Life & Style Kolumne: agentur_boomer.txt
 – Ein paar Gedanken zu Wahlwerbespots

Kolumne: agentur_boomer.txt
 – Ein paar Gedanken zu Wahlwerbespots

Eine Kolumne von Michael Peukert

Wie kann man als Agentur entscheiden, einen Wahlwerbespot für die CDU zu machen? Was denken Junior:innen, wenn sie von den Chefs das Briefing erhalten, die FDP als solidarische Partei auch für „Geringverdiener“ im Hamsterrad darzustellen? Fragen über Fragen, die uns Agentur Boomers beschäftigen – wer kennt?

Bald steht eine der wichtigsten Bundestagswahlen unserer Zeit an. Natürlich habe ich den Wahlkampf auch aus Agentur-Boomer-Sicht verfolgt und konnte langsam die Füße nicht mehr still halten. Daher melde ich mich hier zu Wort, um ein wenig zu ranten, zu weinen und zu lachen…

Keine Sorge, das ist keine x-te Analyse von Wahlprogrammen, denn dort wurden mittlerweile alle Witze gemacht, die man machen kann. Und sowieso sind einige Wahlprogramme einfach ein Joke. Mich hat stattdessen vielmehr interessiert, wie Wahlwerbung entsteht und wer sich dabei was denkt. Schließlich machen wir ja alle „irgendwas mit Medien“ und wissen ganz genau, was man hätte besser machen können.

Denn wenn ein CDU-Spot gemacht wird, in dem die Wangen eines Alman Armins geschwärzt werden, um die bodenständige „Anpacker-Mentalität“ zu kommunizieren, dann ist meiner Meinung nach Hopfen und Malz verloren – selbst beim Oktoberfest, bei dem Herr Laschet gerne mal ausgiebig feiert. Natürlich kann es auch sein, dass ein Memer Content für 9gag haben will und schmunzelnd und händereibend vor dem Wahlkampf-Konzept sitzt – ich würde seine Augen küssen. Besonders küssen würde ich aber die Person, die sich das Gesangs-Video von Die Grünen (den „Grünen“?) überlegt hat. Es ist einfach so peinlo, dass ich es in mein Herz geschlossen habe. Die Internet Culture freut sich und dankt.

Doch wie verhält man sich, wenn die Agentur eine politische Stellung bezieht? Als Senior Concepter bin ich privilegiert und relativ unabhängig von meinen Arbeitgeber:innen. Aber wenn man grade mit seiner Ausbildung angefangen oder grade erst den Junior:innen-Status erlangt hat, dann sieht die Welt noch ganz anders aus. Man beugt sich also den Meinungen der Chef:innen und legt den schönsten Schwarz-Weiß-Filter auf einen nachdenklich schauenden Christian Lindner. Suckt hart, i know. Und genug, um es mit zbrslz erträglich zu machen, verdient man auch nicht.

Ich denke, viele von uns hatten schon diverse Gewissensbisse bei Brands, die gegen ihre eigene Moral und Werte gehen. Politik ist jedoch die Königsklasse. Imagine: Ihr müsst als links-grün-versiffter Werbehipster wie ich auf einmal Wahlwerbung für die CDU machen (Thank god, dass meine Agency cool ist), was macht ihr dann? Bei kritischen Kund:innen bin ich ein Freund davon, Pro und Contra abzuwägen und gemeinsam in einem „Gremium“ zu entscheiden, ob man nun mit dem Teufel arbeitet oder nicht. Bei normalen Brands auch super easy, aber wie sagt man so schön: Über Politik und Religion spricht man nicht. Schnell entstehen hitzige Diskussionen und was soll man als Berufseinsteiger:in schon ausrichten. 🙁

Immer wieder hört man, dass Brands eine gesellschaftliche Verantwortung haben und auch nutzen sollten. Bei Agenturen hört man das eher selten. Man will keine Boomer-Kund:innen verschrecken, die womöglich konservative und eingestaubte Denkweisen haben – man will ja schließlich schwarze Zahlen schreiben. Also gibt es keinen Regenbogenflaggen-Post auf der Instagram-Page der Agentur, weil Vorstands Volker sonst seinen morgendlichen Kaffee wieder ausspuckt und Retainer killt. Die Werte der jüngeren Werber:innen-Generation werden somit meist über Bord geworfen und als Dank darf man dafür richtig doll schrubben. In meiner Traumwelt, in der wie erwähnt Entscheidungen gemeinsam getroffen werden, kann man aber ein Phänomen betrachten (spoiler alert):

Wenn Mitarbeitende Lust auf einen Kunden haben, steigt die Motivation und die Qualität der Arbeit. Und hier lässt sich wieder der Bogen zu einigen Wahlkampagnen spannen: Glaubt ihr, dass die ausführenden Mitarbeiter:innen motiviert waren und mit vollem Elan alles aus dem Projekt herausgeholt haben? I daud it. 


Um qualitative Projekte zu machen, sollten „Herzensprojekte“ keine Besonderheit mehr bleiben, sondern eher überwiegen. Also: Denkt nicht nur ans Portemonnaie, sondern hört auf die Jungen und Wilden.

Mich würde sehr interessieren, wie eure Meinungen und Erfahrungen sind. Habt ihr bei bestimmten New-Business-Anfragen eure Haltung dazu offen kommunizieren können? Und wenn ja, wie wurde das aufgenommen bzw. beachtet?

Schreibt uns gerne auf Instagram (@agentur_boomer), was ihr erlebt habt. Keine Sorge, wir sind diskret (brauchen eigentlich nur Input für Memes lol).

Und zum Abschluss noch ein mal für alle verplanten Hänger unter euch:

GEHT WÄHLEN! 🖤

GaLiGrü Michi

agentur_boomer

Michael Peukert ist Senior Creative Concepter bei Agentur Boomer.

Das könnte dich auch interessieren

Schlafen ist nicht gleich Ausruhen – Das Dilemma der kognitiven Erschöpfung Life & Style
Schlafen ist nicht gleich Ausruhen – Das Dilemma der kognitiven Erschöpfung
Einsamkeit macht so krank wie 15 Zigaretten am Tag Life & Style
Einsamkeit macht so krank wie 15 Zigaretten am Tag
„What the FU..“: Die SXSW zwischen Euphorie und Zweifel Life & Style
„What the FU..“: Die SXSW zwischen Euphorie und Zweifel
Warum Unternehmen sich jetzt um die mentale Belastung ihrer Mitarbeitenden kümmern sollten Life & Style
Warum Unternehmen sich jetzt um die mentale Belastung ihrer Mitarbeitenden kümmern sollten
Der Epstein-Fall – Gerichtsunterlagen mit 170 Klarnamen veröffentlicht Life & Style
Der Epstein-Fall – Gerichtsunterlagen mit 170 Klarnamen veröffentlicht