Innovation & Future „Wir entwickeln Kleidung so wie Software“ – Über die Mode der Zukunft

„Wir entwickeln Kleidung so wie Software“ – Über die Mode der Zukunft

Anfangs wollten August Bard Bringéus und Jakob Dworsky eigentlich nur ein weißes T-Shirt produzieren. Das perfekte weiße T-Shirt, um genau zu sein. Doch aus diesem Vorhaben entstand für die beiden Gründer des schwedischen Modelabels Asket schnell eine viel größere Aufgabe.

Bringéus sagt: „Wir spürten eine Verantwortung, unseren Kund*innen zu erzählen, was hinter den Kulissen der Modebranche passiert.“ Sie hatten im Prozess gemerkt, welchen enormen Einfluss Kleidung auf Warenkreislauf, Mensch und Planeten hat.

Verantwortung ist ein großes Wort für Bringéus und Dworsky. Sie benutzen es mittlerweile lieber als den Begriff Nachhaltigkeit. Die Gründer sind zu dem Schluss gekommen, dass dieses Wort durch die Vielzahl an intransparenten Ecolabels sowie durch Green- oder Socialwashing-Kampagnen kaum noch Aussagekraft besitzt.

Wenn man den Berichten über die Branche glauben kann, scheint es an Verantwortung in der Modeindustrie oft zu mangeln, stattdessen stehen Fingerpointing und Wegschauen an der Tagesordnung.

Foto: Erik Lefvander

Studien zufolge gehört die Textilbranche zu den schmutzigsten Industrien überhaupt. Etwa zehn Prozent der weltweiten CO-Emissionen sind ihr zuzuschreiben – Tendenz steigend.

Besonders im Spotlight steht dabei Fast Fashion, schnell und billig produzierte Kleidungsstücke, das Wort inspiriert von „Fast Food“. Das Haltbarkeitsdatum von Fast Fashion sei oft kürzer als das einer Packung Milch, so Bringéus.

Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe äußert sich per E-Mail: „Die Kleidung der Fast-Fashion-Industrie verschwendet Ressourcen, verschmutzt Gewässer und wird zumeist unter schlechten Arbeitsbedingungen hergestellt.“ Auf Qualität werde nicht gesetzt: „Häufig eignen sich die Stücke nicht einmal mehr als Secondhand-Ware.“

Studien zeigen: 60 Prozent der Kleidungsstücke, die wir kaufen, landen innerhalb des ersten Jahres auf dem Müll. So ersticken wir in Bergen von Altkleidern: Von rund einer Million Tonnen im Jahr 2013 hat sich die Menge auf etwa 1,3 Millionen Tonnen Alttextilien im Jahr 2018 erhöht.

2020, als viele die Lockdown-Zeit zum Ausmisten nutzten, wurde die Bevölkerung gar dazu aufgerufen, keine Kleidung mehr in Altkleidercontainer zu werfen, da die Textilverwerter*innen nicht mehr wussten, wohin damit. Coronabedingt fehlten die Absatzmöglichkeiten im Ausland. Am Ende muss verbrannt werden.

Kleidung zu verbrennen ist auch die Notlösung für viele Modelabels, wenn Recyclingstrategien fehlen und ein „Verramschen“ der Marke um jeden Preis vermieden werden soll.

So war beispielsweise 2018 die Luxusmarke Burberry in die Schlagzeilen geraten, nachdem sie unverkaufte Kleidungsstücke, Parfums und Accessoires im Wert eines zweistelligen Millionenbetrags vernichtet hatte. Hauptsache, kein Discount. Ähnliches wurde über H&M berichtet – sogar die Preisschilder waren noch dran.

Jakob Dworsky & August Bard Bringéus setzen mit ihrem Label Asket seit 2015 auf „meaningful essentials“. Ihr Ziel: die Ära des schnellen Konsums zu beenden.(Foto: Oskar Omne)

Der Tipping Point scheint erreicht zu sein. Schlaue und ehrgeizige Menschen wie Bringéus und Dworsky arbeiten derzeit an Lösungen, die einerseits die großen Probleme der Modeindustrie beseitigen, andererseits aber auch aus unternehmerischer Sicht wirtschaftlich sinnvoll sind.

