Life & Style Galerien waren gestern: Wie junge Künstler*innen eine ganze Branche aufmöbeln

Galerien waren gestern: Wie junge Künstler*innen eine ganze Branche aufmöbeln

Plattform für die Kleinen

„Daten sind Gold“, sagt hingegen Resch, der über seine App irgendwann eine den gesamten Markt überblickende Datenbank aufbauen will. Der Nutzen, den manche anzweifeln, steht also am Ende der Arbeit. „Der Markt ist undemokratisch“, sagt Resch. Und er zeigt sich überrascht, dass sogar die Künstler, die auf diesem Markt agieren, davon überrascht sind. Doch wie sollte es anders sein, wenn nur wenige über das Wohl und Wehe vieler bestimmen können, wenn im oberen Preissegment die Preise explodierten, während die da unten darben.

Handlungsbedarf sieht er nicht nur bei den Galerist*innen, sondern auch bei den Museen, die oft von öffentlichen Geldern finanziert seien. Und doch immer wieder nur die Künstler*innen ausstellen würden, die sie von den großen Galerien zugespielt bekämen. Er spricht in dem Zusammenhang von einem Netzwerk.

Lila Nettsrätter verkauft auf Kunst 100 für unter 500 Euro. Foto: Kunst 100

Ähnliches Spiel, doch völlig andere Arena: Lila Nettsträter hat zusammen mit Co-Founderin Lisa Kostenko das Kunst-Startup Kunst/100 gegründet. Dort verkaufen sie Kunstwerke für unter 500 Euro. Auf einem Markt, der sonst in Hunderttausenden oder sogar Millionen rechnet, mag das nichts sein – doch die beiden leisten Pionierarbeit, die andere nicht leisten können oder wollen. „Wenn Galerien anfangen würden, so zu arbeiten wie wir, würden sie ihr höchstes Gut preisgeben“, sagt Nettsträter.

Die Rede ist vom Zugang, von der Exklusivität. Wer Kunde bei einer Galerie sein will, braucht meist ein gut gefülltes Portemonnaie. Was natürlich gewollt sei. Nettsträter will den Flaschenhals – Galerien, Galerist*innen, Sammler und Museen –, durch den bisher jedes Werk durchmuss, massiv erweitern. Dafür nutzt sie eine Metapher: „Es gibt die Akropolis und das Neubaugebiet drumherum. Ein Haus im Neubaugebiet macht keinen Unterschied.“ Klingt nachvollziehbar. Mag die Akropolis auch noch so toll angestrahlt sein: Irgendwann ist im Neubaugebiet einfach mehr Leben, und die besseren Partys finden eben da statt, wo sich das Leben tummelt.

Bis sich der gesamte Markt ins Internet verlagern kann – und es ist fraglich, ob er das je tun wird –, wird es noch mindestens 20 Jahre dauern. Denn nicht nur die Galerien haben Angst davor „zu vertrashen“, wie Nettsträter es nennt, auch die Kund*innen sind schwer im Internet einzufangen. „Im Marketing würde man sagen, das Produkt passt nicht zu den digitalen Kanälen.“

Doch es entsteht eben eine komplette Gegenbewegung – mehr qualitativ hochwertige Ware zu günstigeren Preisen, die von einer Zielgruppe gekauft wird, die online abrufbar ist. Ein wichtiger Kanal auch hier: Instagram. „Ich schätze, dass fast 80 Prozent über Instagram auf unsere Seite kommen“, sagt Nettsträter. Sie und ihre Kollegin geben einen reizvollen Blick auf die Zukunft frei.

Nur erweist sich in diesem Jahr das Internet nicht einmal als der größte Wandlungstreiber. Wie in fast allen anderen Branchen auch ist Corona die Keule, die den bestehenden Kunstmarkt mit Wucht getroffen hat. Messen mussten abgesagt werden, Galerien schlossen die Türen, Auktionen konnten nicht stattfinden. Was das für den Markt bedeuten wird, ist noch längst nicht klar. Sicher ist nur, dass auf absehbare Zeit nichts wie gewohnt passieren wird.

Michael Neff sagt, dass man bei aller Digitalisierung nicht die etablierten Sammler vergessen dürfe. Foto: Maik Scharfscheer

Kunsthändler und Berater Michael Neff hat beobachtet, dass sich hier besonders die Goliaths der Branche schnell an die Situation angepasst haben. Auch sonst liefern sich Sotheby’s und Christie’s ein Rennen um die Top-Position, jetzt eben auf neuem Terrain. Ende Juni streamte Sotheby’s das erste Mal eine Auktion komplett online. An drei Standorten gleichzeitig wurden Kunstwerke versteigert: in New York, in London und in Hongkong.

