunding-Kampagne beteiligt. Das Besondere an „Artist in the Box“ ist jedoch die soziale Komponente. Wir treten als ein Verbund von 60 zum Teil sehr unterschiedlichen Künstler*innen auf und unterstützen uns gegenseitig.

Marina Weigl „Hände“

Was genau treibt euch an? 

Juliane Herrmann: Was wäre eine Gesellschaft ohne Kunst? Was wären Museen ohne Bilder? Zeitungen ohne Fotos? Konzerte ohne Musiker*innen? Theater ohne Darsteller*innen? Bücher ohne Texte? Netflix ohne Serien und Filme? Ein Leben ohne Kunst ist nicht vorstellbar.

Marie Köhler: Gerade in schwierigen Zeiten ist Kunst ein wichtiger Anker der Gesellschaft. Deshalb wollen wir mit „Artist in the Box“ einen Beitrag zur Existenzsicherung leisten. Es ist ein Projekt von Künstler*innen für Künstler*innen, das auf die Unterstützung von Menschen hofft, die genauso denken wie wir. 

Christoph Bangert „Hello Camel“

Insgesamt machen 60 Künstler*innen mit, darunter auch recht renommierte Namen. War es schwierig, diese für das Projekt zu gewinnen?

Marie Köhler: Nein, im Gegenteil. Wir haben uns dazu entschieden, dass jeder aus dem Team zehn Künstler*innen vorschlägt. Da wir über gute und teilweise sehr unterschiedliche Netzwerke verfügen, war die Auswahl schnell getroffen. Die meisten Künstler*innen waren total begeistert von unserer Idee und sagten sofort zu.

Lars Kreyßig „Abstract Drawing“

Ihr seid jetzt seit vier Tagen online. Wie läuft es an?

Marie Köhler: Es läuft super. Wir haben von der ersten Minute an Bilder verkauft. Selbst über die Ostertage sind die Verkaufszahlen konstant hoch gewesen. In Zeiten von Corona sind die Feuilletons leider sehr leergefegt, da bekommen wir mit unserem Projekt viel Aufmerksamkeit. Es gibt eine Reihe von interessanten Presseanfragen und wir hoffen, dass man in Zukunft noch mehr von „Artist in the Box“ in der Öffentlichkeit hört. Neben der Webseite sind wir auch auf Instagram und Facebook aktiv. Auf Instagram hatten wir innerhalb von kurzer Zeit ein so großes Follower-Wachstum, dass Instagram unseren jungen Account erst einmal eingefroren hat.

Juliane Herrmann: Wir glauben fest daran, dass die Idee von „Artist in the Box“ sehr großes Potential hat und die Leute in dieser Zeit sehr gern Unterstützung leisten. Wenn man dafür auch noch einen tollen Print zu einem erschwinglichen Preis bekommt, dann ist das eine Win-win-Situation für beide Seiten und kann zu einem echten Erfolgskonzept werden.

Tobias Becker und Astrid Piethan „Krisenskulpturen“

Ist das womöglich auch ein Modell für eine Zeit nach Corona?

Marie Köhler: Das müssen wir abwarten. Momentan kann niemand abschätzen, wann und wie es weitergeht. Und eigentlich ist unser Ziel ja, dass es in Zukunft neue finanzielle Modelle für Künstler*innen gibt, damit das, was jetzt passiert ist, nie wieder passiert. Ein bedingungsloses Grundeinkommen für Kulturschaffende halten wir für unabdingbar. Zudem braucht Kunst einen Raum fern der virtuellen Welt. Den schaffen wir mit „Artist in the Box“ ein Stück weit, denn die Bilder landen am Ende in den Wohnzimmern der Menschen. Kunst lebt vor allem von Sichtbarkeit und davon, einen Zugang zu den Betrachter*innen zu schaffen. So denke ich, dass „Artist in the Box“ durchaus ein Modell für die Zukunft sein kann, jedoch eher als zusätzliches Angebot zu Ausstellungen und Veranstaltungen. Denn Kunst braucht eine Öffentlichkeit, braucht den Austausch, die Interaktion und die Kommunikation zwischen den Betrachter*innen und dem Werk. Und das geht unserer Meinung nach am besten analog.

Juliane Herrmann: Am Anfang habe ich das Projekt primär in Verbindung mit der Corona-Krise gesehen. Nun, da es erfolgreich gelaunched wurde und großen Zuspruch erfährt, beginne ich langsam zu verstehen, welches Potenzial noch in „Artist in the Box“ schlummert. Innerhalb kurzer Zeit haben wir viele Anfragen von weiteren Künstler*innen bekommen, die gerne Teil unseres Kollektivs werden wollen. Vorerst werden wir uns jedoch auf das bestehende Kollektiv konzentrieren und dieses promoten. Es ist aber durchaus vorstellbar, dass wir zu einem späteren Zeitpunkt weitere Künstler*innen aufnehmen und dass sich „Artist in the Box“ zu einer festen Instanz auf dem Online-Printmarkt etabliert. Die Grundlagen dafür wurden mit einer gut durchdachten Webseite inklusive Blog gelegt, und es gibt einige spannende Ansätze, das Projekt auch nach Corona fortzusetzen.

Hier gibt es noch mehr aktuelle Fotoprojekte unserer Zeit? Dann schaut Euch folgende Seite an.

Hayley Austin „Narratives of Desire“

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