Leadership & Karriere Der Weg zum Cash: Wie Patreon Künstler*innen zu gerechterer Belohnung verhilft

Der Weg zum Cash: Wie Patreon Künstler*innen zu gerechterer Belohnung verhilft

Es gibt diese Menschen, die einfach nicht stillsitzen können. Die vor Ideen sprudeln, immer ein Projekt haben, mit unendlicher Hingabe an etwas herumwerkeln, sich völlig in ihrem Tun verlieren. So jemand ist Jack Conte. Verfolgt man das Schaffen des Musikers und Youtubers, entsteht der Eindruck, dass Conte gar nicht anders kann, als permanent irgendetwas zu komponieren, zu shooten, zu posten. Sein Output ist enorm und seine Fangemeinde nicht gerade klein. So weit, so nett.

Aber hier ist die Sache: Conte kennt nur allzu gut den Struggle, als Kreativschaffender angemessen entlohnt zu werden. Nur wie es so ist, wenn man mit der Energie überall hinschießt: Irgendwann kommt man auf eine Lösung. Für Conte bedeutete das, eine Funding-Plattform für Kreative zu gründen: Patreon.

Die Idee dazu kam Conte 2013. Seine Frau, ebenfalls Musikerin, war gerade auf Tour, darum hatte Conte viel Zeit und stürzte sich in den Dreh eines Musikvideos. Und was für eines: „Es ging vollkommen durch mit mir“, sagt Conte. „Das war das Komplizierteste, was ich je gemacht habe.“ Conte entwarf ein Set-up aus Hunderten Knöpfen, Kabeln und Lämpchen, in dem sich Plattformen drehen, die im Boden verschwinden und wieder auftauchen, mittendrin singt ein menschen­ähnlicher Roboter den Songtext, während ein anderer Roboter in Spinnenoptik im Takt tanzt und parallel auf einem Launchpad den Beat vorgibt. Um diesen Irrsinn umzusetzen, verpulverte Conte 10000 Dollar und ging bei zwei Kreditkarten ans Limit.

Mitten im Projekt beschlich ihn aber eine bittere Erkenntnis: Egal was er sich Verrücktes ausdachte, welch Mühe er sich gab und wie viele Leute das Endergebnis feiern werden – niemals spült das Video genug rein, um die Ausgaben zu decken. Selbst mit einer Million Views auf Youtube lägen die Einnahmen durch Werbung bei gerade mal 150 Dollar, sagt Conte. „Ich dachte mir: So kann es nicht weitergehen, es muss doch einen besseren Weg geben.“

Conte tüftelte an einer Idee und holte seinen Studienfreund Sam Yam ins Boot, der innerhalb kurzer Zeit eine Plattform programmierte. Im Mai 2013 war Patreon live. Conte sagt: „Plötzlich nahm ich 5000 Dollar im Monat ein – statt 150.“

Konkret funktioniert Patreon so: Fans schließen ein Abo bei einem*einer Künstler*in – oder im Patreon-Sprech: Creator – ab und zahlen ihm pro veröffentlichtem Projekt – pro Creation – einen Fixbetrag. Im Gegenzug erhalten die Unterstützer*innen – die Patrons – regelmäßige Goodies, etwa Vorab-Releases, persönliche Skype-Sessions oder Einblicke in den Schaffensprozess. Welche Goodies das sind, überlegt sich jeder Creator selbst und schnürt verschiedene Abopakete. Je mehr ein Patron bereit ist zu zahlen, desto mehr Benefits erhält er.

Offen ist die Plattform für jeden mit kreativem Output: Musiker*innen, Videokünstler*innen, Podcaster*innen, Designer*innen, Maler*innen, Illustrator*innen, Gamer*innen, Entwickler*innen, Ingenieur*innen, Autor*innen, Journalist*innen. Aber, das ist der Knackpunkt, wer von der Plattform profitieren will, muss bereits eine größere Reichweite mitbringen. „Wir sind nicht wie Youtube oder Facebook, wir verschaffen den ­Creators keine neuen Fans“, sagt Conte.

