Productivity & New Work Entscheider: Soll man bei der Arbeit über Politik reden?

Entscheider: Soll man bei der Arbeit über Politik reden?

JA!

„Das ist mir alles zu politisch“ – ein Satz, den ich noch nie verstanden habe. Alles ist politisch. Nichtstun ist politisch, Schweigen ist politisch, Wegschauen ist politisch. Zwar denken wir klassischerweise bei Politik an Aktivismus oder an diejenigen, die ihre Stimme besonders laut erheben. Aber es gibt kein Ausbrechen aus der Politik. Wie schon Psychoanalytiker Paul Watzlawick sagte: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Und das Gleiche gilt für die Politik. Wer sich im Office aus allen Politgesprächen raushält, gibt damit still denjenigen recht, die ihre Standpunkte am lautesten rausposaunen. Nicht neu, aber unverändert wahr: Das Private ist politisch. Feministinnen wiesen so in den 70er-Jahren darauf hin, dass es zu kurz gedacht ist, nur in der Sphäre außerhalb des eigenen Heims Gleichberechtigung einzufordern. Denn wenn zu Hause nur die Frauen Hausarbeit und Carework zu leisten haben, ist das unfair. Leistung, die sich lange überhaupt nicht lohnte. Und wo Jobs und Privates immer mehr verschwimmen, ist es auch vollkommen berechtigt, solche politischen Fragen beim Business-Lunch anzusprechen. Das Professionelle ist nämlich ebenso politisch. Aber eines lieber vermeiden: ideologische Rechthaberei. Als Prakti eine Diskussion über die Verdienste der Gewerkschaften anzetteln, wenn die Chefin oder der Chef selbst gerade versucht, Streik-Action zu verhindern? Nicht die beste Idee. Politik ist schließlich die Kunst des Machbaren. Und wer die eigenen Überzeugungen zu offen preisgibt, macht sich damit nur durchschaubar und angreifbar. Deshalb erst mal nachhorchen, wie die politischen Vibes so sind. Dann bleiben die Möglichkeiten vielfältiger. Lieber in Streik treten als über den Streik reden.

von Jonas Bickelmann

NEIN!

Die Bundestagswahlen sind vorbei, und damit ist eigentlich die heiße Politikphase für die nächsten vier Jahre erst einmal vorüber. Allerdings geben tagespolitische Ereignisse immer wieder neuen Anlass dazu, dass im Office über Politik diskutiert wird. Ein potenziell ziemlich großes Minenfeld. Ergebnis ist klassischerweise auch bei unbedeutenden Themen Streit, der im Satz „So eine Einstellung hätte ich dir gar nicht zugetraut“ gipfelt. Und warum überhaupt selber mitmachen? Es reicht ja schon, dass Leute sich täglich auf Twitter zerfetzen. Ich persönlich brauche im Office keine moralischen Grundsatzdiskussionen, wie sie Posts von El Hotzo & Co bieten. Da ist die Rolle als Zuschauer:in schon stressig genug. Man hat ja über die Jahre gelernt: Bei politischen Diskussionen geht es heute viel weniger darum, echte Inhalte auszutauschen, als vielmehr darum, sich moralisch über andere Leute zu erhöhen. Und das ist in der Gruppe simpel – und billig. Sollte man also als einziger Mensch in einem hippen Unternehmen aus einem mir nicht erdenklichen Grund mit konservativen Parteien sympathisieren, bleibt man für alle Zeiten der oder die gestrige Kolleg:in. Ist man beim Thema Umweltschutz engagierter als der Rest, bleibt man bis ans Lebensende der oder die Baumkuschler:in. Soziale Gruppen neigen nun mal dazu, ein Feindbild zu erschaffen – das Office ist da nicht anders als eine fünfte Klasse. Und noch schlimmer ist es, wenn man in einer großen Gruppe die Rolle des Blamers einnimmt: Als Teil der anerkannten Mehrheit wird man automatisch zum moralisch überlegenen Idioten. Daher schlage ich für den Bürofrieden vor: Lasst politische Diskussionen doch bitte einfach zu Hause – oder auf Twitter.

von Michael Gnahm

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