Life & Style „Wir wollen mit dem Film einen Teil deutscher Geschichte erzählen“

„Wir wollen mit dem Film einen Teil deutscher Geschichte erzählen“

Die Doku „Alles ist eins. Außer der 0“ erzählt die Anfänge des Chaos Computer Clubs und stößt dabei auf einen verschütteten Teil deutscher Netzgeschichte. Wir haben für das Business Punk Magazin 06/20 mit den Filmemacher:innen Tanja Schwerdorf und Klaus Maeck gesprochen. Der Film erscheint am 25. März.

Frau Schwerdorf, Herr Maeck, Ihr Film „Alles ist eins. Außer der 0“ erzählt die Geschichte von Wau Holland und des Chaos Computer Clubs. Wie sind Sie auf das Thema gekommen?

Schwerdorf: Das war Zufall. Eigentlich wollte mir Klaus 2015 Urlaubsfotos aus Mexiko zeigen. Versehentlich hatte sich dann ein Video mit Wau Holland geöffnet, das auch auf der Festplatte war. Klaus wollte direkt wegdrücken, aber ich wollte wissen, wer das war. Es war so skurril: Da saß so ein Schattenmensch vor einem ganz alten Gerät und erzählte lustige Sachen.


Maeck: Die Aufnahme habe ich 1984 gemacht. Sie zeigt Wau Holland, wie er seinen selbst gebastelten Akustikkoppler zum Verbinden von Telefon und Computer vorführte, den er selbst „Datenklo“ nannte, weil er mit Zubehör aus dem Sanitärfachhandel zusammengebaut war. Das Video lief Anfang der 80er einmal in einem Pilotprojekt für Kabelfernsehen in Ludwigshafen und verstaubte seitdem. In verkürzter Form sind diese Szenen dann auch im Film gelandet.

Stand für Sie direkt fest: Das hat Filmpotenzial?

Schwerdorf: Ja und nein. Anfangs haben wir überlegt, ob wir aus den zehn Minuten irgendwas machen können. Aber Klaus hatte glücklicherweise noch Kontakte zu einigen der Gründungsmitglieder des CCC. Nachdem er die kontaktiert hatte, kam der Stein ins Rollen, und plötzlich war es ein Selbstläufer.

Maeck: Durch meine persönlichen Kontakte bekamen wir Zugang zu den privaten Archiven einiger CCC-Mitglieder der ersten Stunde, die wir sonst niemals bekommen hätten, weil die nicht allen dahergelaufenen Journalist:innen freizügig ihre Archive öffnen. Von vielen aktiven Mitgliedern des CCC kam uns Skepsis entgegen. Die Idee, einen Film über den Chaos Computer Club zu machen, kam dort nicht so gut an. Mal sehen, wie es jetzt ist, wenn der Film herauskommt.

Wau Holland
1981 gründete Wau Holland den Chaos Computer Club. Sein Spitzname „Wau“ kommt von Maulwurf – denn eigentlich hieß er Herwart. Quelle: Neue Visionen Filmverleih.

Sie haben rund vier Jahre an „Alles ist eins. Außer der 0“ gearbeitet. Was war die größte Herausforderung?

Schwerdorf: Eine der Hauptaufgaben war natürlich, ausreichend Videomaterial zu besorgen, um einen guten Eindruck der Zeit damals vermitteln zu können. Glücklicherweise gab es einen Zeitzeugen, Steffen Wernéry, den ersten Pressesprecher des CCC, der sehr viel akribisch gesammelt und dokumentiert hatte, mit Datum versehen. Das war eine Schatzkiste für uns. Auch von anderen bekamen wir private Aufzeichnungen, die wir mit Videos aus den Archiven der Fernsehanstalten ergänzten. Es war jedes Mal wie Weihnachten, wenn wir wieder eine alte Kassette bekamen und uns fragten: Was mag da wohl drauf sein?

Von vielen der frühen CCC-Mitglieder hatten Sie seit Jahren nichts mehr gehört, Herr Maeck. Wie war es, in die eigene Vergangenheit zu reisen?

Maeck: Es war fast wie ein Kreislauf, der sich geschlossen hat. Durch den Kurzfilm über Wau Holland und die folgende Recherche bin ich auch auf andere Filmmaterialien von mir gestoßen, die ich in den 80er-Jahren gemacht hatte. Dieses alte Super-8- und Videomaterial konnten wir teilweise verwenden, um die damalige Zeit und den Zeitgeist bildlich darzustellen. Für mich war es zudem interessant zu sehen, dass ich anscheinend schon immer mit dem Thema Überwachung zu tun hatte, denn darum ging es auch in anderen Filmen, die ich gemacht habe. Das war mir vorher gar nicht so bewusst.

Sind die Gründungsmitglieder des CCC, die auch im Film vorkommen, noch als Hacker beim CCC aktiv?

Maeck: Nein. Steffen Wernéry zum Beispiel bezeichnet sich als „Cyberveteranen“ und erklärt auch in unserem Film, warum er sich irgendwann aus den ersten Reihen des CCC zurückgezogen hat. Andere sind zwar noch im IT-Umfeld tätig, aber nicht mehr aktiv beim Chaos Computer Club.

Was hat Sie am meisten an den frühen Gründern des CCC beeindruckt?

Schwerdorf: Die Freude am Problemlösen. Es geht um einen kreativen und schöpferischen Umgang mit Technik und um die Auseinandersetzung mit Technik überhaupt. Das war auch Wau Holland sehr wichtig. Er fragte sich immer: Wie kann man Dinge umfunktionieren? Zum Beispiel: Wie kann man mit einer Kaffeemaschine einen Toast zubereiten?

Maeck: Was mir immer wieder imponiert, ist der Humor des Chaos Computer Clubs. Wie damals, als Innenminister Schäuble den Fingerabdruck einführen wollte als sicheres Erkennungszeichen. Der CCC hat es daraufhin geschafft, seinen Fingerabdruck irgendwo zu nehmen, von einem Glas auf einer Party. Den haben sie kopiert und zusammen mit einer Gebrauchsanleitung für eine Fingerfolie in ihrem Magazin „Datenschleuder“ veröffentlicht, um die Sicherheitslücken dieser Technik aufzuzeigen.

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