Innovation & Future Länger, leichter, schneller: Dieser Laufschuh aus Köln will alles anders machen

Länger, leichter, schneller: Dieser Laufschuh aus Köln will alles anders machen

Laufschuhe gibt es wie Sand am Meer. Auch gute, sagen die Gründer von True Motion. Trotzdem haben sie sich dafür entschieden, einen neuen Schuh auf den Markt zu bringen. Ein Gespräch über Schuhe mit den True Motion-Gründern Andre Kriwet und Gert-Peter Brüggemann darüber, wie man etwas Gutes noch besser machen kann.

Gert-Peter Brüggemann hätte eigentlich auch etwas anderes machen können: nichts nämlich. Er war Professor an der Deutschen Sporthochschule in Köln und hat jahrzehntelang zusammen mit Asics, Nike oder Brooks Laufschuhe entwickelt und auf den Markt gebracht. Trotzdem hat er sich 2017 gemeinsam mit Andre Kriwet dazu entschieden, einen neuen Schuh für Läufer*innen auf den Markt zu bringen. Der Grund: Alles, was sie davor gemacht haben, wurde ihren eigenen Erwartungen irgendwie nicht gerecht. Was ist jetzt anders?

Herr Brüggemann, Sie werden auch Laufpapst genannt. Woher kommt dieser Name?

Brüggemann: Um ehrlich zu sein: Das weiß ich nicht. Wahrscheinlich aber, weil ich mich sehr seriös und auch ein bisschen konservativ mit dem Thema Laufen auseinandergesetzt habe. Ich gehe ja der Frage nach, wie die physikalische Umgebung, also der Schuh, genutzt werden kann, um sich positiv – oder natürlich auch negativ – auf das Laufverhalten auszuwirken. Kann ein Schuh wirklich zu Entlastungen beim Laufen führen und können damit dann Beschwerden oder Schäden vermieden werden?

Und?

Brüggemann: Die Antwort ist ganz klar: ja.

Der U-Tech Aion ist der neueste und zweite Schuh aus dem Hause True Motion. Das Zeichen an der Seite soll ein Lächeln darstellen, wie man es beim Laufen hat. Foto: True Motion

Also mussten Sie einen neuen Schuh auf den Markt bringen?

Kriwet: Hier ist die Antwort eigentlich: nein. Bevor wir unsere Marke auf den Markt gebracht haben, wurden in Deutschland 37 Laufschuhmarken verkauft. Eigentlich, sind wir ehrlich, hätte es keine 38. Marke mehr gebraucht. Aber wir wollten etwas anderes.

Was heißt das?

Kriwet: Sowohl Peter als auch ich haben bei vielen verschiedenen Schuhmarken gearbeitet und wir haben sehr viele Schuhe auf den Markt gebracht, die sich weltweit sehr erfolgreich verkauft haben. Aber eine Sache haben wir nicht geschafft: Wir waren nicht zufrieden mit unseren eigenen Ergebnissen. Wir haben es eben nicht geschafft, einen Schuh zu bauen, der das Verletzungsrisiko beim Laufen wirklich verringert. Viele gute Lösungen, ja, aber… Und dann dachten wir, es lohnt sich vielleicht doch, sich hinzusetzen, alles noch mal von vorne zu durchdenken und auf Basis wissenschaftlicher Fakten einen neuen Laufschuh zu bauen. Dann war die Antwort auf die Frage, ob es noch eine 38. Schuhmarke in Deutschland geben muss auf einmal doch ja.

Auf Basis wissenschaftlicher Fakten – was bedeutet das in dem Zusammenhang?

Brüggemann: Als ich für große Hersteller gearbeitet habe, wollte ich immer auch auf theoretischer Ebene an Neuem zu arbeiten. Das heißt, neue Ideen, neue Ziele und neue Paradigmen definieren. Und Schuhe, wie wir sie kannten, können schädlich sein. Durch sie verbraucht man beim Laufen mehr Energie, sie verursachen Kräfte und Drehmomente an den Gelenken, die für den Vortrieb nicht notwendig sind, sie stören die natürliche Bewegung und können damit zu physiologischen Schäden der biologischen Strukturen führen. Wir waren auch unzufrieden, weil wir es nicht geschafft haben, dass sich die großen Hersteller ehrlich und nachhaltig mit diesen Problemen befassen.

Warum denn nicht, das wäre doch eigentlich gut für die Kund*innen, oder?

Brüggemann: Revolutionäre Ideen in einen Markt zu bringen, der wunderbar funktioniert, ist sehr, sehr schwer. Es heißt nicht umsonst: Never change a running system. Der Laufmarkt ist gigantisch und die Schuhe verkaufen sich. Nur: Wir wollten dann eben irgendwann keine Pseudoinnovationen mehr liefern.

Was genau haben Sie denn anders gemacht?

Brüggemann: Wie gesagt, Laufschuhe sind oft so gebaut, dass sie die natürliche Bewegung stören und dass Kräfte auftreten, die zu einem Problem werden können. Die meisten Schuhe versuchen dann, diese Kräfte wieder auszugleichen, indem man den Fuß führt oder stützt. Was aber, wenn man es schafft, dass diese unnötigen Kräfte gar nicht erst auftreten?

