Innovation & Future Vorbild Israel: Wie Ostwestfalen-Lippe zum Gründer:innen-Hotspot wurde

Vorbild Israel: Wie Ostwestfalen-Lippe zum Gründer:innen-Hotspot wurde

Die Wirtschaftsregion Ostwest­falen-­Lippe betreibt seit Jahren ehrgeizig Selbstdisruption – wie steht sie heute da?

Eisern sticht der Hermann sein Schwert in den Himmel über Detmold. Seit 1875 steht er auf seinem Hügel südlich der Stadt. Sein starrer Blick geht nach Westen. Lange galt der dem ehemaligen Erbfeind Frankreich, dem das Denkmal von „Hermann the German“ eine Warnung sein sollte. Doch dieser Hermann, die über 50 Meter hohe Statue am Rande des Teutoburger Waldes, blickt auch über die in der Nähe liegenden Städte: über Bielefeld und Gütersloh, über Rheda-Wiedenbrück und Paderborn.

Für Menschen, die nicht aus der Gegend stammen, mögen diese Ortsnamen nach nicht viel klingen. Aber: Die Region Ostwestfalen-Lippe im nördlichen NRW ist eines der Powerhouses der deutschen Wirtschaft. Hier sind sie zu Hause, die großen Unternehmen der alten BRD: Miele baut hier Waschmaschinen; Claas Landmaschinen, die in die ganze Welt exportiert werden; Seidensticker produziert Kleidung; Dr. Oetker kennt man vom Kuchen und den Tiefkühlpizzen.

Pit Clausen ist seit drei Amtszeiten Oberbürgermeister von Bielefeld. Er pflegt enge Beziehungen zu anderen Gemeinden in NRW. Foto: Pit Clausen

Hermann galt ja lange als einer der Helden der deutschen Geschichte. Trotzdem wird auch seine Statue dann und wann einmal spröde, und ihr rinnt der Rost von der Rüstung. Damit taugt sie bestens zum Symbol. Denn genauso benötigt auch die Wirtschaft einer solchen Powerhouse-Region irgendwann mal einen Griff unter die Arme.

Neue Ideen haben es schwer

Das heißt nicht, dass es den Unternehmen in Ostwestfalen-Lippe schlecht ginge. Pit Clausen, der Oberbürgermeister Bielefelds, drückt das so aus: „In alten Strukturen ist es manchmal nicht so leicht, mit neuen Ideen durchzudringen.“ Dafür brauche es sogenannte Denkoasen. Und eine dieser Denkoasen ist etwa die Founders Foundation. Ihr Ziel ist es, dass mehr junge Menschen mit ihren eigenen Ideen an den Start gehen – anstatt die in der Region klassische Konzernlaufbahn einzuschlagen, an die man in OWL ziemlich leicht kommt.

Torsten Bendlin ist einer, der sein Busi­ness in OWL hochzieht. Zusammen mit seinen zwei Co-Foundern Dennis Cutraro und Ingo Rossdeutscher hat er Valuedesk gegründet, das eine Mischung aus Software-as-a-Service und Dienstleistung anbietet, mit denen Konzerne Prozesse optimieren und Geld sparen können. Bendlin nennt das Beispiel Verpackungen. „Wenn ich die dünner mache, tue ich vielleicht nicht nur was für die Umwelt, sondern spare auch noch ein paar Euro. Obwohl ich bei genauer Berechnung vielleicht trotzdem noch alle wichtigen Kriterien erfülle.“

Sebastian Borek und Dominik Gross sind die Chefs der Founders Foundation. Alles was sakliert, ist bei ihnen genau richtig. Foto: Founders Foundation

130 Methoden hat das Startup in seiner Software strukturiert. Das Unternehmen hat gerade 3,2 Mio. Euro einer Pre-Series eingesammelt. Jetzt geht es darum, das geplante Wachstum der kommenden Jahre vorzubereiten. Fragt man Bendlin, warum er ausgerechnet in Bielefeld gegründet hat, obwohl ihm doch Hamburg München oder Berlin offengestanden hätten, hat er folgende Antwort parat: „Ich bin Bielefelder, es stand für mich außer Frage, woanders zu gründen.“

Und: „Hier zu gründen ist, als würde man im Goldfischteich angeln“, sagt er. Die wirtschaftliche Stärke und vor allem der Modernisierungsdruck, dem die Unternehmen der Region unterliegen, sorgen dafür, dass es für ihn mehr als genug Kund:innen gibt. „Außerdem kann ich hier mit dem Rad zu Kund:innen fahren“, sagt Bendlin.

Candy-Cotton-Land?

Es sind also die traditionellen Unternehmen, die die Region für Gründer:innen wie Bendlin und seine Kolleg:innen attraktiv machen. „Ich schätze, dass es hier im Umkreis von 100 Kilometern rund 4.000 Unternehmen als potenzielle Kund:innen gibt“, sagt er – das ist der Goldfischteich, von dem er spricht. Und da er und seine Mitgründer eine Software auf den Markt gebracht haben, mit der Unternehmen sehen können, wo und in welchen Prozessen sie Geld sparen können und dies nachhaltig festhalten können, kann man es auch mit den Worten von Bielefelds Bürgermeister sagen: Das sind die neuen Ideen für die alten Strukturen – Win-win für Unternehmen und Startup.

