Productivity & New Work Wachstumsschmerzen: Der Vertrauensmuskel muss trainiert werden

Wachstumsschmerzen: Der Vertrauensmuskel muss trainiert werden

Kolumne von Nico Rose

Für viele eine schlimme Vorstellung: als Gründer:in oder Führungskraft den kontrollierten Kontrollverlust ertragen müssen. Lohnt sich aber am Ende!

Zwischen 25 und 30, parallel zum Berufseinstieg, war ich Seminar-Junkie. Ich absolvierte eine Coaching-Fortbildung nach drei anderen. Während Freund:innen ihr Urlaubsgeld und die spärliche Freizeit auf Ibiza durchbrachten, machte ich ausgedehnte Reisen ins innere Ausland. Seitdem weiß ich, dass ich nicht weiß, wie andere ticken. Einmal fragte jemand den Coaching-Ausbilder, wann man endlich bereit sei, mit echten Klient:innen zu arbeiten. Der lächelte nachsichtig und antwortete: „Ach, die ersten hundert Klienten musst du einfach mal verschleißen.“

So ist das auch, wenn Menschen anfangen zu führen, egal ob im Konzern oder im Startup. Man verbockt es jeden Tag. Man redet zu wenig oder zu viel oder im falschen Ton. Findet passende Worte zwei Minuten, nachdem der/die andere den (Zoom-)Raum verlassen hat. Nicht tragisch. Mitarbeitende verzeihen viel – solange sie Fortschritte bemerken.

Die Wahrheit: Gute Führung ist verdammt schwierig. Das Leben ist paradox, vor allem als Führungskraft: Auf Augenhöhe soll man bitte schön führen, trotzdem klare Ansagen machen. Das Budget muss man im Griff haben, aber keinesfalls vergessen, dass der Mensch im Mittelpunkt steht. Visionen sollte man haben, aber um Himmels willen nicht abgehoben wirken, denn das ist schlecht für den Teamgeist.

Auch die Wahrheit: Gute Führung kann man lernen. Aber nicht alles, was man lernen kann, kann auch gelehrt werden. Myriaden von Seminaren wollen uns zeigen, wie man anständig führt. Ein Blick in die Forschung offenbart: Die Beweislage dafür, dass das funktioniert, ist verdammt dünn. Das ist auch nicht weiter verwunderlich: Schwimmen lernt man nicht auf dem Trockenen.

Den Vertrauensmuskel trainieren

Gerade weil wir alle so unterschiedlich sind, halte ich wenig von Führungstechniken. Einer Maschine ist es wurscht, wenn sie gemanagt wird. Der gemeine Mensch merkt so etwas schnell – und ist verstimmt. Wenn ich folglich jungen wie auch arrivierten Führungskräften nur einen Tipp geben dürfte, er lautete: Trainiere deinen Vertrauensmuskel, oder etwas poetischer: Lerne, mit dem guten Auge auf die Menschen zu schauen. Klingt arg nach Psychogewäsch, hat aber einen validen Hintergrund: Vielen bekannt ist die Idee der sich selbst erfüllenden Prophezeiung, Beispiel: Ich glaube, dass Freitag, der 13., ein Unglückstag ist, bin ängstlich, gehe mit der Aufmerksamkeit zu sehr nach innen, stolpere und breche mir beide Ohren. Dumm gelaufen, aber wenigstens hatte ich recht.

Es lässt sich nachweisen (etwa im Kontext Schule, Sport, aber auch im Management), dass dieser Prozess ebenso vorhersagbar zwischen Personen abläuft: Was Führungskräfte in Mitarbeitende hineinprojizieren, werden diese mit hoher Wahrscheinlichkeit zurückspielen. Wenn ich als Chef jemandem nicht (genug) vertraue, werde ich versuchen, dies durch mehr Kontrolle auszugleichen. Die Kontrolle führt beim anderen zu höherer Anspannung – und die erhöht nachweislich die Wahrscheinlichkeit für Fehler. Schließlich sagt man zu sich: „Wusste ich’s doch, dass der Marc-Kevin das nicht gebacken kriegt“

Das Spiel funktioniert allerdings auch in positiver Richtung. In der Forschung nennt sich das Pygmalion-Effekt, angelehnt an eine griechische Sage: Begegnen wir anderen Menschen mit Wohlwollen und gewähren wir ihnen bewusst einen Vertrauensvorschuss, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass diese sich unseres Vertrauens als würdig erweisen. Angelehnt an das bekannte Bonmot von Henry Ford: Ob du denkst, der kann es oder nicht: Du wirst auf jeden Fall recht behalten.

Folglich werden Führungskräfte objektiv besser, wenn sie lernen, mehr und mehr loszulassen, und zusätzliche Freiräume gewähren – und sich darauf einlassen, die damit verbundene Unsicherheit zu ertragen. Spitzfindig lässt sich sagen: Wir werden wirkmächtiger, je besser wir Ohnmacht ertragen. Klingt komisch, ist aber so.

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