Productivity & New Work Nico Rose: Emotionen im Unternehmen? Die stärkere Emotion gewinnt

Nico Rose: Emotionen im Unternehmen? Die stärkere Emotion gewinnt

Wie genau funktioniert im Unternehmen der Lauf der Launen? Business-Punk-Kolumnist Nico Rose über die emotionale Leitfunktion von Executives.

Gemäß einem Social-Media-Meme gibt es in Deutschland derzeit 80 Millionen Virolog:innen, die früher einmal 80 Millionen Fußball-Bundestrainer:innen waren. Natürlich findet sich in dieser bärbeißigen Bemerkung ein Körnchen Wahrheit. Nicht wenige von uns haben im letzten Jahr so einiges gelernt über Aerosolwolken, Virenlasten und Spike-Proteine. Millionen Bundesbürger:innen wissen nun, dass das Coronavirus bei einem R-Wert kleiner eins auf dem Rückzug ist, während höhere Werte verlässlich Unheil bedeuten.

Weitaus weniger bekannt ist, dass ähnliche Mechanismen auch das emotionale Klima von Organisationen prägen. So, wie wir uns in Zeiten ohne AHA-Regeln – unwissentlich – mit Streptokokken beglücken, so infizieren sich Menschen – ebenso unwissentlich – gegenseitig mit ihren Gefühlen. In der Organisationspsychologie wird dieser Prozess emotionale Ansteckung genannt. Etwas vereinfacht funktioniert das so: Wir registrieren Gestik, Mimik sowie Stimmlage des Gegenübers und fahren dann vorbewusst eine mentale Simulation, die folgende Frage beantwortet: Wie würde ich mich fühlen, wenn es mir so ginge, wie das, was ich gerade beim anderen wahrnehme? Das Ganze ist Teil unserer Säugetiernatur und beruht auf Gegenseitigkeit. Da stellt sich die Frage: Wer steckt wen an?

Ober sticht unter.

Eine Antwort: In der Regel gewinnt die stärkere Emotion. Wenn wir halbwegs neutral gestimmt sind und Zeug:inne eines veritablen Lach-Flashs werden, können wir uns der Wirkung kaum entziehen und werden unwillkürlich (mindestens) mitschmunzeln. Das Gleiche gilt auch umgekehrt: Auch authentische Traurigkeit oder Angst beim Gegenüber ziehen uns unweigerlich in ihren Bann. Eine andere Antwort ist besonders relevant für Gründer:innen und Führungskräfte:

Die Hierarchie setzt sich durch! Studien legen nahe, dass Vorgesetzte eine überproportional starke emotionale Wirkung auf ihre Belegschaft haben, während der Effekt von unten nach oben deutlich schwächer ausfällt. Als Zwischenfazit lässt sich daher Folgendes festhalten: Wenn du Führungskraft bist und regelmäßig zu dem Schluss kommst, dass deine Teammitglieder ziemlich muffelig dreinschauen – dann könnte ein Blick in den Spiegel hilfreich sein. Es liegt im Bereich des Möglichen, dass die Menschen in erster Linie das spiegeln, was du emotional in den Raum hineingehustet hast.

Das ist aber noch nicht das Ende der Infektionskette:

Emotionale Kettenbriefe: Durch die Verfügbarkeit größerer Mengen an Daten und besserer Algorithmen konnten Forscher:innen im Laufe des letzten Jahrzehnts nachweisen, dass Gefühle sich netzwerkartig in Organisationen ausbreiten – so, wie es auch Viren tun. Konkret erfolgt die emotionale Ansteckung also nicht nur zwischen Büronachbar:innen. Stattdessen nehmen Menschen die emotionale Energie aus einer Begegnung mit und speisen diese unwillkürlich in ihren nächsten Kontakt ein. Und dann wieder. Dieser Netzwerkeffekt lässt sich statistisch, jeweils leicht abgeschwächt, mindestens bis ins vierte Glied der Kette nachweisen. Was in Las Vegas passiert, bleibt in Vegas. Was im Board Room passiert, wird unweigerlich weitergetragen.

In einer mittelgroßen Organisation mit einer Handvoll Hierarchieebenen kommt ein Teil der Emotionen, die die Top-Führungskräfte ins Netzwerk einspeisen, bei der Basis an (und damit bei der Kundschaft oder Bewerber:innen) – obwohl meist kaum ein direkter Kontakt besteht. Zugleich wird klar, dass der emotionale Impact einer Person umso umfassender ist, je höher sie in der Hierarchie steht. Top-Führungskräfte haben prinzipiell die Macht, große Teile des Netzwerks positiv aufzuladen wie einen starken Akku – doch ebenso können sie umfassend Angst und Schrecken verbreiten.

Heilmittel Cat Content: Gegen das Coronavirus gibt es derweil Impfungen. Gegen unbeherrschte Führungskräfte ist bisher kaum ein Kraut gewachsen. Das ist tragisch, menschlich wie betriebswirtschaftlich. Das emotionale Klima einer Organisation steht in engem Zusammenhang mit dem Wohlbefinden der Belegschaft und ihrer Arbeitsleistung. Führungskräfte müssen daher lernen, im stressigen Alltag ihre Emotionen im Griff zu haben. „Zorn. Furcht. Aggressivität. Die Dunklen Seiten der Macht sind sie“, wusste bereits Yoda. In meiner früheren Rolle als Vice President bei Bertelsmann hatte ich da ein Geheimrezept: Katzenvideos. Nichts bringt mich schneller wieder ins Gleichgewicht.

Und wie kommst du wieder runter?

Nico Rose: Der Heavy-Metal-Fan ist Professor für Wirtschaftspsychologie an der ISM in Dortmund. Davor hat er High Potentials zu Bertelsmann gelockt. Seit 2008 coacht er zudem Menschen auf ihrem Weg zu mehr Erfolg und Zufriedenheit.

Es ist wieder soweit: Unsere neue Ausgabe ist da. 172 druckfrische Seiten mit einer Menge Storys und Persönlichkeiten zum Dossier-Thema „Green“. Außerdem: Wie ein Podcaster eine eigene Pasta-Sorte schafft, wie ein Gründer:innen-Netzwerk in Südafrika Artenschutz vorantreibt und wie David Brunier die am schnellsten wachsende Kaffeekette der Welt baut. Ab zum Kiosk oder zum Aboshop.

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