Kriwet: Um unsere Idee zu erklären, laufen wir seit Jahren mit einem Modell des Fußes rum. Daran kann man sehen, dass die Ferse in der Mitte einen harten Kern hat, das Fersenbein. Darum gibt es ein Fettgewebe, das die Ferse schützt. Wenn man darum ein dickes Polster baut, dann stört das eigentlich nur – und genau das ist unser Ansatz.

Das müssen Sie erklären.

Kriwet: Wir legen ein Kissen, das geformt ist wie ein Hufeisen, um die Ferse. Wenn man so will, ist das ein überdimensioniertes Fersenfettpolster. Dazwischen ist Material gespannt, etwa wie bei einem Trampolin. Wenn man beim Laufen auf dem Boden aufkommt, rutscht man da automatisch in die Mitte.

Und das verändert was genau?

Brüggemann: Die Kraft wird in die Mitte dieses Polsters geleitet. Daher auch unser Slogan: Center your run. Aber der wesentliche Effekt findet nicht am Fuß statt, sondern am Knie. Wir schaffen es so, die ungünstigen Kräfte auf ein Minimum zu reduzieren, sie passieren nun durch das Zentrum des Kniegelenks und streichen nicht innen oder außen an ihm vorbei. Das beugt Verletzungen vor, die beim Laufen ja meistens im Knie passieren.

Laut True Motion sollen die Schuhe zu wesentlich weniger Belastung führen. Jedenfalls im Vergleich zu anderen Laufschuhen. Quelle: True Motion

Dann wäre die nächste interessante Frage, ob die Kund*innen diesen Effekt auch wirklich merken.

Brüggemann: Ich habe gerade eine wissenschaftliche Arbeit dazu beendet – mein Ergebnis ist, dass wir rund zehn Prozent niedrigere Belastung am Knie haben. Außerdem wissen wir, dass sich die Muskeln beim jedem Schritt weniger anstrengen müssen. Das heißt, man kann länger, leichter und vielleicht auch ein bisschen schneller laufen. Das ist für die Leute ein Erlebnis.

Kriwet: Außerdem kennen wir ja das Feedback von unseren Läufer*innen. Und das ist für uns empirische Evidenz. Viele erzählen uns, dass sie seit Jahren Beschwerden haben, mit Einlagen hantieren oder Stabilschuhe tragen müssen. Durch unsere Schuhe können sie jetzt wieder laufen. Das sagen uns so viele, dass wir wissen: Das kann nicht alles Voodoo sein.

Laufen Sie denn selbst in euren Schuhen?

Kriwet: Ja, das kommt vor. Im Ernst: Ja, ich liebe sie. Ich laufe aber auch manchmal noch in anderen, da ich ja wissen muss, was die Konkurrenz macht.

Ihr haben Sie Ihre Schuhe komplett ohne fremdes Kapital auf den Markt gebracht. Warum?

Kriwet: Wir beide hatten schon mehr als genug Chef*innen. Hätten wir fremdes Geld angenommen, würden uns Leute reinreden wollen. Und das wollten wir nicht.

Hätten Sie nicht mit einem größeren Knall in den Markt einsteigen können?

Kriwet: Genau das wollten wir nicht. Uns geht es nicht um den Knall. Knall-Ideen haben wir schon genug für Nike oder Brooks umgesetzt. Jetzt wollten wir Schuhe bauen, die Läufer*innen helfen, besser zu laufen. Gute Schuhe eben. Wir sind ja zum Glück keine 20-jährigen Gründer*innen mehr, die geile Ideen haben, denen aber vielleicht das Drumherum fehlt. Und dieser Markt ist so komplex, dass wir gesagt haben, das machen wir anders.

Wie bringt man denn eine neue Marke in diesen gigantischen Markt?

Brüggemann: Wenn wir das nur wüssten! Das war unglaublich komplex. Die Einstiegshürde in dem Bereich ist sehr hoch. Man braucht eigene Formen, einen eigenen Leisten, man muss Prototypen produzieren lassen, man braucht Formen, Farben und Modelle.

Kriwet: Man muss sich das ein bisschen so vorstellen, als würde man ein neues Auto auf den Markt bringen. Das Interessanteste daran ist der Motor. Bis man den aber entwickelt hat, dauert es. Unser Vorteil ist, dass wir sehr viele Kontakte auf der ganzen Welt haben. Ursprünglich wollten wir in Deutschland produzieren lassen. Aber das ging einfach nicht.

Warum nicht?

Kriwet: Weil so ein Laufschuh unglaublich komplex ist. Und vor allem ist alles Handarbeit. Da sind bei der Produktion bis zu 250 Hände dran beteiligt. In Deutschland fehlt das einfach das Know-how.

Ist das eine Frage des Geldes?

Kriwet: Nein, mit Geld hat das erst mal nichts zu tun. Wären die Schuhe ein bisschen teurer geworden, wenn wir sie hier hätten produzieren können, hätten wir es trotzdem gemacht. Das Problem ist einfach, dass wir das in Deutschland gar nicht mehr können. Wir bauen hier zwar die Maschinen, die man braucht, um einen Schuh herzustellen, aber keiner kann mit ihnen nähen. Also haben wir uns entschieden, in China zu produzieren. Die können das.

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