„Fast Fashion ist ein Businessmodell, bei dem wir uns in zehn bis 15 Jahren fragen werden: Wie konnte das erlaubt sein?“, sagt Bringéus. „Wir produzieren mehr als je zuvor, konsumieren mehr als je zuvor, nutzen die Kleidung kürzer als je zuvor. Und trotzdem sind die Gewinne kleiner als je zuvor, und die Menschen in den Fabriken leiden. Niemand gewinnt in diesem Modell.“

Fischer fasst die Hauptprobleme der Branche zusammen: schlechtes Ökodesign der Produkte, eine kurze Lebensdauer, negative Umweltauswirkungen während der Herstellung sowie die Freisetzung von Mikroplastik beim Tragen und Waschen von Textilien aus Kunststoff.

Die beiden Gründer von Asket haben sich dazu entschlossen, Verantwortung zu übernehmen. „Die Industrie sagt: Die Konsument*innen sind schuld, sie müssen sich darum kümmern, was mit seiner getragenen und ungeliebten Kleidung passiert“, sagt Bringéus.

Die Gründer haben für sich eine andere Art der Herangehensweise entwickelt: „Wir finden, dass es an uns ist, an der Modeindustrie, Verantwortung für den gesamten Lebenszyklus von Kleidungsstücken zu übernehmen. So wie bei Pfandflaschen, da funktioniert das ja auch. Wir müssen es von Anfang an richtig machen und schon beim Design der Kleidung das Ende mitdenken. Wir müssen den Kreislauf schließen.“

Verzicht als Prinzip

Asket formuliert diesen Ansatz in Kampagnen gut sichtbar und griffig: Fuck Fast Fashion.

Ihr Stockholmer Büro, von dem aus sich Bringéus und Dworsky einwählen, ist gleichzeitig ein Showroom. Im Hintergrund sieht man einen minimalistischen Raum, an dessen Wänden einige Stücke der aktuellen Kollektion auf Kleidungsständern hängen.

Askets Vision ist es, „die Ära des schnellen Konsums zu beenden“. Weniger und bewusster solle konsumiert werden, sie nennen das „The Pursuit of Less“. Der Markenname ist vom griechischen ásksis inspiriert: dem Üben von Enthaltsamkeit, dem bewussten Verzicht, der auch in vielen Religionen gelebt wird.

Bringéus fasst das bisherige Prinzip der Branche zusammen: Bei Mode als Geschäftsmodell geht es um geplante Obsoleszenz und darum, dass möglichst viele Menschen möglichst viele Kleidungsstücke kaufen. Bei Asket sei das anders.

Bringéus erklärt: „Wir machen keine Fashion, wir machen Anti-Fashion.“ Er trägt Nickelbrille, ein blau-weiß gestreiftes Hemd aus der eigenen Kollektion und könnte selbst als Model durchgehen.

„Unser Ziel ist es, dass so viele Menschen wie möglich so wenige Kleidungsstücke für so lange wie möglich besitzen. Wir wollen, dass Menschen ihre Kleidung wieder wertschätzen, sie lieben und reparieren. So wie es unsere Großeltern getan haben.“ Bringéus sagt, dass deren Kleidung oft noch eine Geschichte hatte. Heute sei die einzige Geschichte oft: „Es war im Sale.“

Dieser Ansatz ist natürlich ein schmaler Grat, wenn es darum geht, ein funktionierendes Geschäftsmodell aufzubauen. Doch Bringéus und Dworsky sind eben in erster Linie auch Geschäftsmänner, keine weltfremden Öko-Hippies.