Als die Auktion startete, war es in Hongkong früh am Morgen, in London war es Mitternacht. Lediglich die New Yorker konnten zur gewohnten Zeit teilnehmen, „cocktail hour“ nennt der „Economist“ das. Und natürlich – wenn nichts anderes geht – machen die Sammler*innen eben mit. Die Granden des Kunstmarkts in Deutschland, sagt Neff, haben zwar mit einigem Misstrauen auf die Aktion geschaut. „Aber das lief besser, als wir alle dachten.“

Die Sorge war da, dass keine guten Werke verkauft werden. Doch die sei unberechtigt gewesen, die Preise haben mehrmals die Millionenmarke geknackt. „Aber schöner ist es trotzdem, wenn man in London gemeinsam rumhängen kann“, sagt Neff. Er sieht einen digitalen Wandel im Kunstmarkt, der „aus der Not geboren war“. Neff sagt:. „Der technische Aufwand, eine Auktion online zu machen, ist hoch.“ Doch es lohnt sich: Die Käufe und Verkäufe hätten sich um zehn bis 30 Prozent erhöht.

Wie sich die Preise verändern, könne hingegen noch niemand sagen. „Reden wir hier jetzt von 10 000 oder 100 000 Euro? Dafür ist es noch zu früh.“ Was sich aber abzeichne, sei, dass am Ende das Beste aus beiden Welten hängen bleiben würde. Seit es die Möglichkeit gibt, kaufen Menschen Kunst online. Bloß bisher eher im unteren Preissegment. „Klar ist aber auch, dass wir uns wieder persönlich treffen werden, wenn es wieder geht“, sagt Neff. Aber eben vielleicht nicht mehr alle.

Denn das einzige Problem, das Neff bei der Entwicklung sieht, ist, dass viele ältere Sammler*innen abgehängt würden – wie bei jeder digitalen Entwicklung. Der Vergleich hinkt vielleicht, aber es erinnert daran, wie vor Jahren der Quelle-Katalog eingestellt worden ist. Wo soll Großmuttern denn nun ihre Waschmaschine kaufen? Da müsse man die Händler*innen und Sammler*innen an die Hand nehmen, dass sie überhaupt mitbekommen, dass Christie’s oder Sotheby’s online Auktionen machen. „Sonst gehen die vor die Hunde.“

Nicht nur Menschen blieben bei der Art des Handels auf der Strecke, auch der Handel an sich leide. Das sagt jedenfalls Johann König, einer der bekanntesten Galeristen Deutschlands. Er hat in Berlin-Kreuzberg die Kirche St. Agnes umgebaut und darin seine Galerie eingerichtet. Die ist mittlerweile ein Anlaufpunkt für alle geworden, die sich für Kunst interessieren. „Es fehlt die persönliche Komponente, wenn ich auf ein Bild biete“, sagt er.

Bei einer Auktion, bei der alle in einem Raum anwesend sind, sieht man, wer alles zwischendurch auf das Bild geboten hat, nicht nur den, der es am Ende ersteigert. Der Prozess soll viel über das Interesse aussagen, das das Bild auslöst. Im Real Life gibt es sogar Leute, die in den Auktionen sitzen, um das Bietergeschehen zu überblicken und später Newsletter mit diesen Informationen zu versenden. „Das gibt es online nicht“, sagt König.

Die Anonymität der Onlineauktion ist wiederum gut für die Unterbieter*innen, denn viele wollen diskret agieren. Insider, die den gesamten Markt überblicken wollen, brauchen hingegen das Live-Event. Klar ist auch, dass die Auktionshäuser an sich zur Diskretion verpflichtet sind. „Es gibt aber auch in dem Bereich spannende Innovationen“, sagt König. Das analoge Bietergefecht in die digitale Welt zu heben könnte der nächste Akt der Digitalisierung des Kunstmarkts sein.