Anne Dreier ist die Rektorin der Fachhochschule des Mittelstandes. Sie will das Gründungsgeschehen in OWL ausbauen. Foto: FH des Mittelstandes

Win-win-win, wenn man noch OWL an sich miteinbezieht. Denn mit Valuedesk hat die Region ein neues Unternehmen dazugewonnen, außerdem sind die drei Gründer nicht irgendwo anders hingegangen. Das klingt irgendwie erst mal nach Candy-Cotton-Land für Gründer. Aber wie immer ist es nicht ganz so rosig. Die Beziehung zur „alten“ Wirtschaft der Region kann eine Hilfe sein. Kann! Sie ist aber eher ein ambivalentes Mischverhältnis.

Neue Player:innen bringen eben auch neuen Konkurrenzkampf in den Markt. Klar, dass das nicht allen gefallen muss. Es ist sicherlich nicht vermessen, von einer Gründungsoffensive in OWL zu sprechen. Die aber ist kein homogener Prozess. Das Ganze gleicht eher einem impressionistischen Gemälde. Aus der Nähe betrachtet wirkt jeder Farbklecks für sich. Die Distanz aber gibt den Blick auf das Gesamtkunstwerk frei. Bis dieses Kunstwerk vollendet ist, ist es ein langsamer und sehr, sehr leiser Prozess. Und es ist ein Experiment: Unternehmen werden gegründet, versuchen ihr Glück – manche bleiben, viele nicht.

Exzellente Rahmenbedingungen

Und am Ende entstehen wieder neue Startups. Im besten Falle solche, die zu den schon bestehenden Unternehmen passen, sie ergänzen, optimieren. Die Rahmenbedingungen jedenfalls sind exzellent. Zumindest wenn man in Bars im Bielefelder Bahnhofsviertel genauso glücklich wird wie in den Gründer:innenschuppen auf der Berliner Torstraße.

„Unternehmen mögen die Region“, sagt Bürgermeister Clausen „Es gibt urbane Strukturen, gleichzeitig ist es ein bisschen überschaubarer.“ Für die alte Garde an Unternehmen ist das ja schon lange wahr. Dass das auch für neue gilt, daran arbeiten sie in der Region nun.

Bürgermeister Clausen spricht gerne von den Founders und davon, was sie der Stadt und der Region bisher gebracht haben. Das Problem mit den neuen Ideen kenne er auch aus der Stadtverwaltung, in der in Bielefeld immerhin etwa 7.000 Leute tätig sind. „Wir haben da auch schon mit der Founders Foundation gearbeitet“, sagt er – außerdem habe sich seine Stadt bereits in das Projekt eingekauft. Schließlich bringe es Arbeitsplätze.

Kai Kuljurgis ist Gründer – er zieht Coindex in OWL hoch. Foto: Coindex

Die Founders sind das eine. Das andere ist, dass sich in OWL in den vergangenen Jahren ein ganzes Set an Initiativen gegründet hat, die versuchen, junge Menschen zum Gründen zu bewegen. Während die Founders Foundation mit ihrem Chef Sebastian Borek den Fokus eher auf schnell skalierbare Digitalbusinesses legt, ist die Fachhochschule des Mittelstands um ihre Rektorin Anne Dreier breiter aufgestellt. Oder die Fachhochschule Bielefeld mit ihrem Gründungsberatertag-Team aus Stefanie Pannier und Tim Kampe.

Ein regionales Netzwerk

All die Initiativen wirken auf den ersten Blick so, als arbeiteten sie jeweils für sich. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber: Sie bilden ein Netzwerk, das sich in den vergangenen Jahren über die Region gelegt hat und das Gründer:innen zum Start ihrer Karrieren den nötigen Halt und die Connections gibt. Allen diesen Verbindungspunkten ist ein Ziel gemein: für die Region und die Wirtschaft der Region neue Impulse zu setzen.

Einer, der Impulse gekriegt hat, ist Kai Kuljurgis, der dort sein Kryptobusiness Coindex hochzieht. „Initiativen wie die Founders Foundation haben in der Region einiges ins Rollen gebracht“, sagt er. Das sei wichtig, da Gründer:innen in der Gegend eben oft noch Verwunderung entgegenschlage. Wie ihm selbst etwa, wenn er erzählt, dass er mit Kryptowährungen arbeitet. Für die meisten ein Thema, das eher nach Berlin oder London, nicht aber ins Hinterland passe.

Ein Verdienst der Founders etwa sei, dass der Mittelstand das junge Netzwerk auf dem Schirm habe. Trotzdem fürchtet Kuljurgis, dass die Initiative hinter ihrem Potenzial zurückbleibt. Auf keinen Fall will Kuljurgis die getane Arbeit schlechtmachen – er findet aber, dass „die substanzielle Arbeit mit den Companys zu kurz kommt“. Wie bei vielen Gründungsinitiativen verberge sich das Ganze hinter einer großen Menge „visionären Gelabers“, und erst ein Blick unter die Oberfläche zeige, dass trotz all der Arbeit noch immer viele Baustellen bleiben. „Wer will man sein? Möchte man den Mittelstand in die Szene locken, sind die Gründungen vielleicht nur Beiwerk?“, fragt er.

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