Um Videos mit singenden Robotern zu drehen – dafür braucht es Patreon

Patreon ist nicht das einzige Unternehmen, das mit einem Membership-Modell arbeitet. Da wäre zum Beispiel Steady, eine deutsche Plattform, über die journalistische Inhalte finanziert werden können. Oder OnlyFans, ein Netzwerk, um seine Lieblingspornostars zu unterstützen. Aber warum nicht einfach Paypal nutzen, um seiner Lieblingsband regelmäßig ein paar Taler zu spendieren? Conte sagt: „Patreon-Member­ships gehen weit über die reine Bezahlung hinaus. Bei uns geht es darum, eine Beziehung zu seinen Fans aufzubauen.“

Mit diesem Konzept scheint Patreon sehr erfolgreich zu sein. Laut Conte sind heute, sieben Jahre nach Gründung, über 150000 Creators und vier Millionen Patrons auf der Plattform. Das Geschäftsmodell basiert auf Gewinnbeteiligung: Nimmt ein Creator Geld ein, behält Patreon einen gewissen Anteil davon. In der Basisversion sind es fünf Prozent, aber will ein Creator bestimmte Analysetools nutzen oder in sein Patreon-Profil externe Apps einbinden, steigt der Anteil auf acht oder zwölf Prozent.

Bislang hat sich Patreon auf seinen Kernmarkt USA konzentriert, doch nun wird die Plattform groß ausgerollt. „Wir wollen Patreon allen Creators auf der Welt zugänglich zu machen, ganz egal, wo sie leben“, sagt Conte. Erster Markt: Europa. Darum gibt es neben dem Headquarter in San Francisco seit Februar auch ein neues Office in Berlin. Da die Plattform hier aber kaum gängig ist, müssen Conte und sein Team erst mal kräftig die Werbetrommel rühren und Aufklärungsarbeit leisten. Dabei helfen sollen einige bekannte Gesichter. In Deutschland gehören zu den Aushängeschildern Per Meurling, Gründer des Foodblogs „Berlin Food Stories“ und Musikerin Judith Holofernes, die ehemalige Sängerin der Band Wir sind Helden.

„Das ist etwas, worauf ich schon immer gewartet habe“, sagt Holofernes. „Der Gedanke, Crowdfunding als dauerhaftes, begleitendes Konzept zu machen, hat mir total aus der Seele gesprochen. Genau so sollte Kunst funktionieren.“ Holofernes’ Überzeugung hängt stark mit ihrem Frust über die Mechanismen der Kunst- und Kulturbranche zusammen: „Ich habe das Gefühl, dass das Musikbusiness eine Art Rodeo auf Sauriern ist. Alle gucken, wer am längsten oben bleibt, während die Tiere darunter aussterben.“ Wo ist die Innovation? Kaum ein*e Künstler*in habe einen Weg gefunden, das Internet bestmöglich für sich zu nutzen, sagt Holofernes. Es fehlen kluge Konzepte, bei denen es nicht nur um Masse und Likes geht, sondern um Wert und Tiefe.

Letzteres ist Teil des Versprechens von Patreon. Und nach vier Monaten auf der Plattform könnte Holofernes’ Fazit kaum positiver ausfallen: „Das macht so viel Spaß und hat mir eine innerliche Befreiung gebracht, auf die ich schon lange gewartet habe.“ Ihr Fokus habe sich komplett verschoben, inzwischen sei ihre oberste Priorität, Kunst für ihren Inner Circle auf Patreon zu machen. „Für mich ist das eine deutliche Abkehr von der konventionellen Popbusiness-Karriere, hin zu einem beständigeren, regelmäßigeren Künstlerleben“, sagt Holofernes.

JUDITH HOLOFERNES
Seit ihre Band Wir sind Helden 2012 verkündete, auf unbestimmte Zeit zu pausieren, ist Holofernes Solokünstlerin und Autorin. Neuerdings hat sie auch einen Podcast, den sie via Patreon finanzieren kann.

Ein Forum für Foodies

Der Use-Case von Per Meurling ist ein gänzlich anderer. Bekannt wurde Meurling durch sein Blog „Berlin Food Stories“, inzwischen ist er einer der gefragtesten Food-Experten der Stadt. Da ihm seine Hauptbeschäftigung, das Schreiben von Restaurantkritiken, keinerlei Geld einbringt, hat er parallel ein Beratungsunternehmen aufgebaut, gibt kulinarische Stadtführungen, macht Influencer-Kooperationen und tritt als Speaker auf. Lieber aber würde er sich stärker auf sein Blog konzentrieren. Nur wie?

„Ich habe schon lange überlegt, eine Art Premiumdienst anzubieten, weil ich eine hohe Reichweite in Berlin habe und sehr loyale Fans, die sich wirklich auf meine Bewertung verlassen“, sagt Meurling. „Aber ich wusste nie, wie ich das umsetzen sollte. Eine Paywall hätte für meine Art von Content nicht funktioniert.“

Darum bezweifelte er anfangs auch, dass Patreon für sein Blog geeignet ist. Doch Conte holte Meurling an Bord, sie brainstormten gemeinsam, welchen monetarisierbaren Mehrwert man seiner Community liefern könnte. Das Ergebnis: ein exklusives Foodie-Forum. „Es ist verrückt, das Forum geht mega ab“, sagt Meurling „Da sind 50 Leute drin, die wahnsinnig nerdy sind, was dieses Thema angeht, und die reden Tag ein, Tag aus über Essen. Seitenlang tauschen die sich über Schawarma in Neukölln aus.“