Die beiden haben sich im Masterstudium an der Stockholm School of Economics kennengelernt, wo sie 2015 ihren Abschluss machten. Bereits im gleichen Jahr gründeten sie Asket. Zuvor hatte Bringéus Berufserfahrung beim Zahlungsdienstleister Klarna und der Unternehmensberatung BCG gesammelt, Dworsky bei Rocket Internet.

Wie baut man also ein Geschäftsmodell auf dem Streben nach weniger auf? Wieso gründet man ein Modelabel, wenn man zeitgleich die bislang vorherrschenden Methoden der Modebranche ablehnt und deren gewohnten Wege nicht beschreiten will?

Askets Antwort ist Zeitlosigkeit. Alles, was nicht essenziell ist, wird bewusst weggelassen.

So gibt es bei Asket auch nur eine permanente Kollektion, keine Herbst-Winter-Kollektion, keinen Sommerschlussverkauf, keine Trendfarben, keine sichtbaren Labels oder Schnickschnack wie Münztaschen in den Hosen.

Bis jetzt sind die Gründer ihrem Prinzip treu geblieben: Alle Modelle, die bei Asket produziert wurden, sind immer noch im Sortiment erhältlich. Aktuell sind das 33 Teile, im Herbst sollen drei weitere hinzukommen: eine schwarze Jeans, eine Outdoorjacke und ein Pullover aus recyceltem Kaschmir.

Die Kollektion sei damit noch nicht ganz komplett, aber ein Ende sei in Sicht. „Es gibt eine natürliche Grenze an zeitlos relevanten Kleidungsstücken“, sagt Bringéus.

Ob sich wohl die beteiligten Investor*innen über diese natürliche Grenze freuen? Zwei Finanzierungsrunden gab es bei Asket bislang, in denen insgesamt 1 Mio. Euro eingesammelt wurden, ausschließlich von Einzelpersonen, nicht von Institutionen, um langfristiger planen zu können.

Traditionellen externen Investor*innen misstrauen die Gründer von Asket, denen ginge es vor allem darum, ihr Investment in der kürzest möglichen Zeit zu maximieren: „Es wird auf Quartalsberichte geschaut, dann vielleicht auf ein Geschäftsjahr. Einen Zeithorizont, der weiter als fünf Jahre reicht, gibt es für diese Investor*innen nicht.“

Und er sieht die weiteren Gefahren von Geldgebern, die nicht dieselben Werte teilen: „Wenn wir uns für die Zusammenarbeit mit bestimmten Investor*innen entschieden hätten, so wären wir gezwungen gewesen, schneller zu wachsen und Kosten zu drücken, sodass wir am Ende auch nach Bangladesch hätten gehen müssen.“

Aktuell produziert Asket zu großen Teilen in Italien und Portugal, verschickt wird aus Deutschland, Askets größtem Markt. Kurze Wege seien wichtig, mit Blick auf Emissionen, Kosten und Lieferzeiten.

Bringéus sieht, dass es noch viel Wachstumspotenzial gibt, ohne dass die Philosophie verraten werden muss. Bei Funktions- und Sportkleidung zum Beispiel sowie bei Accessoires und Schuhen. Und bei Frauenkleidung, denn Stand heute produziert Asket ausschließlich für Männer.

Obwohl man bei Asket nicht nur auf die schnellstmögliche Gewinnmaximierung gesetzt hat, ist Asket seit dem Start um 200 Prozent pro Jahr gewachsen. Erklärt werden kann das durch ihren Fokus auf die perfekte Passform: Schon im Entwicklungsprozess setzt das junge Unternehmen auf Nutzer-Feedback.

Eine ihrer wichtigsten KPIs sei der Net Promoter Score (NPS), eine Messgröße für Kundenzufriedenheit und -loyalität. „Wir entwickeln Kleidung so wie Software“, sagt Dworsky. „Wir haben eine Alpha- und eine Betaversion, bevor unser Produkt überhaupt auf den Markt kommt. Und auch nach dem Launch wird weiter optimiert. Es ist ein ständiger Verbesserungsprozess.“

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