Um dieses Gefecht, die persönliche Komponente im Kleinen austragen zu können, und um die Gunst der Corona-Stunde zu nutzen, hat König im Juni das erste Mal eine eigene Messe in St. Agnes abgehalten. Dass die großen Messen ausgefallen sind, hat er dabei für sich als Chance wahrgenommen. „Wir konnten bei uns in St. Agnes coronakonform eine Messe ausrichten“, sagt er. 4 000 Besucher anstatt Art-Basel-like 95 000 eben. Sogar ein Fotoverbot hat König auferlegt.

Johann König hat aus der Kirche St. Agnes in Berlin einen der angesagtesten Kunst-Spaces überhaupt gemacht. Foto: Lukas Gansterer

Der Kunstmarkt ist eine an Verwirrungen reiche Welt, die Messen machen es nicht einfacher. Geht ein Kunstwerk in die Auktion, sehen es normalerweise alle Interessierten. Der gesamte Kunstbetrieb schaut auf die großen Messen und Auktionen. Das Netz und öffentliche Publikationen werden mit Bildern dieser Events überflutet. „Bei uns gibt es ein Fotografieverbot“, sagt er. Nichts geht raus, was nicht vom Veranstalter, in dem Fall von König, kuratiert und freigegeben worden ist.

Das hat einen praktischen Grund: Für die Verkäufer*innen soll so das Risiko des Wertverlusts gering gehalten werden, wenn ein Bild nicht verkauft wird – wenigstens hat nicht alle Welt zugesehen. „Das ist die Gefahr bei einer großen Auktion, und in diese Nische stechen wir jetzt. Bei uns bleiben die Bilder marktfrisch.“ Der erste Versuch, so König, sei sehr gut gelaufen, die zweite Veranstaltung der Reihe fand im September statt. „Und wir wollen das wieder machen“, sagt der Galerist. Zwar geht er davon aus, dass vieles wieder normal werden wird, sobald es geht. Aber auch hier werden zukünftig zwei Konzepte nebeneinander existieren.

Das Schwert gezückt

Es ist ein Clash of Cultures. Altes trifft auf Neues. Strukturen ändern sich, Player*innen passen sich an – im Kern bleibt vieles, wie es war. Doch ähnlich einer Kalt-, die auf eine Warmfront trifft, entstehen an den Rändern Verwirbelungen, die mal länger, mal kürzer Bestand haben. Die aber immer eine Auswirkung darauf haben, was im Großen und Ganzen geschieht. Es sind diese Konvektionszonen, in denen die Großen und Kleinen des Marktes austesten, was da alles in Zukunft gehen mag.

Für Künstler*innen wie Schrader hat sich der Weg bislang als sehr lohnenswert erwiesen. In einem Post des ehemaligen Fußball-Nationalspielers André Schürrle ist zu sehen, dass dieser ein Bild von Schrader in seinem Wohnzimmer aufgehängt hat. 11 000 Likes, fast 40 bewundernde Kommentare. Hat Schürrle in der Kunstwelt dasselbe Standing wie ein etablierter Sammler? Sicherlich nicht, aber es ist egal – in der Multiplikatorenrealität der Gegenwart mag ein Post vom Ex-Fußballprofi langfristig wertvoller sein als die Möglichkeit, in einem gediegenen Rahmen dann und wann wohlwollend beäugt zu werden.

Für Schrader schließt sich ein Kreis. Denn auch auf beiden Messen in St. Agnes gab es Bilder von ihm zu sehen und zu kaufen. Nach der Mode und vielen, vielen Käufern also ein Beweis aus der König’schen Galerie, dem Inner Circle der Kunstwelt. Er und König, sagt Schrader, kennen sich seit gut einem Jahr. Dass er nun auf einer solchen Messe stattfindet, sei die Anerkennung eines anerkannten Galeristen – und zwar „für eine Arbeit die ich ja normalerweise frei mache“. Ein Ritterschlag. Fragt sich nur, für wie viele andere in Zukunft der Markt ebenfalls das Schwert zückt.

Freundinnen und Freunde, es ist wieder soweit: Unsere neue Ausgabe ist da. Und dieses Mal sogar mit zwei unterschiedlichen Covern. Oh yeah! Über 160 druckfrische Seiten mit den spannendsten Entwürfen zum Gründen und Leben: Wer steckt hinter Berlins ambitioniertester Gründer-WG? Und wie verbreitet die Factory Berlin ihr erfolgreiches Community-Konzept bald deutschlandweit? Außerdem: Wie der Kunstmarkt sich rapide verändert und sich die Modewelt weg von Fast Fashion bewegt. Also ab zum Kiosk oder zum Aboshop.

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