Und der Outcome? „Ich muss sagen, ich bin positiv überrascht“, sagt Meurling. „Ich habe in den ersten acht Wochen 60 Patrons an Bord geholt, damit liege ich bei etwa 400 Euro. Das ist nicht viel Geld, aber es kommt viel anderes für mich dabei herum.“ Nämlich der Austausch, der zum Beispiel wertvolle Insidertipps aus der Gastroszene mit sich bringt. Es ist eben das Community-Ding, das sich neben dem finanziellen Support für viele als wahrer Mehrwert von Patreon entpuppt. „Und: Es gibt keine Trolle“, sagt Judith Holofernes. „Das Internet fühlt sich auf Patreon für beide Seiten sehr viel friedlicher und lustiger an.“

Doch ist dieses Konzept nicht etwas arg blumig gedacht? In einem Zeitalter, wo mehr kostenloser Content zur Verfügung steht, als ein Mensch lesen, hören, schauen kann – wie hoch ist da die Bereitschaft der Leute, Kreativschaffenden freiwillig Geld zu zahlen? „Ich glaube, die ist größer, als man denkt“, sagt Holofernes. „Wenn ich nach meinen Konzerten zum Signieren rausgehe, haben schon oft Leute zu mir gesagt: ‚Ich habe überhaupt kein Medium mehr, auf dem ich gekaufte Musik abspielen kann. Wie kann man dir denn anderweitig was zurückgeben?‘“

PER MEURLING
2012 gründete der Schwede das Blog „Berlin Food Stories“, auf dem er Restaurantkritiken schreibt und Rankings erstellt. Davon leben kann er nicht, schließlich will er bei Bewertungen unabhängig bleiben.

Liebe deine Fans

Per Meurling sieht das etwas differenzierter: „Ich glaube, die Bereitschaft der Leute, für Inhalte extra zu zahlen, ist sehr niedrig. Du musst schon etwas sehr Spezifisches, Wertvolles liefern, damit das funktioniert.“ Sicher, man muss sich reizvolle Gegenleistungen einfallen lassen. Und vor allem muss man Lust auf Fan-Pflege haben. Conte sagt: „Die wichtigste Regel, um auf Patreon erfolgreich zu sein, ist simpel: Love your fans and your fans love you back.“ Er erzählt von Creators, die einen Livestream machen, um ihre neuen Patrons zu begrüßen, oder gar Pakete mit handgeschriebenen Memos verschicken. „Es ist ein Commitment“, sagt Holofernes. „Wenn man will, dass es funktioniert, muss man dafür andere Sachen runterfahren oder weglassen.“

Wenn das funktioniert, kann Patreon Künstlern tatsächlich den Lebensunterhalt sichern. „Für viele ist Patreon so eine Art Lebenselixier“, sagt Conte. „Sie können mehr Zeit in ihre Kunst investieren, ihr ­Business skalieren, vielleicht sogar ein Team einstellen und ein Unternehmen aufbauen.“ Die erfolgreichsten Creators sollen über die Plattform mehrere Millionen Dollar pro Jahr einnehmen.

Hinter Patreon steckt allerdings eine größere Vision, als Vlogger*innen die Dschungelvilla auf Bali zu finanzieren. Conte träumt davon, eine neue, digitale Kreativwirtschaft zu etablieren, die Künstler in den Mittelpunkt stellt. Er will eine mediale Welt schaffen, die nicht auf Klicks und Aufmerksamkeitshascherei basiert, sondern auf Qualität. „Wenn die Bezahlung durch User der primäre wirtschaftliche Treiber von Inhalten wird“, sagt Conte, „kann viel mehr tiefgründige, bedeutungsvolle Kunst entstehen.“ Keine schlechte Ansage von einem, der einst bloß seine singenden Roboter finanzieren wollte.


Die neue Ausgabe ist da! Heißt: die perfekte Lektüre für die Tage und Abende daheim. Dieses Mal widmen wir uns dem Thema Karriere: In seltsamen und unübersichtlichen Zeiten hört man auf den Rat der Weisen, und das sind in unserem Fall 50 nachweislich erfolgreiche Menschen, die überraschende, inspirierende und sehr persönliche Tipps für den Weg nach oben haben – von Lindsey Vonn über Frank Thelen zu Sabine Leutheuser-Schnarrenberger, von Tony Hawk über Lea-Sophie Cramer zu Micaela Schäfer. JETZT AUSGABE SICHERN!

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